Bauwelt

Abfall reduzieren, Risiken minimieren

Der amerikanische Architekt Greg Lynn über die Triebkräfte von Augmented Reality und den Einfluss auf die Arbeit von Planern und Architekten

Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin

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Mithilfe einer VR-Brille konnten die Besucher der Architekturbiennale 2016 in Venedig Greg Lynns Entwurf erkunden
Foto: Studio Greg Lynn

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Foto: Studio Greg Lynn


Abfall reduzieren, Risiken minimieren

Der amerikanische Architekt Greg Lynn über die Triebkräfte von Augmented Reality und den Einfluss auf die Arbeit von Planern und Architekten

Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin

Herr Lynn, was ist Augmented Reality?
Für mich geht es bei Augmented Reality (AR) da­rum, virtuelle Schichten räumlicher Informatio­nen über die Realität zu legen. Es geht nicht um simulierte Realitäten oder alternative Wirklich­keiten. Die überlagerte Geometrie entspricht dem physischen Raum und ist ihm verbunden.
Welche Bedeutung oder welchen Einfluss hat AR auf Ihre Arbeit?
AR haben wir bisher bei zwei Projekten eingesetzt. Zum einen bei der Ausstellung im Pavillon der USA auf der Architekturbiennale in Venedig 2016. Dort haben wir unsere Pläne für eine alte Auto­fabrik in Detroit vorgestellt. Die Besucher bekamen eine Brille aufgesetzt, und während sie um das Modell herumgingen, erhielten sie Informa­tion über die Geschichte des Ortes, die Logistik der alten Industrieanlage und die verschiedenen Funktionen und Aktivitäten auf dem Gelände. Ein anderes Mal, im Canadian Center for Architecture, zeigten wir drei Sockel, auf denen normalerweise Modelle gestanden hätten. Stattdessen gaben wir den Besuchern Google Tango-Tablets an die Hand. Sie konnten die Tablets um die Sockel herum bewegen und sahen auf dem Bildschirm die Modelle digital. In beiden Fällen ging es also um Entwurfsinstrumente, Informationsvermittlung und um das Ausstellen.
Wie verändert AR die Arbeit von Architekten?
Seit 1999 produziert mein Büro immer wieder 3D-Daten für einzelne Elemente – vom Baustahl bis zum Möbel. In vielen Fällen liefern wir auch Daten für CNC-gesteuerte Maschinen zur Herstellung von Bauteilen. Die Anwendung von Building Information Modeling (BIM) für das Anfertigen von Zeichnungen, die die Hersteller in Werkzeugwege und für das Aufmaß beim Bauen umrechnen, erscheint als seltsame aber notwendige Strategie. Viele Hersteller und Bauunternehmer haben sich zuerst schwer getan, digitale BIM-Inhalte anzunehmen, und ich kann es ihnen kaum verübeln; denn es ist ein fehlerbehaftetes Konzept. Aber es ist schon eindrucksvoll, wie 3D-Informationen für alle Gewerke von der Elektrik über die Klimatechnik bis zum Innenausbau auf die Baustelle gebracht werden. BIM ist eine dieser Erfindungen, von denen man sicher weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die ganze Branche damit arbeitet.
Hat man das seinerzeit für die digitale Entwicklung auch vorhergesagt?
Als junger Architekt musste ich mir vor über dreißig Jahren anhören, dass es keinen Bedarf an 3D-Digitalmodellen für Architekten geben werde. In den Achtzigern sprach man von einem Nischenmarkt mit geringer praktischer Bedeutung, bestenfalls geeignet, um lustige Gebäude zu entwerfen. Mein größter Fehler war damals, die Geschwindigkeit unterschätzt zu haben, mit der sich die digitale Technologie in der Bauwirtschaft durchsetzte. In weniger als einem Jahrzehnt wurde sie zum Standard, und dieselben Architekten, die früher gesagt hatten, sie würden niemals ihre Zeichenbretter und Zeichenstifte aufgeben, verkaufen sich heute als die Meister des Digitalen. Derselbe Fehler wird mir bei AR nicht passieren. AR ist eine die gesamte Branche verändernde Technologie, die ganz sicher auch das Verhältnis von Entwurf und Realisierung verändern wird, die Beziehungen zwischen denen, die entwerfen, und denen, die bauen. Auch das Verhalten der Verbraucher wird sich wandeln, wenn sie die Entwür­-fe in ihre eigenen Räume projiziert sehen können.
Was sind die Triebfedern von AR?
Die Bauwirtschaft ist eine große und verschwenderische Industrie. AR ermöglicht, Abfall zu re­duzieren, vorab Unklarheiten zu beseitigen, Risiken zu minimieren und so Zeit und Geld zu sparen. Dieselben Chancen waren auch die Triebkräfte der Digitalisierung vor zwanzig Jahren. Die Industrie wird AR wegen ihrer Effizienz und ihren Einsparmöglichkeiten, kurzum wegen des Profits, in den sich das übersetzen lässt, in vollem Umfang einsetzen. Gleichwohl ergeben sich bei einer solchen Transformation auch kreative und kulturelle Konsequenzen. Das kreative Potenzial, die Ausdrucksfähigkeit der neuen Instrumente und damit auch ihre kulturelle Bedeutung haben mich damals wie heute eher interessiert.
Wie wird AR die Arbeitsweise der Architekten und den Entwurfsprozess verändern?
Einige Architekten und Ingenieure werden künftig mehr mit Herstellung und Montage zu tun haben und weniger mit Zeichnungen. AR kann also durchaus auch eine Gefahr für Architekten und Designer sein, nämlich dann, wenn sie 2D-Spezialisten bleiben wollen.
Wird AR so etwas wie „the next big thing in architecture” sein?
Das ist so, als fragte man, ob autonome Fahrzeuge the next big thing in der Autoindustrie wären, Na klar ist es the next big thing in architecture. Wenn man bis jetzt noch nicht Haus und Hof da­rauf verwettet hat, ist es eine Schande. Wenn die größten Unternehmen der Welt (Google, Micro-soft, Facebook) auf AR setzen, dann sicher nicht wegen der Spiele-Industrie. Alle Welt blickt jetzt auf die AEC-Industrie (Architectural, Engineering, Construction) als Kandidaten für diese Transformation. Also: für Ihre Leser wäre es besser, Teil dieser Wende zu werden als deren Opfer.
Aus dem Englischen von Michael Goj
Fakten
Architekten Lynn, Greg, Los Angeles
aus Bauwelt 38.2016
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