Bauwelt

Cineroleum


„Hier ging es um ein surreales Erlebnis“


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Cineroleum war ein selbstinitiiertes Projekt, das eine heruntergekommene Tankstelle in ein Kino verwandelte. Damit wollten wir zeigen, welches Potenzial die aufgegebene Infrastruktur der autogerechten Stadt für neue öffentliche Räume besitzt.
Verschlossen mit einem verzierten Vorhang, der vom Vordach der Tankstelle herabgelassen werden konnte, glich das Cineroleum einer Variation über die verschwenderischen Interieurs, mit denen die Filmpaläste zu ihrer Glanzzeit die Zuschauer begrüßten. Ein fünfwöchiges Filmprogramm lockte mehr als zweitausend Besucher an – jede Vorstellung war ausverkauft.

Unsere begrenzten Mittel führten zu einem einfallsreichen Materialgebrauch. Gewohnte Elemente der Kino-Ikonographie wurden mit billigen, geschenkten oder weiterverwendeten Materialien neu erfunden. Eigens entwickelte Handbücher für die Montage luden die Anwohner zur Teilnahme am Bauprozess ein. Dabei waren ihre handwerklichen Fähigkeiten unerheblich. Es beteiligten sich über hundert Freiwillige, die gemeinschaftlich lernten und den Entwurf in einem Versuch-und-Fehler-Prozess weitertrieben.

Außen und Innen nur durch die Stärke des Vorhangs voneinander scheidend, bot das Cineroleum aber nicht nur ein gemeinsames Filmerlebnis, sondern auch ein optisches Spektakel für die Passanten: Mit dem Abspann hob sich der glitzernde Vorhang, der Raum für den Film löste sich auf, und das Kino breitete sich in den Straßenraum aus.



Wie sind Sie auf die Tankstelle aufmerksam geworden?

Uns interessieren der Funktionsverlust von Automobil-Infrastruktur und die Möglichkeiten ihrer Weiterverwendung. Die Tankstelle an der Clerkenwell Road haben wir aus pragmatischen Gründen gewählt: Der Developer freute sich, dass wir sie nutzen wollten.

Wie kamen Sie darauf, ein Kino einzurichten?

Wir wollten ein unerwartetes Erlebnis in der Tankstelle anbieten. Ins Kino zu gehen, ist eine ebenso vergnügliche wie spontane Aktion, und das Kino hat die Kraft, den Raum zu verändern. Dann gab es da noch die Gleichzeitigkeit von goldenem Zeitalter der Filmpaläste und dem des Automobils. So konnten wir auch mit ein we­nig Nostalgie in unserem Entwurf arbeiten.

Was war das größte Hindernis dabei?
Dass wir den Vorhang um die Tankstelle selber von Hand herstellen wollten, aus Materialien, die so gut wie nichts kosten sollten. Am Ende fertigten wir zwölf einzelne Vorhänge aus Tyvek an. Jeder wurde mühsam mit Haushaltsnähmaschinen genäht und mit Seil und Ösen versehen, damit er aufgezogen werden konnte wie ein Raff-Rollo. Irgendwann einmal, als wir gerade eine der vier Meter langen Vorhangbahnen durch die vergleichbar winzigen Nähmaschinen führten – mehrere waren schon kaputt
gegangen – fragten wir uns, ob, was wir da trieben, nicht eigentlich heller Wahnsinn sei.

War es schwierig, von der Stadt die Genehmigung für das Projekt zu erhalten?
Da das Kino nur eine Zwischennutzung darstellte, waren die Bauauflagen nicht allzu drückend. Wir mussten uns eher darauf konzen­trieren, die Erlaubnis für die Durchführung von Veranstaltungen zu erhalten. So richtete sich der Zeitraum, in dem das Kino geöffnet war, nach der Zahl der zulässigen unkonzessionierten Veranstaltungen pro Jahr an einem bestimmten Ort.

Wie haben Sie das Projekt finanziert?
Wir brachten einen großen Teil des Budgets selber auf. Das war nur möglich, weil wir bettel­ten und feilschten, um mit 14.000 Pfund Sterling klarzukommen, und weil wir bereit waren, selbst zu investieren. Das Kino betrieben wir kosten­deckend, was dank einer Zuwendung der Kunststiftung IdeasTap möglich war.

Das Kino lag an einer großen Straße – wie ließ sich der Lärm vom Kinosaal fernhalten?
Gar nicht. Der Vorhang war aus leichtem Material und schloss nicht wirklich vom Straßenraum ab. So wurden die Filme durch laute Sirenen und die Unterhaltungen von Passanten be­reichert. Aber es wäre auch schade gewesen, die Stadt draußen zu halten, denn dann hätte man überall sein können. Hier ging es aber um ein surreales Erlebnis.

Wie sah das Filmprogramm aus?
Wir zeigten Klassiker: Badlands, Metropolis, Barbarella. Wir mögen diese Filme und wollten, dass auch andere Freude daran haben.

Wie setzte sich das Publikum zusammen?
Alle möglichen Leute kamen, aus ganz London. Leider hatten wir nur gut hundert Plätze, des­wegen waren wir immer schnell ausverkauft.

Führte Ihr Projekt zu einer dauerhaften Neunutzung der Tankstelle?
Eines der Motive unserer Arbeit ist, einer Gemeinde den Wert eines bestimmten Geländes vor Augen zu führen. Gegenwärtig wird die Tankstelle als Autowaschanlage genutzt. Wir sind also gescheitert oder hatten Erfolg – je nachdem, was man über Waschanlagen denkt. Das eigentliche Erbe des Cineroleum steht nur in begrenztem Zusammenhang mit diesem Ort, zeigt sich aber deutlich in unseren anschließenden Projekten wie dem Folly for a Flyover und den Sugarhouse Studios, wo das Kino wieder aufgebaut wurde, um in East London eine Freizeiteinrichtung zu schaffen.

Haben Sie Anfragen erhalten, in einer anderen ehemaligen Tankstelle ein Kino zu installieren?
Wir haben die Idee diskutiert, das Cineroleum weiterziehen zu lassen, unsere Energie dann aber lieber in neue Projekte gesteckt. Als Innenarchitekten sind wir daran interessiert, uns immer wieder mit neuen Fragen auseinanderzusetzen. Eine Neuauflage des Cineroleum hatte deshalb für uns keinen Reiz.

Wie steht es um junge Architekten in London?

London steckt voller Chancen, die Stadt verändert sich ständig. Gelegenheiten zu Eingriffen
ergeben sich durch die Brüche, die dabei entstehen – seien es ins Stocken geratene Bauprojekte oder aufgelassene Infrastrukturen.



Fakten
Architekten Assemble, Stratford
aus Bauwelt 1-2.2013
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