Bauwelt

Weiße und hybride Moderne

Eine Ausstellung des Israel Museum in Jerusalem zeigt Architektur in Palästina aus den Jahren des britischen Mandats

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Arbeitersiedlung in Tel Aviv (1934), erbaut von Arieh Sharon (1900–1984), Bau­hausschüler und Mitarbei­-ter Hannes Meyers.
    Foto: Itzhak Kalter

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    Arbeitersiedlung in Tel Aviv (1934), erbaut von Arieh Sharon (1900–1984), Bau­hausschüler und Mitarbei­-ter Hannes Meyers.

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    Kino „May“ in Haifa (1930), Architekt: Yehuda Lilienfeld
    Foto: Itzhak Kalter

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    Kino „May“ in Haifa (1930), Architekt: Yehuda Lilienfeld

    Foto: Itzhak Kalter

Weiße und hybride Moderne

Eine Ausstellung des Israel Museum in Jerusalem zeigt Architektur in Palästina aus den Jahren des britischen Mandats

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

1917 besetzte Großbritannien das zum Osmanischen Reich gehörende Palästina und erhielt 1920 das Mandat über das Land, das es bis zur Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 aus­übte. In diesen drei Jahrzehnten begann in großem Stil die jüdische Einwanderung in das, was als „Heiliges Land“ und später einfach nur „das Land“ galt. Das mehr war als ein bloßer Zufluchtsort für die in Europa zunehmend diskriminierten Juden, sondern das Ziel ihrer jahrhundertealten Sehnsucht. Was in Palästina geschah, konnte darum nur ein völliger Neuanfang sein. In der Architektur drückte er sich in einer Sprache aus, die der Klassischen Moderne zuzurechnen ist, doch ganz eigene Wege ging. Frei von historischen Vorgängern, gegen die sich die Architektur absetzen musste, frei auch von re­gionalen Traditionen, die sie hätte aufgreifen können, entwickelte sich die „Weiße Architektur“, die – anders als in Europa – Jahre und Jahrzehnte Gelegenheit hatte, sich auszubilden und zum Ausdruck eines breiten gesellschaftlichen Konsenses zu werden.
Heute ist die „Weiße Stadt“ von Tel Aviv mit rund 4000 Bauten – die Hälfte von ihnen denkmal­geschützt – das größte Architekturensemble der Moderne, des „Neuen Bauens“ überhaupt. Auf der Abschlussveranstaltung des diesjährigen „Tags des offenen Denkmals“ in Berlin führte Sharon Golan-Yaron, Programmdirektorin des „Liebling Center for the White City Conservation“, eindringlich vor Augen, welch enormes Erbe es in der Metropole am Mittelmeer zu schätzen und zu schützen gilt. Dieses Erbe wird, wie der Zufall es will, zurzeit in einer sehenswerten Ausstellung im Israel Museum in Jerusalem präsentiert. Un­-ter dem nüchternen Titel „Architektur in Palästina während der Britischen Mandatsverwaltung, 1917–1948“ ist sie nicht allein der „Weißen Moderne“ gewidmet, sie zeigt zugleich die (wenigen) Beispiele von Bauten der britischen Verwaltung und ihr nahestehender Institutionen – aber auch das, was „als hybride Moderne“ neben und nach der Blütezeit der formal so strengen Moderne entstand. Die Autoren der Schau und des Begleitbuchs, Ada Karmi-Melamede und Dan Price, weisen nach, dass diese drei Linien der Architekturentwicklung zeitlich weitgehend aufeinander folgen, mit der „makellosen“ Weißen Moderne als ihrem von Anfang der 30er bis Anfang der 40er Jahre dominierenden Mittelteil.

Frei von Zwängen und regionalen Vorbildern

Palästina gegen Ende der osmanischen Herrschaft war ein verarmtes, unterentwickeltes und wenig einladendes Gebiet. So bot sich die Chance, frei von Zwängen und Vorbildern zu arbeiten. Dies ging einher mit der Formung einer nationalen, zionistischen und jüdisch-säkularen Identität. Ein früher Bau ist das Hauptgebäude des Technions in Haifa von Alexander Baerwald (1926), der ersten Technischen Hochschule im Land. Baerwald orientierte sich noch an vage islamischen Bauformen wie haushohen Nischen und zentralen Kuppeln. Für Jerusalem erließen die Briten sehr strikte Regelwerke, die unter anderem die Verblendung aller Fassaden mit dem ortstypischen, hellen Kalkstein vorsahen (und mit Ausnahme der Höhenbeschränkung bis heute weitgehend Bestand haben). Ein typisches Beispiel der Mandatsarchitektur ist die Residenz des Hochkommissars in Jerusalem (1933) von Austen St. Barbe Harrison.
Die aus Europa, vornehmlich aus Deutschland einwandernden Architekten hatten anderes im Sinn. In Tel Aviv, das sich nördlich der alten Hafenstadt Jaffa auf freiem Feld entwickelte, schufen sie einen den klimatischen Bedingungen angepassten Typus von Ein- und Mehrfamilienhäusern, der das teils vom Bauhaus, teils von Le Corbu­sier entwickelte Vokabular der Moderne zu einer ­kohärenten Sprache ausbildete. Typisch sind die asymmetrischen Fassaden, die Balkone, oft um die Ecke herumgeführt, teils vorstehend – wie am Bauhaus –, eher aber in das Volumen eingeschnitten, um Schutz zu bieten gegen die sengende Sonne. Schmale Fensterbänder unterstreichen die bemerkenswerten Geschosshöhen, die – vor der Erfindung der maschinellen Klimatisierung – für akzeptable Raumtemperaturen sorgten. Die Flachdächer sind oft als Freiraum ausgebildet und entsprechend eingefasst, und die überwiegend dreigeschossigen Gebäude stehen meist auf Stützpfeilern über dem Boden; Corbu lässt grüßen. Die Treppenhäuser sind durch vertikale Fensterbänder belichtet, die Eingänge oft tief ins Gebäude zurückgezogen.

Dessau, Bernau, Tel Aviv

Mehr als in Europa hat die „Weiße Moderne“ öffentliche Räume ausgebildet; von der britischen Verwaltung lagen bereits Stadtplanungen mit Hauptverkehrsachsen und dazwischen liegenden, durch begrünte Plätze gegliederte Wohn­gebieten vor. Akzente setzen Sonderbauten wie das Habima Theater, das Oskar Kaufmann 1934 in Tel Aviv baute, oder Kinos wie das „May“ von Yehuda Lilienfeld und das „Armon“ von Shmuel Rozov, beide in Haifa. Die wunderbaren Schwarz-Weiß-Fotografien, die als großformatige Transparentbilder die Ausstellung dominieren, lassen den Aufbauwillen spüren, das Selbstbewusstsein der Neuerer, das Verlangen nach einem sozialen Miteinander. Zu wissen, dass zahlreiche der so hoffnungsvoll ausgeführten Bauten heute Sanierungsfälle sind oder bis zur Unkenntlichkeit überformt werden, erfüllt mit Betrübnis.
In Berlin wurde mitgeteilt, dass aus Bundesmitteln über die kommenden Jahre 2,8 Millionen Euro zur denkmalpflegerischen Arbeit des „White City Centre Tel Aviv“ beigesteuert werden. Seit 2003 zählt die „Weiße Stadt“ zum Unesco-Weltkulturerbe. Kein anderer Eintrag auf der Unes­co-Liste ist so sehr mit den deutschen Welterbestätten der Moderne verbunden wie die „Weiße Stadt“. Diese Verbindung gipfelt in der Arbeitersiedlung, die Arieh Sharon 1934 in Tel Aviv auf ­damals karges Land stellte. Sharon hat nicht nur am Bauhaus studiert, er wurde auch ein enger Mitarbeiter von Hannes Meyer beim Bau der ADGB-Bundesschule in Bernau, bevor er 1931 endgültig nach Palästina ging. Heute ist das Erbe der Moderne in Tel Aviv mehr und mehr bedroht. Es geht nicht allein um Bauten: Die „Weiße Stadt“ steht für eine der großen gesellschaftspolitischen Hoffnungen des 20. Jahrhunderts.

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