Bauwelt

Jeder Weiterverkauf eines Grundstücks kostet Architekturqualität

Eike Becker über die Auswirkung von Spekulation auf die Architektur, über die rich­tige Zeit für Neues – und über den Spagat, den es bedeutet, als Archi­tekt in den verschiedenen Szenen unterwegs zu sein

Text: Friedrich, Jan, Berlin

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Eike Becker

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Eike Becker


Jeder Weiterverkauf eines Grundstücks kostet Architekturqualität

Eike Becker über die Auswirkung von Spekulation auf die Architektur, über die rich­tige Zeit für Neues – und über den Spagat, den es bedeutet, als Archi­tekt in den verschiedenen Szenen unterwegs zu sein

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Ihr Büro hat vor allem Auftraggeber aus der privaten Immobilienwirtschaft. Gleichzeitig sieht man Sie auf vielen Veranstaltungen, Diskussionen, Ausstellungen etc., die sich mit Stadtplanung oder mit eher künstlerischen Aspekten befassen. Dass jemand in diesen beiden Welten zuhause ist, ist selten.
Eike Becker Das ist auch mitunter ein Spagat. Zwar sprechen wir immer von der durchmischten Gesellschaft als etwas, das uns fasziniert, das unser Ziel ist. Davon, dass unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichem Wissen und Wollen zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu bewegen – letztendlich: um Stadt zu leben. Im Architektur- und Immobilienkontext gibt es aber schon ziemlich verschiedene Gesellschaften …
… die inhaltlich wenig zu verbinden scheint.
Im November war ich auf dem Konvent der Bundesstiftung Baukultur. Da ging es um Klimawandel, Holzbau als Option für den Wohnungsbau, Gestaltungsbeiräte, darum, wie man Landgemeinden qualifizieren kann, um sie zukunftsfähiger zu machen. Ein paar Tage später war ich auf dem Kongress des ZIA, des Zentralen Immobilien Ausschusses. Das ist die größte Lobbymaschine der Immobilienwirtschaft. Die haben sich das Thema „Innovationen“ vorgenommen, meinten damit aber vor allem die Digitalisierung. Außer mir war, glaube ich, nur eine einzige andere Person auf beiden Veranstaltungen.
Warum tun Sie sich diesen Spagat an?
Wenn wir unsere Städte zum Besseren verändern wollen, müssen die unterschiedlichen Gruppen zusammenkommen. Dazu muss ich zunächst verstehen, wie diese unterschiedlichen Gruppen so ticken, wonach sie suchen, was sie brauchen. Makler, Rechtsanwälte, Projektentwickler, institutionelle Investoren, Privatin­ves­toren, Ingenieure, Architekten – das sind sehr unterschiedliche Wesen, die da aufeinandertreffen.
Viele Architekten fremdeln in dieser Reihe.
Wir gehören dort schon hinein, aber wir tun uns auch nicht immer leicht. Das stimmt. Weil jede Gruppe andere Schwerpunkte setzt. Unsere Frage: „Wie sehen die Städte aus, für die Gesellschaft, die wir uns wünschen?“ – diese Frage steht nicht für jeden in der Immobilienwirtschaft ganz oben auf der Liste.
Wie viel Einfluss kann man tatsächlich als Architekt nehmen, wenn man für jene arbeitet, denen es in erster Linie darum geht, wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Wie bringt man da z.B. Themen der Stadtgesellschaft ein?
Wir bekommen dabei Hilfe von den Stadtplanungsämtern, Baudirektoren und -dezernenten, von den öffentlichen Institutionen. Das Baurecht ist ein sehr einflussreiches Mittel, um gesellschaftliche Überzeugungen einzubringen. ­In Kenntnis der privaten Wirtschaft bin ich ein Befürworter leistungsstarker öffentlicher Institutionen. Wenn die gut funktionieren, gerecht und nicht zu exklusiv agieren, sondern vielen Zugang bieten zur Mitwirkung – dann werden wir schnell bessere Städte haben. Die Strukturen sind so entscheidend für den Erfolg unserer Arbeit. Ohne ambitionierte Bauherren und ohne starke Stadtplanungsämter kann ich als Architekt kaum meine ambitionierten Ziele erreichen.
Muss man als Architekt vielleicht akzeptieren, dass man zwischen allen Stühlen sitzt?
Als Architekt bin ich auch Sachwalter der Interessen meines Aufraggebers und muss sehen, wie ich die diversen Ambitionen zusammen bringe. Immer wieder ist da die Rolle des Mediators gefragt. Ich entwickle Visionen von dem, wie es sein sollte. Aber mit dem Selbstverständnis eines Künstlers, der allein sich und seinem Werk verantwortlich ist, würde ich in diesem Kontext nicht weit kommen. Ich muss zusehen, dass ich ein Orchester, ein Team, zusammenbekomme. Eigentlich immer muss ich Koalitionen bilden, um komplexere Projekte zu verwirklichen. Das ist mal mehr, mal weniger erfolgreich. Das meine ich nicht resignierend, eher realistisch. Nicht immer erreiche ich bei meinen Projekten alle Ziele.
Was wäre in einer solchen Koalition ein Ziel, auf das sich alle verständigen können?
Am Ende haben wir ja in Wahrheit alle das Ziel, starke, zukunftsfähige Quartiere zu schaffen. Häuser zu bauen, die nachhaltig erfolgreich sind. Da gibt es nur wenige, die dem nicht zustimmen. Nur: So wie das Planen und Bauen heute orga­nisiert ist, tun wir uns häufig schwer ambitioniertere Pläne auch zu realisieren.
Inwiefern?
Um nur ein Beispiel zu nennen: Allzu häufig läuft das so ab: Jemand sichert sich ein Grundstück und beauftragt einen Architekten, das Baurecht zu klären. Dabei bekommt er möglicherweise mehr Nutzfläche genehmigt. Der Flächenzuwachs bedeutet für ihn einen risikolosen Gewinn, den er sofort realisiert, indem er das Grundstück deutlich teurer weiterverkauft. Dann fängt der neue Eigentümer mit neuem Architekt dasselbe Spiel wieder von vorne an. Durch diesen Reigen wird ein mögliches neues Gebäude bereits durch den in die Höhe spekulierten Bodenpreis so stark belastet, dass die Architektur das ausgleichen und billiger werden muss. Jeder Weiterverkauf kostet Architekturqualität.
Die Verlängerung der Wertschöpfungskette führt im Ergebnis zu schlechteren Häusern und zu schlechteren Stadtquartieren. Besser wäre es, wenn die Kette, bis der Nutzer schließlich einzieht, kürzer wäre. Es gibt aber noch so viele weitere Stellen im Planungs- und Bauprozess, die unbedingt verbessert werden müssen.
An welcher Stelle dieser Kette steigen Sie als Architekt üblicherweise ein?
Es gibt eine Menge potenzieller Auftraggeber. Ich mache mir Gedanken darüber, mit wem ich gerne arbeite. Wer hat sich in letzter Zeit aus­gezeichnet durch eine gute Projektentwicklung, durch den Bau guter Gebäude? Diese Leute lerne ich dann gerne kennen. Das mache ich konzentriert auf den Immobilienmessen.
Wenn man mit Projektentwicklern spricht, hört man, viele Architekten hätten kein Verständnis für die Zwänge, unter denen sie agieren.
Wahrscheinlich muss man verstehen, welches Risiko Projektentwickler und Investoren ein­gehen. Projekte können ja auch schiefgehen. Im Augenblick geschieht das eher selten, weil die Konjunktur gut ist. Aber was passiert mit ihnen, wenn das mal umschlägt, die Konjunktur wieder Erwarten nicht mehr rundläuft, sie bereits Projekte angeschoben und Geld investiert haben, diese aber nicht erfolgreich abschließen können? Ein Risiko in dieser Größenordnung hat der Architekt mit seinem Planungsauftrag nicht.
Sie haben eben die Konjunktur angesprochen: Gibt es einen besonders guten Zeitpunkt, an dem man als Architekt etwas bewegen kann? Eher, wenn es gerade super läuft oder eher, wenn es schlecht läuft und die Entwickler etwas Besonderes anbieten müssen, damit überhaupt jemand etwas kauft?
Kürzlich habe ich mit einem Projektentwickler aus München über neue Wohnformen gesprochen. Passender für die veränderten Wohnbedürf­nisse, als die üblichen Zwei-, Drei- oder Vier-Zimmer-Wohnungen. Es ging um Konzepte, wie wir sie hier in Berlin gerade planen: WG-Wohnungen und Mikroapartments, also Wohnungen mit einem, anderthalb, zwei oder zweieinhalb Zimmern, die wir im Erdgeschoss mit Gemeinschaftsnutzungen ergänzen: Internet-Café und Waschsalon, kleines Kino, Bibliothek. Er nickte die ganze Zeit interessiert. Und am Schluss sagte er: „In München werden einem Standardwohnungen aus der Hand gerissen. Wir brauchen noch nicht einmal eine Marketingkampagne aufzubauen. Also warum sollen wir da irgendetwas ändern?“ So geht Boomzeit.
Schlechte Zeiten sind besser für Innovationen?
Wenn gar nichts geht, haben die Leute schlechte Laune, die Architekten werden wieder neidisch aufeinander – und überhaupt geht dann nicht mehr viel. Günstiger sind die Phasen dazwischen. Dann hat man nach dem letzten Abschwung seine Positionen kritisch hinterfragt und kommt mit Ideen im Gepäck in eine aufsteigende Konjunkturphase.
Aber in der Regel tun sich Immobilienleute schwer mit Innovationen. Die Branche ist verholzt, bietet kaum Diversität. Es gibt fast keine Frauen in der Branche, die Expo Real ist wahrscheinlich die einzige Veranstaltung, bei der die Schlange vor dem Männer-WC länger ist als vor dem der Frauen. Übrigens behaupten nicht nur Architekten, dass die Immobilienwirtschaft nicht besonders innovativ ist. Die Projektentwickler wissen das selbst.
Vermutlich hat der ZIA deshalb einen „Inno­vation Think Tank“ gegründet, in dem Sie mitarbeiten.
An der Stelle ist was in Bewegung gekommen. Deshalb mache ich mit in diesem Gremium, um meine Überzeugungen und Erwartungen an die Branche einzubringen: Wie können wir klüger und ressourcenschonender agieren, wie können wir den Planungs- und Meinungsbildungsprozess effizienter organisieren, damit am Ende tatsächlich bessere Städte entstehen?
Und was müssen Ihrer Meinung nach Architekten besser machen als bisher, damit das Engagement der Privatwirtschaft zu besseren Projekten, zu besseren Städten führt?
Ich wünsche mir, dass wir Architekten uns kritischer mit unseren Aufgaben und unserem Umfeld auseinandersetzen. Denn da läuft so vieles völlig falsch. Wir sind in diesem Zusammenhang ja nicht nur Honorarempfänger, sondern wir ­haben auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Dafür sind wir durch unsere breit aufgestellte Ausbildung gut qualifiziert. Wir haben eine Menge Wissen über die unterschiedlichen Gruppen, die am Prozess des Stadt-Bauens teilnehmen. Das müssen wir auf der Verbands­ebene, aber auch als einzelne Persönlichkeiten stärker und selbstbewusster einbringen.
Eike Becker (Jahrgang 1962) ist Architekt. Nach Tätigkeit bei Norman Foster und Richard Rogers in London, 1991 Gründung von Becker Gewers Kühn & Kühn in Berlin, 1999 Gründung von Eike Becker Architekten zusammen mit Helge Schmidt. Von 1999 bis 2015 war Becker Vorstandsvorsitzender des KW Institute for Contemporary Art, Berlin
Fakten
Architekten Becker, Eike, Berlin
aus Bauwelt 3.2017
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