Bauwelt

Alabaster ist das nicht

Text: Fischer, Ludger, Brüssel

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Stefan Müller

  • Social Media Items Social Media Items

Stefan Müller


Alabaster ist das nicht

Text: Fischer, Ludger, Brüssel

Hauchdünn geschnittener, transluzenter Stein, der den Innenraum in ein kontemplatives Licht taucht – mit dieser Idee hatte Max Dudler 2006 den Wettbewerb für die Bibliothek der Folkwang-Universität in Essen-Werden gewonnen. Jetzt ist das Gebäude fast fertig. Aus dem Stein wurde eine Doppelverglasung mit Steinfotos.
Wenn ein Wettbewerbsentwurf seinen Reiz zu großen Teilen daraus bezieht, dass alle Fassaden vom Erdgeschoss bis zur Traufkante aus hauchdünn geschnittenem Stein hinter Glas bestehen sollen; wenn dieser Entwurf unter vielen anderen ausgewählt wird; wenn die Entwurfsidee dann aber aus praktischen und vorwiegend finanziellen Gründen von „transluzentem Stein“ auf „bedrucktes Glas mit zwölf wechselnden Sandsteinmotiven“ geändert wird, dann ist das wirklich eine bedauerliche Reduktion des Konzepts.

Geplant war ein Schmuckkästchen aus edelstem Material. Gebaut wurde ein Haus mit einer begrenzt haltbaren Glasfassade. Auch Max Dudler bedauert den vorgenommenen Wechsel des Materials, zu verantworten hat er ihn trotzdem. Ihm hatte vorgeschwebt, ein ganzes Haus mit einem Material zu verkleiden, das den an gotischen Kirchen eingesetzten Alabasterfenstern ähnelt. Konkrete Versuche dazu wurden allerdings nicht unternommen, geschweige denn, eine Kalkulation erstellt, was das Ganze denn kosten würde. Es hätte, das kann man sich denken, sehr viel gekostet. Deshalb wurde noch in der Planungsphase entschieden, keine hauchdünnen Steine hinter Glas zu montieren, sondern Fotos von Stein zwischen die Doppelglasscheiben zu drucken. Die Motive dazu lieferte der Architekturfotograf Stefan Müller. Dass sich die Fotomotive alle zwölf Scheiben wiederholen, führt, nebenbei bemerkt, zu einem unschönen Déjà-vu-Effekt. Ungewiss ist bisher auch, wie lichtbeständig die Drucke innerhalb der Doppelverglasung überhaupt sind.

Die extrem reizvolle Idee von dauerhaftem Stein, der, hauchdünn geschnitten, lichtdurchlässig wird und nicht nur einige Fenster bildet, sondern die gesamte Fassade umhüllt, der tags das Sonnenlicht gefiltert in den sehr introvertierten Innenraum der Bibliothek dringen und nachts das ganze Gebäude leuchten lässt – diese Idee hat den Architekten und die Juroren des Wettbewerbs offensichtlich vergessen lassen, was realistisch machbar ist.

Doch in Essen geht es nicht nur um die Fassade, sondern um eine seit Jahrzehnten andauernde Debatte um die Erinnerungskultur und das gewünschte Stadtbild. Essen war 2010 Kulturhauptstadt. Eine Kulturstadt war Essen auch vorher schon, und das wird sie trotz eines deutlichen Mangels an anspruchsvoller Architektur und trotz zahlreicher Abrisse und unsensibler Ersatzbauten wohl auch bleiben. Die drei unnötigsten Abrisse sind das markante neugotische Rathaus von Peter Zindel (1878–88, abgerissen 1965), das elegante Jugendstil-Kauf- haus „Althoff“ von Wilhelm Kreis (1910–12, gesprengt 2008) – und das burgenartige Lazarett der Königlich-Preußischen Strafanstalt (1845–47, abgebrochen 1969). Letzteres war Teil der ehemaligen Benediktinerabtei von Essen-Werden, die 1802 von den Preußen säkularisiert und zum Zuchthaus umgebaut wur­de und heute den „Campus Werden“ der Folkwang-Universität der Künste beherbergt.

Barockabtei oder Strafanstalt?

Die neue Bibliothek füllt eben jene städtebauliche Lücke, die an dieser Stelle seit über 40 Jahren klaffte. Denn das Lazarett hatte außer der praktischen auch die wichtige Funktion, den ehemaligen Ehrenhof der Abtei städtebaulich zu schließen. Es bildete an der Südseite des Hofs das Gegenstück zur Strafanstaltskirche im Norden, dem so genannten „Preußenflügel“ (1852–54). Dieser genießt mittlerweile Bestandsschutz, nachdem eine Studenteninitiative 1988 angesichts der bereits angerückten Abbruchbagger ein 677-stündiges Nonstop-Konzert veranstaltete. Wie der Preußenflügel hatte auch der Lazarettflügel einen zinnenbesetzten Turm. Die „Festung“ war so hundert Jahre lang ein fester Bestandteil im Stadtbild von Werden, seit 1929 ein Stadtteil von Essen.

Ab 1986 hat man versucht, der einstigen Abtei ihr „barockes Erscheinungsbild“ zurückzugeben. Sämtliche Bauten, die zur Zeit der Nutzung als Gefängnis errichtet worden waren, sollten verschwinden, das „Erbe der Abtei Werden“ nicht länger durch die Erinnerung an die Strafanstalt beschmutzt werden. Die zweigeschossigen Aufbauten auf den östlichen Konventshäusern wurden abgebrochen. Das für die Rekonstruktion zuständige städtische Hochbauamt hatte freie Hand bei der Innenraumgestaltung und hat alle Decken und Innenwände abgerissen. Mit diesem Abbruch begann dann auch die Debatte um die Denkmalwürdigkeit der Strafanstaltsgebäude.
Das neue Bibliotheksgebäude von Max Dudler schließt jetzt den barocken Ehrenhof und späteren Gefängnishof und behebt damit den enormen städtebaulichen Schaden, der durch den Abriss entstanden war. Das ist mit dem Bau, der am 19. September offiziell eingeweiht wird, auf eine überzeugende Weise gelungen. Dass sich die scheinbare Steinfassade bei näherer Betrachtung als Fotocollage herausstellt, trübt die Freude zumindest insofern, als dass mit der Materialwahl von Dauerhaftigkeit wohl kaum mehr die Rede sein kann.  

0 Kommentare


loading
x
loading

9.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.