Bauwelt

Kulturkraftwerk Gasteig in München


Das versprochene Wunder ist eingetreten: In Rekordzeit und mit einem relativ bescheidenen Budget wurde in München die städ­ti­sche „Isarphilharmonie“ errichtet. Alles scheint zu stimmen, wie ist das gelungen?


Text: Stock, Wolfgang Jean, München


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    Erst Lagerhalle, dann Trafohalle nun Eingangshalle, der Backsteinbau aus dem Jahr 1929 wurde nur behutsam saniert und verkörpert nach wie vor den industrieellen Charakter des Standortes.
    Foto: HG Esch

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    Erst Lagerhalle, dann Trafohalle nun Eingangshalle, der Backsteinbau aus dem Jahr 1929 wurde nur behutsam saniert und verkörpert nach wie vor den industrieellen Charakter des Standortes.

    Foto: HG Esch

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    Keine Photovoltaik sondern eine Lichtdecke auf der historischen Halle E dominiert nun deren Dach. Im gleichen Volumen dahinter der neue Konzertsaal
    Foto: HG Esch

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    Keine Photovoltaik sondern eine Lichtdecke auf der historischen Halle E dominiert nun deren Dach. Im gleichen Volumen dahinter der neue Konzertsaal

    Foto: HG Esch

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    Knifflig: die Fuge zwischen dem neuen Konzertsaal und der denkmalgeschützen Trafohalle markiert den Übergang zwischen Alt und Neu. Foto: HG Esch

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    Knifflig: die Fuge zwischen dem neuen Konzertsaal und der denkmalgeschützen Trafohalle markiert den Übergang zwischen Alt und Neu.

    Foto: HG Esch

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    Der Portalkran unter der Lichtdecke ist erhalten und funktionsfähig.
    Foto: HG Esch

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    Der Portalkran unter der Lichtdecke ist erhalten und funktionsfähig.

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    Auf eine etwaige Nutzung darf man gespannt sein.
    Foto: HG Esch

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    Auf eine etwaige Nutzung darf man gespannt sein.

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    Der Akustiker Yasuhisa Toyota plante auch die Säle der Hamburger Elbphilhrmonie.
    Foto: HG Esch

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    Der Akustiker Yasuhisa Toyota plante auch die Säle der Hamburger Elbphilhrmonie.

    Foto: HG Esch

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    Die ersten Kritiken seiner Arbeit in München sind deutlich euphorischer, als die, die dem Hamburger Eröffnungskonzert folgten.
    Foto: HG Esch

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    Die ersten Kritiken seiner Arbeit in München sind deutlich euphorischer, als die, die dem Hamburger Eröffnungskonzert folgten.

    Foto: HG Esch

Der Beifall des Publikums wollte schier nicht enden, als am Abend des 8. Oktober die neue Isarphilharmonie mit einem Festkonzert eröffnet wurde. Er galt zum einen den Münchner Philharmo­nikern, die mit dem markanten Konzertsaal für voraussichtlich zehn Jahre eine übergangswei­se neue Heimstatt erhalten haben. Ihr Chefdirigent Valery Gergiev hatte ein attraktives Programm ausgewählt, um einerseits die Bandbreite seines Orchesters von der Klassik bis zur gegenwärtigen Avantgarde vorzustellen und zugleich den Saal durch vielfältige Tonschattierungen einem ersten öffentlichen Hörtest zu unterziehen. Das dicht sitzende Publikum konnte erleben, dass die Voraussage des berühmten Akustikers Yasuhisa Toyota wahr wurde: Fülle und gleichermaßen Transparenz vermittelte auch Beethovens viertes Klavierkonzert mit dem Star­pianisten Daniil Trifonov, der geradezu frenetisch beklatscht wurde. In den Beifall einbezogen fühlen durften sich die Schöpfer der neuen Spielstätte, wenngleich der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter in seiner Ansprache die Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) nicht einmal erwähnte.
Das aufgrund seiner Lage zu Recht Isarphilharmonie genannte Konzerthaus (vorausgegangen war ein Namenswettbewerb) wurde aus der Not heraus geboren. Anlass war die vom Münchner Stadtrat beschlossene Generalsanierung des Gasteig, des größten Kulturzentrums in Europa. So musste nicht nur für den dortigen Konzertsaal der Münchner Philharmoniker, sondern auch für die Zentralen von Stadtbibliothek und Volkshochschule sowie für die Musikhochschule ein zwischenzeitliches Quartier gesucht werden. Nicht weniger als 36 Standorte wurden im Stadtgebiet geprüft. Wie Max Wagner hervorhebt, der rührige Geschäftsführer der Gasteig GmbH, ging es auch darum, für alle Institutionen mit ihren unterschiedlichen Nutzungen eine angemesseneLösung zu finden. Schließlich wurde man für dieses „Interim“ im südlichen, industriell geprägten Stadtteil Sendling fündig. Auf einem Gelände der Münchner Stadtwerke ist nun als Gasteig HP8 (benannt nach der Adresse Hans-Preißinger-Straße 8) ein bauliches Ensemble entstanden, das in doppelter Hinsicht einem Wunder gleichkommt.

Gasteig: Kostengünstige Modulbauweise

Öffentliche Bauvorhaben entwickeln sich nicht selten zu einem Schrecken, weil Kosten und Zeiträume erheblich überschritten werden. Bei der Isarphilharmonie war das Gegenteil der Fall, hier ging es Schlag auf Schlag. Im Frühjahr 2018 erhielten die Architekten nach einem zweistufigen Verhandlungsverfahren den Auftrag, im März 2020 erfolgte der Baubeginn – und nur eineinhalb Jahre später ist das Konzerthaus nun vollendet. Der Grund dafür: Mit dem Bau wurde erst begonnen, nachdem die Planung abgeschlossen war. Diese Rekordzeit verband sich mit einer Kostendisziplin, die den Steuerzahler freut: Lediglich 43 Millionen Euro waren für das Gebäude mit 1900 Sitzplätzen aufzubringen. Weshalb der Saal in Gestalt einer akustisch vorteilhaften „Schuhschachtel“ so günstig errichtet werden konnte, erläutert beim Rundgang Stephan Schütz, Partner von gmp und Projektarchitekt: „Der Konzertsaal in Holzmodulbauweise ist in die äußere rechtwinklige Stahlkonstruktion eingepasst. Gemeinsam mit den Tragwerksplanern Schlaich Bergermann Partner haben wir den Saal als ein Stecksystem aus vorgefertigten Vollholz-Elementen entwickelt. Durch diese einschaligen Decken- und Wandelemente konnten wir die Bau­-zeit und auch die Kosten wesentlich reduzieren.“
Schon die Simulationen des eingehängten, statisch und akustisch entkoppelten Konzertsaals ließen ein stimulierendes Raumerlebnis erwarten. Auch dieses Versprechen hat sich bewahrheitet. Zur besonderen Atmosphäre trägt die – im Gegensatz zum bisherigen Saal im Gasteig – steil ansteigende Bestuhlung bei. Umhüllt von den dunkelgrau lasierten Brettsperrholz-Wänden, begegnen sich Musiker und Publikum in großer, teilweise intimer Nähe, wobei die Büh­ne aus Zedernholz im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Dabei wird die Sicht von den Rängen aus nicht behindert, denn als Absturzsicherung wurden – ein schönes Detail – filigrane Seilnet­ze verwendet. Die Wirkung der dunklen Wände kann durch die Beleuchtung wechseln: Beim Eröffnungskonzert schimmerten sie petrolfarben, während die hell erleuchtete Bühne als Lichtung im Wald erschien. Gegen einen „Weinberg“ hat man sich auch wegen der gewünschten Multifunktionalität des Saals entschieden. Wesentlich für die Akustik sind neben der abgestuften Saaldecke die an den Wänden sägezahnartig gereihten Latten aus Fichtenholz, die für seitliche Reflektionen sorgen. Genau dies hatte Yasuhisa Toyota verkündet: „Der Klang soll sich möglichst vielfach brechen, damit er rund, voll und schön wird.“ Über seine Planung hinaus hält er aber auch die „Psycho-Akustik“ für wichtig, das emotionale Erleben eines Raums.

Neubau mit Denkmal

Das funktionale und gestalterische Meisterstück des Konzertsaals steckt in einer schlichten Hüll­e. Aus Kostengründen, aber auch unter Bezug auf die gewerbliche Umgebung wurde die Stahlkonstruktion des Hauses mit einer silbergrauen Metallfassade ummantelt. Dem Saalbau kommt zugute, dass er ein geschütztes Industriedenkmal zum Nachbarn hat. Die einstige Trafohalle der Stadtwerke, ein monumentaler Backsteinbau aus dem Jahr 1929, nunmehr Halle E genannt, wird nämlich als Foyer des Konzerthauses samt Café dienen. Dieser dreißig Meter hohe, von einer Lichtdecke überspannte Raum ist geradezu der Knotenpunkt des neuen Ensembles, weil er weitere Funktionen aufnimmt. Für die gewünschte kulturelle Nähe sorgen etwa eine Leihstation der Stadtbibliothek und ein Informationsstand der Volkshochschule, und auf den oberen Galerien der Halle wird eine „offene Bibliothek“ täglich bis zum späten Abend zugänglich sein. Geschäftsführer Max Wagner sieht darin sogar ein Modell für den zu sanierenden Gasteig in Haidhausen: Auch für den alten Standort strebt er eine gemeinsame Kulturvermittlung an. In enger Abstimmung mit der Denkmalpflege wurden an der Trafohalle nur „minimalinvasive Eingriffe“ (Stephan Schütz) vorgenommen, als Partner bei ihrer Sanierung wirkte das Büro CL MAP mit. Die Feinheiten der Ausführung sieht man etwa an ihrer früheren südlichen Außenwand, die zur Innenwand der Glasfuge mit dem großen Treppenhaus vor dem Konzertsaal wurde. Im Frühjahr 2022 sollen schließlich die solitären Modulbauten für Volkshochschule und Musikhochschule bezogen werden.
Andreas Schessl von Münchenmusik, dem größten privaten Konzertveranstalter der Stadt, ist davon überzeugt, dass die Isarphilharmonie „ein Magnet“ wird. Tatsächlich erscheint sie nicht als Provisorium, sondern wirkt auf Dauer gebaut. Das ist auch gut so, denn es ist nicht ausgemacht, ob die Generalsanierung des alten Gasteigs bereits im Jahr 2030 abgeschlossen sein wird. Zwar hat der Stadtrat die Kosten auf 450 Millionen Euro gedeckelt. Doch aufgrund der Corona-Krise rechnet der Stadtkämmerer derzeit allein für die Jahre 2021 und 2022 mit Mindereinnahmen von mehreren hundert Millionen Eu­-ro. Hinzu kommt, dass für das Sanierungsprojekt nach einem Entwurf von Henn Architekten (Bauwelt 16.2018) im nächsten Jahr erst einmal ein Investor gefunden werden muss.

Erste Reaktionen

Mit einer Ausnahme haben die Münchner Medien die Fertigstellung der Isarphilharmonie im neu-en Kulturquartier euphorisch begleitet. Die Monatszeitung Münchner Feuilleton spricht von einem „Kulturkraftwerk“ – eine Anspielung auf das benachbarte Heizkraftwerk. In der Abendzeitung ist vom „großen Sprung nach vorn“ die Rede: „Soviel ist sicher: Die Münchner werden diesen Saal lieben.“ Auch im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung wird mit Lob nicht gegeizt. Die Ausnahme bildet ein Musikkritiker der SZ, der den Konzertsaal als „dunkles Loch“ bezeichnet, das ihn an einen „Betonbunker“ erinnere. Dieser Einzelstimme stehen die Aussagen mehrerer Philharmoniker gegenüber, etwa des Bratschisten Konstantin Sellheim: „Ich glaube, einen so guten Konzertsaal wie die Isarphilharmonie hatte München noch nie.“ Ein zwiespältiges Urteil war in der FAZ zu lesen: Lob für die Akustik („besser als im alten Gasteig“), Kritik am rauhen Charakter der Trafohalle samt dem Mangel an Toiletten.
In der Isarphilharmonie wird nun auch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) spielen, für das seit Jahren ein eigenes Konzerthaus auf dem früheren Pfanni-Gelände am Münchner Ostbahnhof geplant wird. Ob dieses Haus, das bis auf Weiteres „auf Eis“ liegt (Bauwelt 3.2021), überhaupt noch gebraucht wird, wenn einmal der alte Gasteig saniert ist, wird nicht nur im Bayerischen Landtag diskutiert, der Mittel von mindestens 580 Millionen Euro genehmigen müsste. Könnten sich nicht die Stadt München für die Philharmoniker und der Freistaat Bayern für das BRSO auf eine gemeinsame Heimstätte im runderneuerten Gasteig einigen? Das Haus am Ostbahnhof würde ohnehin nicht früher fertig.



Fakten
Architekten gmp, Hamburg
Adresse Hans-Preißinger-Straße 8, 81379 München


aus Bauwelt 23.2021
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