Architekturtheorie
Eine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart
Text: Hammerschmidt, Valentin
Architekturtheorie
Eine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart
Text: Hammerschmidt, Valentin
Auch akademische Disziplinen haben ihre Konjunkturen und Moden. So schien die vitruvianische Architekturtheorie lange Zeit verstaubt und eine Angelegenheit philologischer Spezialisten. „Moderne“ Architekten wollten sich lieber den Wissenschaften unterstellen: von der Biologie über die Soziologie bis zur Informationstheorie, neuerdings gerne auch der nichtlinearen Mathematik. Man könnte mit Peter Collins‘ „Changing Ideals in Modern Architecture“ (1965) Architekturgeschichte im Spiegel ihrer Hilfswissenschaften schreiben.
Daher wurde das Erscheinen von H.-W. Krufts über 700-seitiger „Geschichte der Architekturtheorie“ 1985 bei den Architekten anfangs nicht einhellig begrüßt; sie erwies sich aber schnell als unentbehrliches Kompendium. Bald zeigten die Widmungen von Architekturlehrstühlen und dickleibige Florilegien, wieviel Hilfe sich die verunsicherte Praxis von einer Disziplin erwartete, die im postmodernen „Strudel der Begriffe“ (Erben) selbst kaum noch als Einheit darstellbar ist.
Dietrich Erben von der TU München legt nun auf ganzen 130 Seiten eine Einführung in die Architekturtheorie „von der Antike bis zur Gegenwart“ vor. In diesem Rahmen wird man keine Gesamtdarstellung erhoffen und kein pures Name Dropping befürchten. Erben verzichtet weitgehend auf Definitionen; er reiht in einer klugen, aber nicht weiter erklärten Auswahl Ecktexte zu einem chronologischen Ablauf und bespricht auch Rhetorik und Bildstrategie der Quellen. Eine solche Auswahl bedarf eigentlich keiner Rechtfertigung. Man sollte den Text als einen Essay lesen – dennoch ist er auch für Studenten gut geeignet, nicht zuletzt wegen der klaren Sprache.
„Theorie“ ist für Erben die reflektierende Nacherzählung; undiskutiert bleibt, wie sie zu der Norm wird, als welche die Architekturtheorie auftritt, wenn sie sich an Architekten wendet, also dem Bauen vorausgeht. Sein kunstwissenschaftlicher Blick gilt mehr dem Ergebnis als der Entstehung von Architektur – eine Blickrichtung, der etwa aus Erfurt (Günther Fischer) deutlich widersprochen wird.
Als zentrales Thema des 19. und 20. Jahrhunderts definiert Erben den „Raum“ (nicht die Auseinandersetzung mit Technik, Konstruktion, Komposition; Auguste Choisy oder Julien Gua-det kommen nicht vor), und setzt alle Bedeutungen des Wortes gleich: den ästhetische Raum bei Schmarsow, das städtische Milieu bei Sullivan, den völkischen Lebensraum bei den Nationalsozialisten – weniger den physischen Raum zwischen vier Wänden, das Ziel und Ergebnis des Bauens. Erben scheint stattdessen an zeitgenössische Theoreme anzuschließen, wonach das Werk in der Rezeption entsteht, der Raum erst durch seine Benutzer erschaffen wird.
Auf der letzten Seite holt ihn diese Lesart ein: Etwas überraschend nach der chronologischen Abfolge möchte er John Evelyn, einen Autor des 17. Jahrhunderts, als Vorläufer seiner Auffassung präsentieren. Erben glaubt, bei ihm den „das Haus verzehrenden Bewohner-Architekten“ zu finden. Tatsächlich schreibt Evelyn aber von einem „Architectus sumptuarius“, dem Architekten des Etats, „a full and overflowing Purse“ – zur Architektur braucht es nämlich auch einen kunstverständigen Investor und Patron. Auch das verweist auf ein aktuelles Problem, aber in einem ganz anderen Sinn.
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