Bauwelt

NOTHINGTOSEENESS

Was kann man in einer Ausstellung sehen, die im Titel trägt, dass es nichts zu sehen gibt?

Text: Drewes, Frank F., Bielefeld

NOTHINGTOSEENESS

Was kann man in einer Ausstellung sehen, die im Titel trägt, dass es nichts zu sehen gibt?

Text: Drewes, Frank F., Bielefeld

Was kann man in einer Ausstellung sehen, die im Titel trägt, dass es nichts zu sehen gibt? Nothingtoseeness ist eine Wortschöpfung des US-amerikanischen Komponisten und Künstlers John Cage, der damit die visuelle Stille in den darstellenden Künsten als Pendant zur akustischen Stille (in der Musik) definiert hat. Der Untertitel dieser Ausstellung in der AdK, die im Rahmen der Berliner Art Week eröffnet wurde, verweist mit Leere/Weiß/Stille darauf, dass weitgehend nichts Gegenständliches abgebildet wird und auch Farbe nur als Randnotiz auftaucht. Gleichwohl bieten die 75 internationalen Künstler:innen mit Monochromie und Materialminimalismus einen reichen Nährboden, auf dem Augen und Sinne subtil stimuliert werden. Im ersten Raum glänzt ein großes poliertes Wandstück von Karin Sander (1986/2021), eine Idee von 1986, die immer wieder ortsspezifisch in eine vorhandene weiße Wandoberfläche einpoliert wird, bis sie wie Marmor schimmert. Auf der Wand gegenüber ist nur eine winzige Quittung über den Einkauf durchgängig weißer Produkte von Ceal Floyer (1999-2008/2021) aufgeklebt und auf der Stirnwand tritt eine kleine monochrome Leinwand mit weißer Grundierungsfarbe von Lucio Fontana (1959) in Dialog mit den beiden Erstgenannten. Mit diesen drei Positionen ist auch grob der zeitliche Rahmen der ausgestellten Kunstwerke abgesteckt.
Exponate zur deutschen Künstlergruppe ZERO bilden neben Werken von u.a. Girke, Schoonhoven, Fontana, Klein, Kelly und Ryman den historischen Part, der bis zu 60 Jahre zurückgreift. Viele der jüngeren Künstler:innen beziehen sich auf diese Positionen, wobei sich alle auf das Weiße Quadrat von Malewitsch aus dem Jahre 1917 zurückführen lassen, das als Urknall minimalistischer Kunst gedeutet werden kann - in dieser Ausstellung allerdings nur als thematische Klammer auftritt und nicht gezeigt wird, somit also Nothingtoseeness perfekt ver"körpert". Die 1960 eröffnete Akademie der Künste am Hanseatenweg mit ihrem brutalistischen Charme (Architekt: Werner Düttmann) bietet einen spannenden Rahmen für die Kunstwerke, die somit mit ihrer Whiteness nicht Gefahr laufen, von einem White Cube verschluckt zu werden. Nicht immer bleibt die Ausstellung streng beim Thema und pendelt hier zu Farbe und dort zu Schrift, was sich erst über ein paar Umwege deuten bzw. erklären lässt.
Whiteness, das große Überthema, lässt sich auch in der Kunst nicht mehr unreflektiert zur Schau stellen, ohne politisch zu werden. So begegnen sich beispielsweise drei "alte weiße Männer" in einer Nische, die heute nicht mehr so entstehen würde. Neun Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen Günter Brus Wiener Spaziergang von 1965, auf dem er gänzlich mit weißer Farbe bedeckt durch die Straßen des 1. Bezirks flanierte. In einem Video schminkt sich Bruce Nauman ganzkörperlich schwarz und dann wiederum weiß in Endlosschleife (Flesh to White to Black to Flesh, 1968) - eine Performance, die heute (unkommentiert) undenkbar wäre. Auch aus 1968 ist Timm Ulrichs Die weißen Flecken meiner Körperlandschaft. Kenn-Zeichnung der mir niemals direkt sichtbaren Bereiche meines Körpers (Brust- und Rückenaufnahme). Das Thema Schminke und Rollenspiel hat seine Unschuld gänzlich verloren - wenn es sie überhaupt jemals gehabt haben sollte...
Die als Rundgang um den Innenhof organisierte Ausstellung ist so reichhaltig wie vielseitig angelegt und inszeniert Gemälde, Fotoarbeiten, Videos, Film- und Soundarbeiten, Druckgrafik, Skulpturen und ortsspezifische Installationen. Nothingtoseeness bietet also, im Widerspruch zum Titel, eine Menge fürs Auge, vor allem aber Projektionsflächen für eigene Assoziationen und Fantasien.
NOTHINGTOSEENESS - Leere/Weiß/Stille
Akademie der Künste, Berlin bis 12.12.2021


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