Bauwelt

In den USA haben Architekten viel weniger Einfluss als in Europa

Eigentlich hat Chicago beste Vorraussetzungen, um eine ganz eigene Architekturbiennale zu etablieren: einen enthusiastischen Bürgermeister und das allgegenwärtige Erbe von Sullivan bis Mies. Dennoch trifft man viel Altbekanntes aus Venedig: dieselben Namen, dieselben Arbeiten. Die Kuratoren Sharon Johnston und Mark Lee erläutern, warum für sie der Blick nach Europa besonders wichtig ist.

Text: Heinich, Nadin, München

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    Die Biennale-Kuratoren: Sharon Johnston und Mark Lee vom Architekturbüro Johnston Marklee, Los Angeles
    Foto: Tom Harris

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    Die Biennale-Kuratoren: Sharon Johnston und Mark Lee vom Architekturbüro Johnston Marklee, Los Angeles

    Foto: Tom Harris

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    Die mexikanische Architektin Frida Escobedo empfängt die Besucher mit einer schrägen Holzebene
    im klassizistischen Foyer.
    Foto: Kendall McCaugherty

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    Die mexikanische Architektin Frida Escobedo empfängt die Besucher mit einer schrägen Holzebene
    im klassizistischen Foyer.

    Foto: Kendall McCaugherty

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    „Make No Little Plans“: So verteidigte Daniel Burnham 1893 seine Pläne für die Weltausstellung in Chicago (Installation: Monadnock)
    Foto: Tom Harris

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    „Make No Little Plans“: So verteidigte Daniel Burnham 1893 seine Pläne für die Weltausstellung in Chicago (Installation: Monadnock)

    Foto: Tom Harris

In den USA haben Architekten viel weniger Einfluss als in Europa

Eigentlich hat Chicago beste Vorraussetzungen, um eine ganz eigene Architekturbiennale zu etablieren: einen enthusiastischen Bürgermeister und das allgegenwärtige Erbe von Sullivan bis Mies. Dennoch trifft man viel Altbekanntes aus Venedig: dieselben Namen, dieselben Arbeiten. Die Kuratoren Sharon Johnston und Mark Lee erläutern, warum für sie der Blick nach Europa besonders wichtig ist.

Text: Heinich, Nadin, München

Was soll diese Biennale für Chicago bewirken?

Sharon Johnston
Das Chicago Cultural Center ist ein öffentlicher Ort mitten im Zentrum. Wir wollen Räume, die öffentlich genutzt werden, transformieren, neue Nutzungen ermöglichen, und Bereiche, die bisher beinahe unsichtbar waren, aktivieren. Zum Beispiel hat Frida Escobedo mit ihrer Installation im Eingangsfoyer auf der Seite des Randolph Square einen wunderbaren Ort geschaffen, der die Leute hineingleiten lässt in die Ausstellung. Vielleicht bemerken sie nicht einmal, dass sie sich in einer Installation befinden. Die Grenzen zwischen Ausstellung, Gebäude und Stadt verschwinden.
Mark Lee Eines unserer Ziele ist es, die Architektur-Community aus der ganzen Welt zu versammeln, um einen Dialog in Gang zu setzen. Und es geht uns auch darum, ein größeres Publikum zu erreichen, nicht nur Architekten.
Sie wollen mit der Biennale ein neues Publikum erreichen. Auf den beiden Eröffnungssympo­sien haben jedoch vor allem Architekten, Architekturhistoriker und -theoretiker gesprochen. Wo sind die anderen Akteure der Branche, Projektentwickler oder Politiker?
ML Wir haben Universitäten eingeladen, die beiden Symposien zu konzipieren. Harvard hat das Thema Geschichte gewählt, Columbia über Architekturbücher gesprochen.
SJ Dies ist hier erst die zweite Biennale. Sie rückt das Potential der Architektur für Chicago zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Bürgermeister Rahm Emanuel hat verschiedene Initiativen gestartet, dazu zählt das „Urban River Edges Ideas Lab“, dass die Flussufer durch zusammenhängende Fußwege erlebbar machen soll, oder der Wettbewerb „Housing Library“, der Stadtteilbibliotheken und sozialen Wohnungsbau verbinden soll. Wir hoffen, dass auch Projektentwickler nach Chicago kommen und sich inspirieren lassen. Wir möchten Debatten anstoßen, Fragen stellen. Nachdem die Grundlagen gelegt sind, scheint das möglich, aber es braucht Zeit.
Viele der Büros, die Sie ausgewählt haben, sind „Boutiquen, die gute, aber kleinmaßstäbliche Projekten realisieren. Warum sind die großen amerikanischen Büros wie Perkins + Will, SOM oder Kohn Pederson Fox nicht vertreten?
SJ Es gibt so viele Biennalen auf der ganzen Welt. Wir wollten nicht reproduzieren, sondern einer jungen Generation die Möglichkeit geben, ihre Arbeiten auszustellen.
ML Um ein Büro wie SOM einzubinden, muss man das zum Thema machen, zumindest im amerikanischen Kontext. Hier hat sich seit den Fünfziger Jahren eine große Diskrepanz zwischen der Baukultur und der Welt der Unternehmen, in der Architektur nur konsumiert wird, entwickelt. Es ist wichtig, dass diese Biennale keine Messe ist, wo man Dinge einfach kaufen kann, wo große Büros ihre Projekte so ausstellen, wie sie sie ihren Kunden präsentieren. Wir mussten uns auf ein klar umrissenes Thema festlegen.
Was verstehen Sie unter „Make New History“?
SJ Im Vergleich zu Europa ist Geschichte hier nicht so präsent. Während sie etwa in Italien beinahe als eine Last erscheint, ist die Baukultur bei uns viel jünger. Was bedeutet Geschichte für die heutige Generation von Architekten? Ist es etwas, wogegen sie sich auflehnen wie in den Siebzigern? Ist sie ein Mittel, der Moderne zu entfliehen? Wir leben heute in einer Bilderflut, alles ist jederzeit und überall verfügbar. Das ändert unser Verhältnis zur Vergangenheit. Wir wollen zeigen, wie das Wissen um die Geschichte Architekten formt und von ihnen geformt wird.
Wie setzen Sie sich mit der aktuellen politischen Situation in den USA auseinander?
ML Wir leben in sehr unsicheren Zeiten, in denen sich die Menschen nach etwas Vertrautem sehnen, etwas mit einer langen Geschichte, einem Anker, der ihnen Halt gibt. Das ist ein weiterer Grund, warum das Thema „Geschichte“ gerade jetzt wichtig ist.
SJ Chicago liegt mitten in Amerika. In Anbetracht der aktuellen politischen Situation ist es wichtig, gerade hier einen offenen, internationalen Austausch anzubieten.
Auf der Biennale sind viele Arbeiten von Büros aus Westeuropa zu sehen, einige aus Asien, aber keines aus Afrika. Was ist der Grund für diese Auswahl?
ML Es gibt sicherlich eine Konzentration auf Europa. Das fühlt sich hier in Chicago sehr fremd an. Dieses Gefühl von Fremdheit finde ich wichtig. Wenn wir eine Ausstellung in Europa kuratieren würden, würden wir auch dort versuchen, ein Gefühl der Fremdheit zu erzeugen. Es geht immer darum, den Kontext einer Stadt zu verstehen und etwas Neues hinzuzufügen.
SJ Es gibt zudem logistische Gründe. Wir hatten zehn Monate Zeit für diese Ausstellung und begrenzte Ressourcen.
ML Es gibt überall gute Projekte, jedoch steht die beste Architektur in Europa. In China etwa entstehen sehr viele neue Projekte, aber nicht auf diesem hohen Niveau.
Sie sind nicht nur Kuratoren, sondern führen seit 20 Jahren ein gemeinsames Büro in Los
Angeles. Welchen Einfluss haben Architekten in unserer Gesellschaft heute?
ML Architekten haben wenig Einfluss, Tendenz abnehmend, auch in den USA. Die Spezialisierung nimmt zu, Architekten kommen erst am Ende einer langen Prozesskette dazu, wenn das Grundstück, der finanzielle Rahmen und so weiter gesetzt sind. Architekten müssen sich ihre Macht zurückerobern!
SJ Wir betreiben unser Büro mit 15 bis 20 Mitarbeitern. Wir haben einen bestimmten Anspruch und finden immer wieder Auftraggeber, die mit uns arbeiten wollen. Aber wir werden sicher kein Büro mit 100 Mitarbeitern werden, das nur um der Größe willen belanglose Projekte realisiert. Einer unserer Auftraggeber aus Miami ist hierhergekommen, weil er wissen möchte, was gut ist. Es gibt nicht viele Leute wie ihn. So etwas müssen wir pflegen. Wir müssen die Leute hierherbringen, damit sie sehen und verstehen. Der Bürgermeister von Chicago ist unglaublich stolz. Außerdem ist Erion Velija, der Bürgermeister von Tirana, zur Eröffnung gekommen. Es gibt bereits Ideen, das nächste Mal eine Reihe von Bürgermeistern einzuladen, damit sie ihre Projekte in Chicago zeigen.
ML In den USA sind die Architektenverbände sehr schwach. Architekten haben viel weniger Einfluss als in Europa. Es gibt keine Oberbaudirektoren oder Stadtbauräte wie in Europa, die politische Macht haben, Städte zu gestalten. Während der Einfluss von Architekten immer geringer wird, nimmt der von Projektentwicklern und Investoren zu. In den USA liefern wir nur die Pläne, ohne in das tatsächliche Bauen involviert zu sein. So entsteht keine Qualität. Architekten sollten sich viel intensiver mit der konstruktiven Seite beschäftigen. Zudem glaube ich, dass sich Architekten ganz gewöhnlichen Bauaufgaben zuwenden sollten, statt sich nur auf Konzertsäle und Rathäuser zu konzentrieren. Hier herrscht so ein starker Fokus auf diesem verschwindend geringen Prozentsatz an Bauaufgaben. Allein die Hoffnung, dass gute Architektur dann schon durchsickern wird, während wir uns mit den restlichen 99 Prozent nicht beschäftigen – das reicht nicht.

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