Bauwelt

Handwerk, Bauhaus, Industrie

Die Ausstellung „Das Handwerk wird modern. Vom Herstellen am Bauhaus“ in Dessau bildet den Auftakt zum 100-jährigen Jubiläum des Bauhauses

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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    Erziehung am Fließband? Otti Berger auf dem Hochwebstuhl: Die Weberei war eine der profitableren Werkstätten am Bauhaus.
    Foto: Bauhaus-Archiv Berlin © Yamawaki Iwao & Mi­chiko Archives

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    Erziehung am Fließband? Otti Berger auf dem Hochwebstuhl: Die Weberei war eine der profitableren Werkstätten am Bauhaus.

    Foto: Bauhaus-Archiv Berlin © Yamawaki Iwao & Mi­chiko Archives

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    Trotz des verfolgten In­dus­triecharakter der Lehre, eigneten sich nicht alle Entwürfe für die Serienproduktion.
    Foto: Stiftung Bauhaus Dessau, © Thomas Meyer/Ostkreuz

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    Trotz des verfolgten In­dus­triecharakter der Lehre, eigneten sich nicht alle Entwürfe für die Serienproduktion.

    Foto: Stiftung Bauhaus Dessau, © Thomas Meyer/Ostkreuz

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    Webunterricht bei Gunta Stölzl Helene Meyer-Bergners. Mitschrift mit Patronenzeichnungen und Stoffbeispielen aus der Jacquardweberei, 1927.
    Foto: Stiftung Bauhaus Dessau

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    Webunterricht bei Gunta Stölzl Helene Meyer-Bergners. Mitschrift mit Patronenzeichnungen und Stoffbeispielen aus der Jacquardweberei, 1927.

    Foto: Stiftung Bauhaus Dessau

Handwerk, Bauhaus, Industrie

Die Ausstellung „Das Handwerk wird modern. Vom Herstellen am Bauhaus“ in Dessau bildet den Auftakt zum 100-jährigen Jubiläum des Bauhauses

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Sogenannte Drittmittel und ihr Konflikt mit einer zweckfreien Lehre und Forschung sind kein neuartiges Problem heutiger Hochschulen. Schon das notorisch unterfinanzierte Bauhaus musste in Weimar wie Dessau versuchen, einen Teil des Etats mit eigenen Produkten sowie Entwürfen und Prototypen für die Industrie zu erwirtschaften. Gründungsdirektor Walter Gropius erhob die Not zur programmatischen Tugend, beschwor, forciert ab 1923, einen neuen Typ Entwerfer, der die zeitgemäße Industrieform zum Ziel avancierter Gestaltung erhob. Auch nach dem Tod von Gropius gelang es, den Erfolg dieser Idee des Bauhauses anhand einer kleinen Zahl ikonischer Entwürfe und Designklassiker unter Beweis zu stellen. Dabei blendete man interne wirtschafts- wie institutionskritische Vorbehalte ebenso aus wie wohl die Mehrheit, nicht als Serienprodukt konzipierter oder herangereifter Entwürfe. Wilhelm Wagenfeld hat einmal die ersten Reaktionen auf den Prototyp seiner kleinen Tischleuchte geschildert. Auf der Leipziger Herbstmesse 1924 erntete sie nur den Spott der Händler und Fabrikanten: Sie sähe zwar billig aus wie Maschinenarbeit, wäre aber teures Kunsthandwerk. Und das ist die legendäre Bauhausleuchte geblieben.
Eine Ausstellung im Bauhaus Dessau geht einigen Aspekten und Widersprüchen nach. In der ehemaligen Weberei illustrieren vier Themenblöcke das Handwerk im Curriculum des Bauhauses sowie im Marketing. Ein Prolog beschäftigt sich mit heutigen politisierten bis aktivistischen Auslegungen handwerklicher Praxis in Schwellenländern, auch als konsumkritische Position.
Der Umzug des Bauhauses von Weimar nach Dessau bedeutete 1926 seine Anerkennung als staatliche Hochschule mit eigenem Diplom. Vorher konnte lediglich die verpflichtende Handwerkslehre mit dem Gesellenbrief absolviert werden. Dem Hochschulstatus folgte die Konstituierung fachspezifischer Abteilungen. Die handwerkliche Ausbildung blieb obligatorisch, auch wenn die Werkstätten nun als „Laborato­rien” zur Herstellung von Modellen für die Industrie interpretiert wurden. Gleich blieb auch die Leitung durch je zwei Personen: ein Handwerker als „Werkmeister” und ein Künstler als „Formmeister” (nun im Rang eines Professors). Die Ausstellung tituliert sie als „Ungleiche Paare” in der Hierarchie der Bauhauslehre, zeigt aber anhand eigener Arbeiten der Werkmeister durchaus bemerkenswert künstlerische Auslegungen ihrer Gewerke. Der Metall-Werkmeister Alfred Schäfter etwa entwickelte 1931 eine Leuchte aus Aluminium, die mit einer Schirm-Kaskade das Prinzip der Blendfreiheit antizipierte, formal verwandt den weiter optimierten skandinavischen Fabrikaten aus den späten 50er Jahren. Und der Tischlerei-Werkmeister Karl Bökenheide kombinierte 1932 Stahlrohr, Holzkorpus und Glasplatte zu einem Frisierschränkchen, ganz im Geiste des Formmeisters Marcel Breuer und seiner Entwürfe für die Firma Thonet. Gleichwohl mag es Konfliktpotential gegeben haben, wie es personelle Fluktuationen erahnen lassen.
Neben der Metallwerkstatt, hier etwa durch die „Kandem”-Leuchten von Marianne Brandt und Hin Bredendieck für einen Leipziger Hersteller, war erstaunlicherweise die Weberei, die man eher mit handgefertigten Unikaten dekorativer Architekturausstattung assoziiert, eine der profitableren Werkstätten. Dabei entstand sie laut Schilderungen von Gunta Stölzl, ab 1927 Gesamtleiterin der Weberei, per Zufall, als sich in Weimar Webstühle fanden, eine Kollegin und sie darauf experimentierten und sich das handwerkliche Rüstzeug in der Webereifachschule Krefeld aneigneten. Ästhetisch prägend wurden die expe­rimentelle Grundlehre von Johannes Itten mit einfachen Geometrien und Kontrasten sowie die Formenlehre durch Paul Klee – er war zudem kurzeitig Meister der Weberei – in stärkerer Harmonie und fein abgestuften Farbwerten. Eine künstlerisch vielfältige Studentin wie Anni Albers, die 1931 übergangsweise die Leitung übernahm, erarbeitete sich aber auch Freiräume und erschloss die Bildwelten präkolumbianischer Völker für einen autonomen textilen Ausdruck.
Bereits in Weimar war ein eigener Produktionsbereich eingerichtet worden, Gropius ließ mit dem Umzug nach Dessau die Rechte an 180 textilen Erzeugnissen sichern. Individualstile wurden nun weniger gefördert, Augenmerk galt dem Verwendungszweck eines Textils und seiner Modellhaftigkeit für die industrielle Herstellung. Aber eine systematische Marktorientierung unterblieb, etwa durch Sortimentsbildung, und auch die Mechanisierung durch Jacquard-Webstühle entfachte Kontroversen. Neben die Lehrwerkstatt trat eine (mit vier Angestellten wohl unterbesetzte) Produktion, häufig wurden Studierende hinzugezogen. 1928 beklagte Margaretha Reichardt, die mit der Entwicklung von Eisengarngewebe zur Bespannung von Stahlrohrmöbeln stark in den Verwertungsprozess eingebunden war, in einer Collage zur Semesterabschlussausstellung den Produktionsdruck in der Weberei, gar eine „Erziehung am Fließband”, die kaum Zeit für Versuchsarbeit ließe. Exemplarisch kulminiert hier der Widerspruch zwischen staatlicher Hochschule und privatrechtlichem Wirtschaftsbetrieb, seit November 1925 Bauhaus GmbH, der sich ab etwa 1928 durch eine Aluminiummarke auch sichtbar auf größeren Textilien dokumentierte.
Mit ihrer Kritik war Margaretha Reichardt nicht allein. Ebenfalls 1928 quittierte László Moholy-Nagy seinen Dienst als Formmeister der Metallwerkstatt und fand dazu klare Worte: „Wir sind in unmittelbarer Gefahr, genau das zu werden, was wir als Revolutionäre bekämpften: eine berufliche Ausbildungsschule, die nur das End­produkt bewertet und die Gesamtentwicklung des Menschen ignoriert. (...) Ich kann es mir weder schöpferisch noch menschlich leisten, auf dieser spezialisierten, rein objektiven und nutzbaren Basis weiterzumachen. (…) Der Geist der Konstruktion ist durch die Tendenz der Anwendung ersetzt worden.”
Leider erfährt man in der Ausstellung wenig vom späteren Bauhaus, etwa zur Konzentration dreier Werkstätten als architektonische Ausbauabteilung unter Hannes Meyer. Auch die (kommerziell erfolgreichen) Bauhaus-Tapeten bleiben unerwähnt, ebenso die ab 1931 nun durch industrielle Webereien gefertigten Meterwaren, entworfen von Otti Berger und Lily Reich.

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Bilder Vom Herstellen am Bauhaus

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