Die Hochhausdebatte
Das Wohnen im Hochhaus war in Deutschland lange stigmatisiert. Die Hochhauserfahrungen der sechziger und siebziger Jahre haben dazu geführt, dass die Bauaufgabe als Ganzes in Frage gestellt wurde. Heute ist das Wohnhochhaus wieder im Kommen, aber bislang nur im oberen Marktsegment, finanziert von privaten Investoren, in guter Lage. Aber kann das Hochhaus heute mehr? Quartiere nachverdichten, Nachbarschaften bilden? Gibt es Modelle für bezahlbares Wohnen mit Aussicht?
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Die Hochhausdebatte
Das Wohnen im Hochhaus war in Deutschland lange stigmatisiert. Die Hochhauserfahrungen der sechziger und siebziger Jahre haben dazu geführt, dass die Bauaufgabe als Ganzes in Frage gestellt wurde. Heute ist das Wohnhochhaus wieder im Kommen, aber bislang nur im oberen Marktsegment, finanziert von privaten Investoren, in guter Lage. Aber kann das Hochhaus heute mehr? Quartiere nachverdichten, Nachbarschaften bilden? Gibt es Modelle für bezahlbares Wohnen mit Aussicht?
Text: Kleilein, Doris, Berlin
In Frankfurt am Main kann man Büroflächen nicht mehr gut vermarkten, Wohnungen dafür umso besser. Meixner Schlüter Wendt haben Neuland betreten und in den letzten Jahren gleich zwei Wohnhochhäuser gebaut: das Axis im Europaviertel und den Henninger-Turm. Wir sprechen über eine Bauaufgabe, die mit Vorurteilen und Platitüden behaftet ist – und was Wohnen im Hochhaus heute sein kann
Wie sind Sie an die Bauaufgabe Hochhaus herangegangen?
Florian Schlüter Wie an jedes andere Projekt auch: Wir haben versucht, die Besonderheiten des Ortes und der Aufgabe zu verstehen.
Claudia Meixner Ein Hochhaus hat ja oft die Aura des Solitären und Autarken. Unser Ziel ist es, kontextuelle Hochhäuser zu entwickeln. Wo grenzt man sich ab, wo wird man weicher, öffnet sich – das ist dasselbe Thema, egal, ob beim Wohnhochhaus oder beim Einfamilienhaus.
Gibt es hierzulande Vorbilder für kontextuelle Wohnhochhäuser?
FS Wir hatten keine Vorbilder. Die große Welle der Wohnhochhäuser kommt ja erst noch. Als wir das Axis geplant haben, war gerade mal der Marco-Polo-Tower in Hamburg fertig. Im Gegensatz zum Büroturm ist das Wohnhochhaus aber nicht per se ein positiv besetzter Bautypus. Wir haben uns daher gefragt, wie wir uns von weniger gelungenen Beispielen abgrenzen können.
Wovon wollen Sie sich abgrenzen – von den Großsiedlungen der Nachkriegsmoderne?
FS Man muss sich von einem generellen Bild abgrenzen. Das Wohnhochhaus steht in Deutschland noch immer für günstigen Massenwohnungsbau: Es ist uniform, man sieht ihm seine eher minderwertige Qualität an. Der Außenraumbezug, die große Chance, wird nicht kultiviert. Über die Zeit hat man gemerkt, dass ein Hochhaus keine Nachhaltigkeit hat, wenn es nicht als wertvolles Objekt behandelt wird. Die Genehmigungsbehörden haben große Probleme mit dem Bestand aus den Siebzigern. Hochhäuser können nur überleben, wenn sie gepflegt werden.
CM Wir haben analysiert, woher das schlechte Image kommt: Warum will keiner im Hochhaus wohnen, obwohl man eine gute Aussicht hat? Es gibt dieses Schreckensszenario riesiger Hochhaussiedlungen: Ich verlasse meine Wohnung und bin in einem langen, dunklen Flur.
FS Diesen langen Mittelgang sollte man vermeiden, er verhindert das Durchwohnen.
Was gehört noch zur Vermeidungsstrategie?
FS Nicht zu viele Wohnungen an einem Erschließungskern, keine außenliegenden Treppenhäuser, keine einfache Stapelung und Ablesbarkeit der Geschosse an der Fassade. Die Abgrenzungen sind auch Wünsche unserer Auftraggeber, die das alles nicht haben wollen, weil sie ein attraktives Produkt entwickeln wollen.
Was macht die Wohnqualität im Hochhaus
heute aus?
heute aus?
CM Die Wohnungen sollten nach mehreren Richtungen ausgerichtet sein und mit Balkon oder Loggia einen großzügigen Außenbezug haben. Wenn man viele Wohnungen an einer Stelle baut, spielt die Individualisierung eine Rolle: Man muss eine Chance haben, sich zuhause zu fühlen. Wo kann ich Nachbarn treffen, wenn ich meine Wohnung verlasse? Man muss die große Einheit gliedern. Ein Vorbild sind für uns Größenordnungen, wie man sie aus der Gründerzeit kennt.
Das Axis steht an der Kante zwischen Stadt und Land, und bildet mit dem Hochhaus gegenüber den Abschluss der Frankfurter Europaallee. Wie kam es an dieser exponierten Stelle zur Wohnnutzung?
CM Auf den beiden Grundstücken sollten eigentlich Bürohochhäuser als Eingangstor zum Europaviertel entstehen, aber Büroraum wurde an dieser Stelle nicht gebraucht. Dann hatte die Wilma, ein Wohnungsbauunternehmen, das seit 70 Jahren vor allem Ein- und Mehrfamilienhäuser baut, die Idee, einen Wettbewerb auszuloben. Er sollte die Frage untersuchen, was passiert, wenn man an dieser Stelle Wohnhochhäuser plant.
Wie reagieren Sie im städtebaulichen Maßstab?
FS Wir haben Belichtungstypen untersucht, auch aus den Siebzigern, mit polygonalen Grundrissen, mit zwei Türmen, einem Turm – und sind dann über das Umgebungsmodell zu einem Entwurf gekommen, der auf alle Situationen reagiert: eine Scheibe zum Hochhaus gegenüber, eine Blockrandbebauung zum Blockrand des Europaviertels, eine Reihenhauszeile auf dem rückwärtigen Grundstück, das eigentlich nicht zum bebaubaren Bereich gehörte und erst während des Wettbewerbs freigegeben wurde. Wir haben die viel kritisierte Strenge des Europaviertels aufgegriffen und transformiert.
Wie bildet sich diese Strategie in den Wohnungstypen ab?
FS Aus dem städtebaulichen hat sich ein typologischer Mix ergeben: Hochhauswohnen, Sockelwohnen, Reihenhaus. Das überlagert sich mit dem Preismix: vom Normalpreis in den unteren Geschossen bis zum hochpreisigen Wohnen oben. Das macht das Projekt wirtschaftlich rund und man kann die Qualität halten.
Von welchen Preisen sprechen wir?
FS Ab 3000-3500 Euro pro Quadratmeter kostet eine Wohnung in den unteren Geschossen, das ist für eine städtische Lage in Frankfurt günstig. Dann geht es hoch bis zu 8000 oder 9000 Euro.
Welche Wohnungsgrößen sind nachgefragt?
CM Generell gehen Wohnungen schneller weg, die klein, weiter unten und daher billiger sind. Wenn man allerdings nur kleine Wohnungen anbietet, ist die Fluktuation der Bewohner höher. In großen Wohnungen bleiben die Leute länger. In Frankfurt gibt es viele Neubauten, die nur Wohnungen mit 50 bis 70 Quadratmetern anbieten. Das Axis hat da noch ein großes Spektrum an Wohnungsgrößen. Das ist der Vorteil, eines der ersten Wohnhochhäuser in Frankfurt zu sein.
Hatten Sie Einfluss auf den Wohnungsmix?
FS Es gab eine grobe Vorgabe, dann haben wir den Wohnungsmix gemeinsam mit dem Bauherrn weiterentwickelt. Wobei man schon sagen muss, dass wir im Vergleich zum Geschosswohnungsbau eher ein Zimmer weniger abbilden sollten. Eine 110-Quadratmeter-Wohnung hat zwei, und nicht drei Schlafzimmer.
CM Es ist alles ein bisschen großzügiger und nicht bis auf den letzten Quadratmeter optimiert. Ich sehe das als eine Art von Nachhaltigkeit. Die Gründerzeitwohnungen sind auch deshalb so beliebt, weil sie flexibel sind und nicht der Bettabstand plus Nachttisch das Zimmer bemisst, sondern noch 40 Zentimeter Luft ist.
Bei der Fassade wird die Ablesbarkeit der Geschosse weitgehend vermieden. Teilweise sind zwei Geschosse mit einem Fensterelement zusammengefasst. Wie kam es dazu?
FS Wir haben die städtische Lochfassade in ein komplexes Gitter transformiert. Die Treppenhäuser sind abzulesen, die Nordwohnungen erkennt man an den Balkonen, unterschiedliche Wohnungstypen an den Varianzen von Loggien und Balkonen. Ein Mittel war auch die Kolossalordnung mit der Intention, den Maßstab zu verfremden. Man steht davor und weiß nicht genau, wie viele Geschosse das Gebäude hat. Es beginnt ein Spiel mit der Wahrnehmung.
Sollte das hohe Haus auch kleiner wirken?
CM Nein, aber man sollte nicht sofort die 20 Geschosse erkennen und sagen können: Ich wohne im Vierzehnten. Vielmehr sollte man das Haus als Ganzes wahrnehmen, wie ein Bild, das man erst entschlüsseln muss. Das geht so weit, das selbst die Bewohner nicht genau sagen können, wo ihre Wohnung auf der Fassade zu finden ist.
Ein weiterer Abwehrreflex gegen den seriellen Wohnungsbau?
CM Wenn man auf diese Differenzierung verzichtet, hat man den Eindruck, dass es viel mehr Wohnungen sind, viel mehr Masse.
FS Die Eigentumswohnungen werden zum großen Teil von den Käufern selbst bewohnt, so dass die Grundrisse individuell sind. Das bildet sich außen ab. Die klassische europäische Stadtfassade würde eher versuchen, die Varianz abzufangen, in ein uniformes Bild zu pressen.
Die Lobby erinnert mit Empfangsdame und verspiegelten Stützen eher an ein Bürohochhaus. Wie stark ist der Einfluss aus dem Bürobau?
FS So haben wir das noch nicht gesehen. Vielleicht kann man die Concierge und die Sitzstufen im Sinne eines Bankfoyers interpretieren, aber uns ging es darum, auch für ein Wohnhaus eine hochwertige Atmosphäre zu schaffen. Das Haus ist gerade bezogen. Wir gehen davon aus, dass es durch die Benutzung noch wohnlicher wird.
CM Die Eingangshalle sollte etwas Großstädtisches haben. Nicht unbedingt wie ein Bürobau, aber auch kein gemütliches Stübchen.
Nach New York würde eine Lobby wie diese gut passen, aber ins Europaviertel?
FS Ja, es wird von den Nachbarhäusern leider nicht widergespiegelt. Es steht nicht am Central Park, wo man eine Empfangshalle mit Concierge erwartet.
CM Aber das Haus hat ein großes Format, es ist nicht rückwärtsgewandt.
Welche Rolle spielen die Concierge und weitere Serviceeinrichtungen für das Wohnen?
CM Auch hier sind wir wieder bei den Hochhaus-erfahrungen der Siebziger: Man wird von einer Briefkastenbatterie empfangen und verschwindet im Aufzug. Das hat etwas Anonymes. Im Axis sind die Briefkästen individualisiert, es gibt Bänke, um seine Post gleich zu lesen. Im Foyer sitzt ein Mensch, der alle kennt und sich um alles Mögliche kümmert. Die Concierge erhöht die Chance, dass Leute sich begegnen. Bei 150 Wohneinheiten kann man die Kosten gut verteilen.
FS Was es nicht gibt: Räume für gemeinsame Aktivitäten, wie man das aus den Genossenschaften in Wien kennt. Das haben wir mit dem Bauherrn diskutiert, auch einen Pool auf dem Dach, aber haben uns schließlich für das großzügige Ankommen entschieden. Auf den Sitzstufen der Eingangshalle können auch Treffen der Hausgemeinschaft stattfinden, zudem gibt es den begrünten Hof.
CM Die Idee der Gemeinschaft kann man ja weiterentwickeln: Was wünscht sich ein Bewoh-ner von morgen? In Frankfurt und Berlin kann man sehen, dass öffentliche Räume schon ganz anders benutzt werden als vor zehn Jahren. Die Menschen wollen mehr draußen sein. So ein Raum wie die Eingangshalle ist da ein Anfang.
FS Es muss aber auch nicht alles im Haus stattfinden. Das Haus steht in der Stadt, das Leben
soll sich draußen entwickeln. Das passiert nicht, wenn jedes Haus autark in sich funktioniert. Die Europaallee ist als Boulevard konzipiert, und eigentlich sollte man raus ins Café um die Ecke.
soll sich draußen entwickeln. Das passiert nicht, wenn jedes Haus autark in sich funktioniert. Die Europaallee ist als Boulevard konzipiert, und eigentlich sollte man raus ins Café um die Ecke.
Funktioniert ein Haus wie dieses auch im bezahlbaren Mietwohnungsbau?
FS Wenn ein Wohnhochhaus dauerhaft funktionieren soll, können geförderte Wohnungen nur Teil einer Mischung sein. Das Wohnhochhaus ist ein teures Produkt. Es eignet sich nicht für günstigen Wohnungsbau. Trotzdem kann man daraus lernen und alles auch im bescheidene-ren Maßstab anwenden: den Außenbezug, das Durchwohnen, die Individualisierung und Gliederung.
Was macht das Wohnhochhaus teuer? Ab welcher Höhe wird es unwirtschaftlich?
FM Das kann man nicht pauschal sagen, weil ja auch die Grundstückspreise mit dem entsprechenden Baurecht steigen. Wenn der Boden teuer ist, kann sich die hohe Ausnutzung durch ein Wohnhochhaus als günstig herausstellen. Wenn viel preiswerte Fläche zur Verfügung steht, ist es wirtschaftlich, niedriger zu bauen.
CM Auf die BGF bezogen hat ein Hochhaus prozentual mehr Flächen, die man nicht vermieten oder verkaufen kann: Flächen für die Konstruktion und für die Vertikalerschließung, aber auch für technische Systeme wie Entrauchungsanlagen. Bis zu 60 Metern sind die Auflagen noch nicht so hoch, man braucht nur ein Sicherheitstreppenhaus und keine Sprinkleranlage. Viele Hochhäuser kratzen daher an dieser 60-Meter-Grenze, auch das Axis. In den siebzigern Jahren gab es viele dieser Auflagen übrigens noch nicht.
Das Wohnen im Hochhaus war auch ein Thema des jüngst entschiedenen Wettbewerbs für das Deutsche-Bank-Areal in der Frankfurter Innenstadt, bei dem Ihr Büro mit Snøhetta den 3. Preis belegt hat: Von vier Hochhäusern werden nur zwei für Büros geplant. Wie sind sie mit den unterschiedlichen Nutzungen umgegangen?
FS Bei den Wohnfassaden haben wir mit Loggien gearbeitet, so dass eine räumliche Tiefe und Varianz entsteht. Bürofassaden haben ganz klare Regeln und sind viel ruhiger, glatter und regelmäßiger, es gibt keinen direkten Außenraumbezug oder nur als singuläre Maßnahme.
CM Wir fanden das Spannende an dieser Aufgabe, dass die vier Hochhäuser in der Innenstadt um einen Platz herum angeordnet sind. Diese besondere Situation, den Zwischenraum zwischen den Hochhäusern, haben wir bearbeitet. Die zum Platz weisenden Fassaden sind hell, die anderen Fassaden sind dunkler und verweben sich mit der Umgebung.
Wäre auch ein Mix aus Büros und Wohnungen innerhalb eines Hauses denkbar gewesen?
FS Es gab vorher einen städtebaulichen Wettbewerb, aus dem die Baumassen und die Nutzungsverteilung hervorgegangen sind. Aber an anderer Stelle gibt es schon die Tendenz, zwei Nutzungen zu mischen: Hotel mit Wohnen, Hotel mit Büro, oder sogar Hotel, Wohnen und Büro. Da wird es spannend, weil man ja alle vertikalen Erschließungssysteme voneinander trennen muss. Beim Deutsche-Bank-Areal gibt es nur die Kombination Hotel und Büro, und da war klar, dass es zwei getrennte Aufzugspakete sind.
Eine Nutzungsmischung macht den Bau von Hochhäusern also aufwendiger?
CM Das lohnt sich erst ab einem gewissen Querschnitt, bei dem auch der Kern in der Größe mitwachsen kann. Bei einem kleinen Hochhaus mit 60 Metern würde man das nicht machen, weil die Erschließungsfläche zu groß wird.
Muss man das wirklich trennen, oder könnte man nicht radikaler mischen?
FS Eine radikalere Mischung wäre sogar eher bei einem kleinen Hochhaus denkbar, das man als individuelleres Objekt begreifen könnte – weniger institutionell. Ein Haus, bei dem die Anzahl der Eigentümer und Nutzer überschaubarer ist. Das wäre sicher eine spannende Aufgabe.
Kommen wir auf das Thema Nachverdichtung. Ist das Wohnhochhaus heute noch oder wieder ein Modell?
CM Es kommt auf den Standort an. Wohnhochhäuser in der Innenstadt haben eine große Qualität, sie schaffen Lebendigkeit.
FS Es ist ein originelles und signifikantes Modell zur Nachverdichtung. Hochhäuser können gefragte Gründerzeitviertel entlasten. Wenn die Infrastruktur stimmt, ziehen Leute von der großen Altbauwohnung in die komfortable Hochhauswohnung mit Aussicht.
Aber eine Entlastung gefragter Viertel bremst doch nicht die Preisspirale nach oben: Die frei werdende Altbauwohnung wird umso teurer vermietet. Müsste man nicht vielmehr mit bezahlbarem Wohnraum nachverdichten?
CM Wenn das Verhältnis von Angebot und Nachfrage verbessert wird, müsste das eigentlich die Preisspirale nach oben bremsen. Wenn man eine Stadt nachverdichtet, muss man Wohnungen in allen Segmenten bauen. Dies entspricht auch dem Anspruch einer urbanen Mischung.
Frankfurt am Main könnte also noch ein paar Wohnhochhäuser vertragen?
FS Wohnhochhäuser hängen von der Stadt ab. So absurd es klingen mag: In Frankfurt gibt es einen Resonanzraum durch andere Hochhäuser. Bei der Vermarktung ist der Skyline-Blick immer das Wertvollste und sticht Sonne. Deswegen funktioniert es hier sehr gut, in Berlin vielleicht auch. In einer Stadt, wo es nur ein einziges Hochhaus gibt, hat das eine andere Dynamik.
In Frankfurt wird derzeit der Hochhausrahmenplan aktualisiert: 20 Hochhäuser sollen in den nächsten fünf Jahren entstehen. Welche Rolle spielt dabei das Wohnhochhaus?
CM Neben der Höhenvorgabe schlägt der bestehende Hochhausrahmenplan auch eine Nutzung vor. In der Geschichte Frankfurts waren das über Jahrzehnte hauptsächlich Bürohochhäuser. Jetzt wird darüber diskutiert, welche Nutzungen untergebracht und kombiniert werden können.
FS Aus dem Hochhausrahmenplan werden selektiv B-Pläne generiert, in denen Büro oder Wohnen festgeschrieben ist. Wir machen derzeit viele Studien, in denen die Wohnnutzung bereits vermerkt ist. Jeder weiß, dass Büros momentan schwer zu vermarkten sind, aber alle gerne Wohnungen bauen wollen. Das hat sich umgekehrt.
Ein weiteres Wohnhochhaus aus Ihrem Büro steht kurz vor der Fertigstellung: der neue Henninger-Turm in Sachsenhausen, ein ikonischer Solitär, der anstelle des stadtbildprägenden Silos von Karl Emil Lieser aus dem Jahr 1961 errichtet wird. Wo bleibt da der Kontext?
CM Der alte Henninger-Turm war im Gedächtnis der Frankfurter verankert. Es stellte sich die Frage, ob man ihn umbaut – oder abreißt und neu baut. Unser Konzept war die Auseinandersetzung mit dem emotionalen Bestand. Der Henninger-Turm war zwar kein bauliches, aber ein emotionales Denkmal. Das wollten wir transformieren und der Stadt zurückgeben.
FS Der Henninger-Turm reagiert nicht direkt städtebaulich kontextuell. Der Kontext ist die ganze Stadt, oder übertrieben gesagt, ganz Hessen – und in diesem Fall auch die gemeinsame Erinnerung. Die Silhouette erinnert an das alte Silo und zeigt gleichzeitig, dass es ein Wohnturm ist, sobald man die Schauseite zum Main hin verlässt. Wir haben viele Entwurfsvarianten durchgespielt und dabei gemerkt, dass man an dieser Stelle nichts Anderes machen kann, als sich mit dem alten Henninger-Turm auseinanderzusetzen. Der war zwar nicht schön, aber authentisch. Bei der Transformation war die Frage: Was nimmt man auf? Die beiden Charaktermerkmale, der kubische Schaft und der Kopf, der so eigenwillig in Richtung Stadt guckt – das sollte man wiedererkennen können.
Hätte man dann nicht lieber mit der Originalsubstanz gearbeitet?
CM Wir haben den Bestand statisch untersucht. Der Henninger-Turm war ein Getreidesilo, der aus vertikalen Röhren bestand. Die Einfügung horizontaler Ebenen wäre wahnsinnig aufwen-dig gewesen. Zudem gab es einen Kern, der für die Aussteifung der Röhren zuständig war, bei dem aber die Geschosshöhen nicht stimmten. Wenn wir den Kern weggenommen hätten, wä-ren die Röhren zusammengefallen. Es war also vollkommen unsinnig, mit dem Bestand zu agieren.
Dann hätte man aber auch gleich etwas Neues machen können.
FS Ab einem gewissen Punkt unserer Entwurfsüberlegungen gab es diese Option nicht mehr. Da hätten wir lieber gar nichts gebaut. Die Aufladung des Henninger-Turmes war so groß, dass auch ein noch so tolles neues Wohnhochhaus nichts genutzt hätte. Das wäre eine gebaute Wunde, egal, wie gut die Architektur ist.
Es hat eine gewisse Ironie, gegenüber der Altstadt, die gerade „rekonstruiert“ wird, ein Hochhaus zu bauen, das sich auf einen Industriebau der sechziger Jahre bezieht.
FS Diese Verbindung wird nur bei wenigen gesehen. Das sind zwei Welten, die mental getrennt werden. Die Altstadt repräsentiert das romantische Gefühl für das Historische, der Henninger- Turm ist als spröder Sechziger-Jahre-Bau eher ein irrationales Phänomen, das schwer zu begreifen ist. Beides berührt natürlich die Rekonstruktionsdebatte: Wir haben eine Art Pseudo-Readymade gebaut, ein Readymade aus einem Bild. Das ist kein Patentrezept, aber hier fanden wir es richtig. Für uns hatte das eine konzeptuelle Dringlichkeit.
Es gab aber auch viel Kritik. Die Frankfurter Rundschau schreibt: „Kein Wahrzeichen
mehr. Der Nachbau mit seinen Luxuswohnungen taugt nicht als Symbol für die Heimat.“
mehr. Der Nachbau mit seinen Luxuswohnungen taugt nicht als Symbol für die Heimat.“
CM Die Reaktionen, die wir wahrnehmen, bestätigen eher, dass auch der neue Henninger Turm als Wahrzeichen funktioniert. Wir bekommen oft sehr emotionale Rückmeldungen von Menschen, die sich freuen, dass der Henninger-Turm wieder da ist. Oben ins Fass kommt auch wieder das Restaurant, zu dem fast jeder Frankfurter eine Geschichte zu erzählen hat. Aber beim Thema Wohnhochhaus wird oft mit Platitüden und Vorurteilen gearbeitet. Auch der Henninger-Turm ist ein Mix aus Preissegmenten. Das ist nicht alles pures Luxuswohnen. Im Übrigen gibt es auch Blockrandbebauungen, in denen die Preise bis zu 10.000 Euro pro Quadratmeter klettern. Aber die taugen nicht so sehr zum Sündenbock wie ein Hochhaus.
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