Familien-Affären
Adolf Loos als Designstar des Pilsener Bürgertums
Text: Valdhansová, Lucie, Pilsen/Brünn
Familien-Affären
Adolf Loos als Designstar des Pilsener Bürgertums
Text: Valdhansová, Lucie, Pilsen/Brünn
Seit Beginn dieses Jahres können in Pilsen mehrere renovierte Wohninterieurs nach Plänen von Adolf Loos besichtigt werden. Für ein breites Publikum, aber auch für viele Fachleute, kommt damit eine bislang weitgehend unbekannte Lebens- und Schaffensphase dieses bedeutenden Architekten ans Licht.
Was hatte den in Brünn geborenen, vor allem aber in Wien lebenden und wirkenden Vorreiter der Moderne nach Pilsen verschlagen? Familien-Affären! Der Bruder seines besten Freundes hat-te eine Pilsenerin geheiratet, das junge Paar ließ sich von Loos in Wien eine Wohnung einrichten und schwärmte von dem „talentierten Architekten“ daheim in der westböhmischen Metropole, wo dann der Bruder der Braut, Wilhelm Hirsch, sich 1907 ebenfalls eine Wohnungseinrichtung bestellte. Die Hirschs waren eine jüdische Unternehmerfamilie mit engen Kontakten zu vielen anderen Geschäftsleuten am Ort, wodurch sich der Ruf des guten „Einrichters aus Wien“ hier rasch verbreitete.
Adolf Loos’ Tätigkeit in Pilsen lässt sich in zwei Phasen unterteilen: eine kürzere zwischen 1907 und 1910, eine weitere dann ab 1927 bis zu seinem Tod 1933. Anlass für die spätere Rückkehr war der Erfolg seiner zweiten Pilsener Wohnung, die er um 1910 für das Ehepaar Beck entworfen hatte: Als sich die Familie 1927 ein neues Domizil suchte, wollte man auf die vertraute Einrichtung nicht verzichten, so dass Loos erneut engagiert wurde, um seine frühere Lösung an die neuen Räumlichkeiten anzupassen. Dieser Auftrag wiederum gab dem Privatleben des Architekten eine nachdrückliche Wende: Er nahm die Tochter des Bauherrn, die Fotografin Clara (Claire) Beck, zu seiner dritten Frau und war von nun an häufig in Pilsen anzutreffen. Etliche Aufträge für Wohnungseinrichtungen sind aus jener Zeit überliefert, überwiegend für jüdische Familien wie Semmler, Brummel, Naschauer, Kraus, ein weiteres Mal Hirsch. Stets handelte es sich um Umbauten von großzügigen Bürgerwohnungen des späten 19. Jahrhunderts, die sich überwiegend in einem eng umgrenzten Stadtgebiet befinden – entlang der Klatovská, damals Pilsens Prachtstraße, oder in deren Nähe, wo eben die Wohlhabenden ihre Adressen zu suchen pflegten. Dort gehörte es bald zum guten Ton, den begabten Herrn Loos zu beauftragen, oder wenigstens einen seiner Mitarbeiter – Karel Lhota, Boris Kriegerbeck, Heinrich Kulka oder Norbert Krieger.
Materialreichtum und Symmetrie
Was Loos in Pilsen realisieren konnte, folgte überwiegend dem gleichen Muster. In den repräsentativen Räumen fallen die kräftigen Farben und reichen Materialien auf – der Autor von „Ornament und Verbrechen“ liebte offenkundig die natürlichen Maserungen von Holz und Marmor. Ein weiteres Merkmal ist die axiale Symmetrie, nach der sich Raumfolgen zumeist entlang einer Mittelachse entwickeln und so große Auftritte ermöglichten. Ebenfalls symmetrisch sind an den gegenüberliegenden Marmorwänden oft Spiegel angebracht, so dass sich der Effekt bis ins Unendliche gespiegelter Raumtiefen ergibt. Im Fall der Wohnung Bendova 10 wird dieser optische Trick noch durch Hochglanzlack an Holzwänden und -decken gesteigert. Blickfang der Wohnräume sind in aller Regel Kamine mit Sitzecken, die aus eingebauten Sofas und Sesseln verschiedener Sitzhöhe bestehen; letztere wurden oft nach Wünschen des Auftraggebers entworfen. So sehr Loos Bedürfnissen seiner Bauherren folgte, war er doch penibel auf seine Gestaltungsidee bedacht: Es gibt Wandpaneele, in die sogar die Rahmen für Bilder fest eingebaut sind. In privateren Gemächern oder auch in Kinderzimmern, durfte es verspielter zugehen, hier überraschen oft ungewöhnliche Farbkombinationen.
Neues Interesse
In tschechischen Architektenkreisen wurde das Werk von Adolf Loos schon während der dreißi-ger Jahre geschätzt und publiziert, in den Kriegsjahren und nachfolgend im Sozialismus hatte es die Avantgarde aber nicht leicht. Viele großbürgerliche Interieurs gingen verloren. Die Kunsthistorikern Věra Běhalová versuchte in den späten sechziger Jahren, mit einer Dokumentation aller in Pilsen noch vorhandenen Loos-Wohnungen deren Eintragung in die zentrale Denkmalliste des Landes zu erreichen. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings ging Běhalová ins Exil, die Verluste setzten sich fort. Erst nach der Wende 1990 wuchs mit der Restitution alten Hausbesitzes ein neuerliches Interesse am Werk von Adolf Loos. Im Oktober 2003 warf ein Symposium die Frage möglicher Rekonstruktionen des nun als wertvoll erkannten Erbes auf. Zwei Publikationen, in denen auch bislang unbekannte archivalische Quellen erschlossen wurden, bewegten die Pilsener Stadtverwaltung endlich, einige der Loos’schen Innenräume, die sich in kommunalem Besitz befinden, zu renovieren und für das Publikum zu öffnen.
Original? Replik? Neuinterpretation?
Von den dreizehn Interieurs, die der Quellenlage zufolge Adolf Loos zugeschrieben werden, sind heute acht noch hinreichend erhalten. Davon wurden zwei mit städtischen Mitteln renoviert, eine Wohnung von ihrem privaten Besitzer hergerichtet, eine weitere Renovierung wurde vom Landkreis finanziert. Die Herangehensweisen sind allerdings unterschiedlich. Der Prager Architekt Václav Girsa etwa vertritt den Weg penibler Rekonstruktion: Alles wird möglichst originalgetreu erhalten, fehlende Teile werden als Repliken gefertigt, und die fertige Wohnung funktioniert fortan als Museum (Klatovská 12). Im „Brummelhaus“ (Husova 58) besteht das gesamte Mobiliar aus Originalstücken der Loos-Zeit, die Michael Brummel, ein Neffe des ursprünglichen Besitzers, über Jahre hinweg gesammelt hat. In der Bendova 10 haben die Brünner Architekten Lud-vik Grym und Jan Sapák alle noch originalen Teile der Ausstattung restauriert, anstelle des fehlenden Mobiliars wurden aber neue Sitzelemente in minimalistischer Vereinfachung entworfen, sowie zu heutiger Thonet-Produktion gegriffen. Diese Wohnung dient nicht nur als historisches Schaustück, sondern auch als Veranstaltungsraum. Extra für das Kulturhauptstadtprogramm haben Studierende der TU Stuttgart unter Leitung von Wolfgang Grillitsch in zwei der noch nicht fertig renovierten Wohnungen kleine improvisierte Installationen realisieren können, in denen sie sich mit den sozialen und rollenspezifischen Wirkungen dieser bürgerlichen Wohntypologien auseinandersetzten.
Noch in Arbeit ist ein dauerhafter Ausstellungsraum, der zugleich als Forschungs- und Architekturzentrum von der Westböhmischen Galerie in der Klatovská 110 betrieben werden soll. Bei dieser Adresse handelt es sich zweifellos um die größte und gewichtigste Arbeit von Loos in Pilsen. Dieses eine Mal durfte der Architekt anstelle von nachträglichen Staffagen einen kompletten „Raumplan“ verwirklichen. Allerdings wirkte Loos hier nur als Ideengeber, Details und Ausführung sind von seinem Mitarbeiter Heinrich Kulka.
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