Bauwelt

Blumengroßmarkt wird Akademie


Angebautes Wissen


Text: Crone, Benedikt, Berlin


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    Foto: Jüdisches Museum Berlin

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    Foto: Angela M. Arnold

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    Foto: Jan Bitter

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Es wird eng im Jüdischen Museum in Berlin. Die Besucher stehen Schlange, das Archiv läuft über, und die vielen Seminare und Workshops verlangen nach neuem Raum. Daniel Libeskind hat dem Museum nun eine Akademie in eine Großmarkthalle auf der anderen Straßenseite gewürfelt – und wieder zahlreiche Anspielungen versteckt.
Blumen bieten eine dankbare Vorlage für metaphorische Wortspiele. Das wusste auch Daniel Libeskind, als er 2011 die Baustelle der von ihm entworfenen Akademie des Jüdischen Museums in der alten Kreuzberger Blumengroßmarkthalle besuchte und der Presse verkündete: „Künftig werden hier die Blumen des Wissens und der geschichtlichen Forschung blühen.“ Die Akademie soll als Haus-im-Haus-System Bibliothek, Archiv und Seminarräume des Museums unter dem Dach der 6400 Quadratmeter großen Markthalle vereinen. Die Eröffnung folgt im Mai, ein halbes Jahr später als geplant. Wie bei einem anderen Berliner Projekt machte der Brandschutz Schwierigkeiten: Die Installation der Sprinkleranlage zog sich hin, und der lange Winter verzögerte Außenarbeiten. Der blühende Frühling des Wissens kommt erst noch.
Bisher gelangt man nur über Umwege, durch Eingangsbereich und Verwaltungseinheit, in das wissenschaftliche Herz des Museums. Dort platzen nicht nur die Sammlung und das Archiv zur Geschichte deutscher Juden aus allen Nähten. Auch mit der hohen Nachfrage von Schulen, Unis und Instituten nach Pädagogikangeboten hatte man bei der Konzeption des Museums nicht gerechnet. 750.000 Besucher strömen jährlich hierher, ursprünglich vorgesehen waren die Räume für nur 300.000. Zu beliebten Ausstellungen, wie der im März angelaufenen „Die ganze Wahrheit“, kommen sogar statt der üblichen 2000 Besucher täglich bis zu 8000.
Bei diesem Platzmangel kam wie gerufen, dass auf der anderen Straßenseite die 1965 von Bruno Grimmek errichtete Markthalle, trotz einer Sanierung im Jahr 1998, den Anforderungen der Blumenhändler nicht mehr genügte. Die landeseigene Berliner Großmarkt GmbH ordnete für 2010 den Umzug in eine neue Halle nach Moabit an, und die Stadt Berlin spielte als Eigentümerin der alten Halle die übliche Nachnutzungsszenarien durch, vom Abriss über Wohnimmobilien bis zur Kunsthalle. Am Ende ging das Grundstück mit der Halle an die Stiftung des Jüdischen Museums Berlin. Die 11,8 Millionen Euro Baukosten werden mit 7,5 Millionen Euro aus Bundesmitteln bezuschusst, der Rest kommt von privaten Spendern. Besonders großzügig zeigte sich der 2010 verstorbene amerikanische Chemieunternehmer Eric F. Ross, nach dem die Halle benannt werden soll.
Die Geschichte des Ortes, an dem 120 Jahre lang palettenweise Tulpen, Nelken und Vergissmeinnicht durch diese und die Vorgängerhallen geschoben wurden, will Libeskind nicht einfach ignorieren. Tatsächlich wirken die mit Pinienholz vertäfelten drei Kuben, die schräg im ersten Bauabschnitt liegen, wie überdimensionale Blumenkisten, die beim hastigen Auszug der Blumenhändler von der Ladefläche gepurzelt und in der Erde versunken sind. Ein Kubus durchschlug dabei augenscheinlich die Vorderseite der Großmarkthalle und ragt nun als Eingang ins Freie. „Daniel Libeskind mag den Kontext“, erläutert Projektleiter Jochen Klein den Bezug zur alten Nutzung der Halle. Während sich andere nicht trauten und historische Gebäude mit Samthandschuhen anfassten, durchsticht Dekonstruktivist Libeskind ihre empfindlichen Membranen mit feinfühliger Brutalität.
Im Gegensatz zum geübten Chirurgen bleiben seine Behandlungsinstrumente aber im Patienten stecken, bis sie vom Baukörper als fester Bestandteil angenommen werden. Berühmtes Beispiel: der Neubau, den Libeskind mit HG Merz und Holzer Kobler Architekturen wie einen Keil in das Militärhistorische Museum in Dresden rammte. Im Vergleich zu diesem dramatischen Eingriff lugt der Eingangskubus der Akademie eher vorsichtig, wie der Kopf einer Schildkröte, aus seinem Markthallenpanzer. Eine Sichtachse verbindet von hier die Akademie mit dem Museum. Sie lenkt den Blick, durch eine schräge Glasscheibe im Eingangskubus, auf das barocke Kollegienhaus auf der anderen Straßenseite – verfehlt aber knapp den Haupteingang des Museums. Auch ein Zitat des Philosophen Moses Maimonides, „Höre die Wahrheit, wer sie auch spricht“, das in fünf Sprachen kreuz und quer über die Vorderseite der Halle verläuft, soll einen Bezug zum Museumsneubau herstellen. Der Schriftzug ist aus Zink, genauso wie die Titan-Zink-Fassade der Museumserweiterung von 2001.
Um die Ecke gebaut Libeskinds Vorliebe für verkopfte Analogien und gebautes Um-die-Ecke-Denken wird einem spätestens dann bewusst, wenn man die Akademie betreten will: Folgt man vom Museum kommend gutgläubig der Sichtachse, stößt man mit der Nase gegen die Glasscheibe. Die Eingangstür befindet sich rechts davon und führt in den 180 Quadratmeter großen ersten Kubus. Hier formen sechs Oberlichter die hebräischen Buchstaben Alef und Bet, die dem Besucher bei ausreichend Sonnenschein vor die Füße geleuchtet werden sollen. Ist die Sicherheitskontrolle passiert zeigt sich, hinter einer Glasdecke und einem Fensterschlitz, die Markthalle mit ihrem rhythmischen Shed-Dach und ihren dominanten graublauen Trägern, die Libeskinds Verwirrspiel wieder in geordnete Bahnen lenken. Nach dem Slalom durch den verwinkelten Eingangsbereich bietet die Weite der Halle einen willkommenen Ausgleich zum Luftholen.
Links führt ein Glasgang in den zweiten Kubus, das Auditorium, rechts befindet sich im dritten Kubus die Bibliothek. Die wankenden Holzwürfel sollen nicht nur an Blumenkübel, sondern auch an die Arche Noah erinnern, aber auch an die Transportkisten, in denen die Nachlässe der Juden, die einst ins Exil flohen, heute zurück nach Deutschland ins Archiv des Museums kommen. Aus den beiden Kuben schieben sich zwei Riegel mit Seminar- und Lagerräumen in die Seitenschiffe der Halle, die so schlicht und gerade aussehen, als wären Libeskind die schrägen Ideen ausgegangen. 2014 zieht die Verwaltung des Museums in den hinteren Bürotrakt der Halle. Offen ist noch, was mit dem mittleren Bauabschnitt geschehen soll.
Für die vordere, 900 Quadratmeter große Freifläche hatte sich Libeskind eigentlich einen biblischen Garten gewünscht, wie er im Alten Testament steht. Doch Dattelpalme und Olivenbäume wollten in der kühlen Halle nicht wachsen. Nur die drei Kuben, die Riegel und die Büroräume werden beheizt. Die Landschaftsarchitekten von Atelier le Balto aus Berlin planten daher in der Halle auf vier vermeintlich schwebenden Stahlplateaus den Garten der Diaspora (griechisch: Verstreutheit). Seminarbesucher können Samen und Pflanzen aus  jenen Ländern, in denen Juden Exil fanden, auf den Plateaus in Blumenderde verbuddeln, in der Hoffnung, dass sie dort  bei Nordlicht gedeihen. Ein symbolischer Akt des Zusammenkommens und Zusammenwachsens. Dann lässt sich auch hier noch eine Verknüpfung herstellen: von der Vergangenheit der Blumenmarkthalle, über den Garten der Diaspora, bis zu Libeskinds Verkündung einer baldigen Blütezeit des Wissens.



Fakten
Architekten Libeskind, Daniel, New York, Grimmek, Bruno (1902-1969)
Adresse Blumengroßmarkt 10969 Berlin


aus Bauwelt 16.2013
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