Auf den Spuren der Antike
Meisterzeichnungen des britischen Neoklassizismus in Berlin
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Auf den Spuren der Antike
Meisterzeichnungen des britischen Neoklassizismus in Berlin
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Das britische Königreich war bereits eine Weltmacht, als es sich anschickte, auch architektonisch mit den Weltmächten früherer Zeiten gleichzuziehen. Rom gab den Maßstab und die Formen vor, in denen Architekten von der britischen Insel seit dem späten 17. Jahrhundert und noch mehr im 18. Jahrhundert bauen wollten. So ist es nur folgerichtig, dass die neue Ausstellung im Berliner Museum für Architekturzeichnung mit „Auf den Spuren der Antike“ überschrieben ist und mit Darstellungen römischer Altertümer einsetzt. Die Grand Tour war ein Muss und der mehrjährige Auslandsaufenthalt zumeist die einzige große Reise, die Architekten bürgerlicher Abstammung in ihrem Leben unternehmen konnten. Es hieß, von dort alle Kenntnisse und Anregungen mitzubringen, um eine erfolgreiche Laufbahn einzuschlagen.
Grandiose, zumeist aquarellierte Zeichnungen sind aus dem Sir John Soane’s Museum nach Berlin gekommen; nach der Eröffnungsschau des Museums für Architekturzeichnung der Tchoban Foundation vor zwei Jahren (Bauwelt 28.2013) ist dies bereits die zweite Ausstellung, die mit Beispielen aus der über 30.000 Blätter umfassenden Sammlung des Londoner Partners gestaltet wurde. Es ist die schiere Augenfreude. Denn ähnlich verspielt wie das berühmte Doppelhaus von John Soane in London, das seinem Besitzer Wohnhaus, Arbeitsstätte und Museum in einem war, präsentieren sich in den abgedunkelten, aber alles andere als düsteren Räumen des Berliner Museums die zartfarbigen, wie von innen heraus leuchtenden Blätter. Hier wird keine Architekturgeschichte chronologisch aufgereiht, hier werden reale Entwürfe mit fantasiereichen Capricci gemischt, hier geht die Kenntnis anti-ker Proportionslehren mit lustvollem Einfallsreichtum eine besondere Verbindung ein.
John Soane selbst ist der beste Vertreter dieser eigentümlichen Melange. Sein Lebensweg von 1753 bis 1837 umspannt die Wandlungen der britischen Gesellschaft, die sich in den Bauvorhaben widerspiegeln. Soane, von Hause aus materiell nicht eben begünstigt, musste sich seinen Weg erarbeiten. So ist die Darstellung seines (erträumten) Hauses Pitzhanger Manor ein getreues Spiegelbild dieser bürgerlichen Aufstiegshoffnung: Ein älteres, schlichtes Gebäude, an dem der erst 15-jährige Soane als Lehrling des berühmten George Dance d.J. mitgearbeitet hatte, ist Teil eines mit Motiven des Konstantinsbogens in Rom verzierten Bauwerks, das die klassische Ausbildung des Architekten zur Anschauung bringt. Kurz zuvor, 1788, hatte Soane in vier Aquarellen das von ihm entworfene Country House für den Bankier und Abgeordneten William Praed zu unterschiedlichen Tageszeiten von seinem Mitarbeiter Michael Gandy darstellen lassen; Gandy verdanken wir die besten Ansichten von Soanes Projekten und einige der schönsten Architekturdarstellungen überhaupt.
Kaum ist zu unterscheiden, wo es die Darstellung von Gebautem ist, wo Entwurf oder schiere Fantasie. Entwurf blieb die Kulissenarchitektur einer römischen Befestigungsanlage, die der eine Generation ältere Robert Adam (1728–1792) für einen reichen Adeligen entwarf – derselbe Adam, der in London zahlreiche Stadthäuser für seine wohlhabende Klientel plante. Adam wollte London ein wahrhaft imperiales Aussehen geben; hier ist die Schnittzeichnung seines Entwurfs für ein enormes Opernhaus mitten in London zu sehen. Es kam ebenso wenig zur Ausführung wie sein Entwurf für eine römisch gedachte Monumentalfassade an der Chancery Lane. Auch Soane entwarf Grandioses, zum Beispiel eine gänzlich neue, imperiale Bebauung der Downing Street mit Triumphbögen am Anfang und am Ende, unter denen der König bei Staatsfeierlichkeiten hindurchschreiten sollte. Doch das war 1827. Der opulente Spätbarock eines John Nash, der, als der große Rivale Soanes, in der Ausstellung nicht repräsentiert ist, war da längst vorüber. „Eine aristokratische Gesellschaft mit bürgerlichen Neigungen war zu einer bürgerlichen Gesellschaft mit aristokratischen Sehnsüchten geworden“, urteilt pointiert John Summerson, der beste Kenner der britischen Architekturgeschichte des Klassizismus, über die Zeit nach den Napoleonischen Kriegen.
Zwei Zeichnungen von Charles Cameron (1743–1812) sind zu sehen, etwas überaus Seltenes, verbrachte er doch seine reife Zeit in Diensten des russischen Zarenhofs, wo er unter anderem den Palast von Pawlowsk bei St. Petersburg entwarf. Zeichnungen von französischen und italienischen Zeitgenossen vervollständigen die Ausstellung. Ein Blatt aus der Hand Piranesis ragt heraus, in Rötel und Feder; Robert Adam brachte es von seiner Grand Tour mit, auf der er Piranesi 1755 traf. Soane kaufte Adams Sammlung 1833 auf. Er selbst hatte Rom zwischen 1778 und 1781 besucht, und auf diese Zeit geht ein Blatt zurück, das der ganzen Ausstellung als Leitmotiv vorangeht: „Ein Student misst ein Kapitell am Tempel des Jupiter Stator“. Es handelt sich um eine der vielen hundert Zeichnungen, die Soane für seine Vorlesungen als Professor an der Royal Academy anfertigen ließ und die natürlich nicht den Tempel zu Soanes Zeiten zeigen, sondern den idealen, unversehrten Bau der Römer, an dem der Maßstab der Architektur zu gewinnen ist. Das aber ist die Essenz dessen, was Klassizismus heißt und bedeutet und in Großbritannien eine Blüte erlebte, wie sie schöner als im Museum für Architekturzeichnung in Deutschland wohl noch nie zu sehen war.
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