Bauwelt

Nach der Expo

Stadion? Moderne Landwirtschaft? Silicon Valley? Universitätsstadt? Noch ist offen, was auf der Fläche neben dem Messegelände entstehen soll. Warum eigentlich?

Text: Rocca, Alessandro, Mailand

Nach der Expo

Stadion? Moderne Landwirtschaft? Silicon Valley? Universitätsstadt? Noch ist offen, was auf der Fläche neben dem Messegelände entstehen soll. Warum eigentlich?

Text: Rocca, Alessandro, Mailand

Seit dem 1. Mai steht die Parade der 54 nationalen Pavillons – ein Teilnehmerrekord in der Geschichte der Weltausstellungen. Hinzu kommen neun Cluster, Themenpavillons sowie kommerzielle Bauten, unter denen die Kolosse von Coca-Cola (Seite 14) und McDonald’s hervorstechen.
Im ursprünglichen Projekt bildeten Natur und Landwirtschaft gemeinsam die logische Umsetzung des Expo-Titels „Feed the Planet. Energy for the life“. Dieses Konzept wurde jedoch zugunsten einer Gestaltung praktisch aufgehoben, in der das einzig starke Element die überdeckte Ost-West-Achse ist, der Decumanus. Er ist so breit, dass er zu einer langgestreckten Piazza mutierte, die das wahre Herz der Ausstellung bildet. Die Landschaft mit den schönen Wasserbecken, Kanälen und dem einen oder anderen kleinen Wäldchen bleibt in die Randgebiete des Geländes verbannt und findet sich dort, oft eher zufällig, in den einzelnen Pavillons, zum Beispiel in den Gemüsegärten von Slow Food, entworfen von Herzog & de Meuron (Seite 28), im Wald des Österreichischen Pavillons (Seite 30), in den vertikalen Pflanzungen im Israelischen Pavillon oder in der Landwirtschaftsausstellung im Cluster „Getreide und Wurzelgemüse“.
Hauptakteur Uni
Die entscheidende Frage ist nun: Wird sich die Landschaft nach der Expo durchzusetzen können? Wenn die Pavillons weg sind, sollten, so war die Absicht, 56 Prozent der Fläche von Grün bedeckt sein. Das 110 Hektar große Gelände weckt jedoch Begehrlichkeiten! Noch bis Ende letzten Jahres schien Silvio Berlusconi interessiert zu sein, hier ein Stadion für seinen Fußballverein zu errichten. Mittlerweile will er mit weniger Geld anderswo bauen.
Die besten Karten, das Gelände zu bekommen, hat derzeit die Universität von Mailand. Sie erwägt, hier eine Universitätsstadt zu bauen, die zweite in Italien, achtzig Jahre nach der Città Universitaria in Rom von Marcello Piacentini. Das ist eine interessante Aussicht: Die Uni hat heute einen prachtvollen Sitz in der Ca’ Granda, dem großen Hospital, erbaut von Filarente in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, aber auch unzählige Institute, verteilt über die ganze Stadt, mit dem Problem der Verwaltung und Koordinierung al-ler Immobilien. Der Vorschlag der Uni ließe sich gut mit der Idee der Vereinigung der Industriellen der Lombardei (Assolombarda) verbinden, die von einem Mailänder Silicon Valley träumen, von 100.000 Quadratmetern für die Forschung, an die sich Sport- und Freizeiteinrichtungen anschlössen.
Stefano Boeri, zusammen mit Richard Burdett, Jacques Herzog und William McDonough der Autor des Masterplans der Expo von 2009, hat bei verschiedenen Anlässen die Option unterstützt, das Gebiet in einen großen Park für landwirtschaftliche Lebensmittelerzeugung zu verwandeln, eine plakative Hypothese, die mit Unterstützung des Obst- und Gemüsegroßmarkts Mailand durchführbar wäre. Eine weitere Initiative Boeris betrifft die Neunutzung der Pavillons der Expo. In einem Brief an den Generalsekretär des Bureau International des Expositions (BIE) Vicente Loscertales, veröffentlicht in der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera zehn Tage vor der Eröffnung, ist zu lesen: „Es scheint uns absurd, dass die Expo riskiert, den ausrichtenden Städten eine Situation der Verwahrlosung zu hinterlassen. Ein buchstäblich unerträgliches Erbe.“ Darum fordert er, das Reglement des BIE zu ändern: „Wir wissen gut, dass die Regel, die die sofortige Schließung der Expo in der Nacht nach dem Ablauf der sechs Monate der Ausstellung und den Abbau eines großen Teils der Pavillons vorsieht, mit dem Ziel erlassen wurde, die Zukunft der Orte nicht zu konditionieren und keine platzraubenden Spuren bei den Gastgebern zu hinterlassen. Aber heute, da die Städte, die die Expo beherbergen, beträchtliche öffentliche Ressourcen aufwenden für die Vorbereitungen, den Bau von Dienstleistungseinrichtungen und neuer Infrastrukturen und für die Unterbringung der Besucher – erscheint uns diese Regel wirklich anachronistisch“. Er schlägt vor, dass das BIE die Städte über die Zeit der Ausstellung hinaus begleitet und einen zweiten, nicht temporären Teil der Expo realisiert. So ließen sich Ressourcen besser nutzen, es würde weniger verschwendet und eine schrittweise urbane Entwicklung befördert.
Triennale
In Mailand gibt es noch ein ehrgeiziges Projekt für das Expo-Gelände: Die Triennale di Milano wird 2016 ihre XXI. Internationale Ausstellung eröffnen. Sie könnte für das Gelände eine Übergangslösung sein, bis sich ein neues Projekt konkretisiert. Temporäre Bauten der Expo könnten auch in einem Jahr noch gut genutzt werden.
Die Verspätung der Planung für die Nachnutzung ist unverständlich: „Für die Expo in Lissabon“, erzählt Antonella Bruzzese, Dozentin für Städtebau am Politecnico die Milano, „war der Masterplan schon mit dem Gedanken an die zukünftige städtebauliche Entwicklung des Gebiets entworfen worden, während wir in Mailand jetzt erst im letzten Moment das Thema angehen, ohne einen Entwurf mit langem Atem.“ Die Gebäude der Expo, die das Ende der Veranstaltung überleben werden, sind der Palazzo Italia vom Büro Nemesi, das Expo Center von Michele De Lucchi, das Freilufttheater und die restaurierte Cascina Triulza. Es sind zu wenige, um Ordnungsprinzip oder Inspiration für die Urbanisierung des gesamten Geländes zu sein.
Das Gebiet der Expo hat, trotz seiner noch ungewissen Nachnutzung, die Grenzen von Mailand verschoben, oder es hat zumindest den Bürgern die schon seit einiger Zeit feststehende, doch noch kaum wahrgenommene Tatsache vor Augen geführt, dass die Stadt nicht durch ihre Kommunalgrenzen, ja nicht einmal ihre Begrenzung durch den Autobahnring, bestimmt wird. Vielmehr ist sie inzwischen eine wirtschaftliche, kulturelle und soziale Einheit mit unklaren Grenzen. Meiner Meinung nach ist dies die beste Wirkung der Expo: Die Stadt entdeckt sich auch anderswo als groß und komplex, fern der Galleria, der Piazza Duomo und dem Modeviertel.
Aus dem Italienischen von Iris Lüttgert

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