Altersruhesitz
Lenins Kopf, ein Standbild Kaiser Wilhelms, Stelen mit Zitaten von Erich Honecker – wohin damit? Ins neue Museum für ausrangierte Berliner Denkmäler auf der Zitadelle Spandau von Staab Architekten
Text: Tempel, Christoph, Berlin
Altersruhesitz
Lenins Kopf, ein Standbild Kaiser Wilhelms, Stelen mit Zitaten von Erich Honecker – wohin damit? Ins neue Museum für ausrangierte Berliner Denkmäler auf der Zitadelle Spandau von Staab Architekten
Text: Tempel, Christoph, Berlin
„Die deutsche Revolution hat neben manchem andern auch versäumt, die Siegesallee abzutragen“, konstatierte Carl von Ossietzky Ende 1930 in der Weltbühne. „Sie fand nicht den Mut, in einem symbolischen Akt die alte Zeit zu zerstören. Diese halb komische, halb herausfordernde Freiluftpuppenstube des letzten Hohenzollern hätte in tausend Stücke zerschlagen werden müssen.“ Wurde sie aber nicht, sodass sich nun die neue Dauerausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ auf der Zitadelle in Berlin-Spandau unter anderem deren Schicksal widmen kann. Im früheren Proviantmagazin der Zitadelle wird seit Ende April deutsche Geschichte anhand von Originaldenkmälern erzählt, die aus dem Berliner Stadtraum verschwunden sind.
1895 von Wilhelm II. in Auftrag gegeben, sah die Siegesallee, diese royale Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Berliner Bildhauerschule, sechs Jahre und 32 Figurengruppen später ihrer Vollendung entgegen. Jede Gruppe bestand aus dem Standbild eines brandenburgisch-preußischen Herrschers und einer halbrunden Sitzbank mit zwei Büsten, die bedeutende Persönlichkeiten aus der Zeit des jeweiligen Herrschers darstellten. Die Gruppen waren in chronologischer Reihenfolge aufgestellt, beginnend mit dem Gründer der Mark Brandenburg Albrecht dem Bären und endend mit Wilhelm I., dem Großvater des Auftraggebers. Die anlässlich der Eröffnung gehaltene kaiserliche Ansprache gelangte als „Rinnsteinrede“ zu Berühmtheit, Künstler und Intellektuelle überzogen den Mäzen und seine Kunstauffassung mit Spott, und doch strömten die Berliner und nahmen die Siegesallee in Beschlag.
In der Zeit des Nationalsozialismus störte die Siegesallee die Germania-Gigantomanie, und sie wurde 1938 mitsamt ihrem Zielpunkt, der Siegessäule, an den Großen Stern verlegt. Mit den Denkmälern Roons, Bismarcks und Moltkes sollte sie das sogenannte Forum des Zweiten Reiches bilden.
Erst die Alliierten wagten den symbolischen Akt und verbannten alle Denkmäler militärischen Charakters aus dem Berliner Stadtbild. Die vom Krieg zum Teil stark zerstörten Hohenzollern wurden abgeräumt und am Schloss Bellevue zwischengelagert. Doch anstatt sie zu zerschlagen, ließ der damalige Landeskonservator Hinnerk Scheper die Skulpturen vergraben: aus den Augen, aus dem Sinn! Mitte der 70er Jahre wurde wieder als Kunst angesehen, was zuvor nur militärischen Charakter gehabt haben soll, und die Standbilder und Büsten wurden exhumiert und ins neu geschaffene Lapidarium an den Landwehrkanal in Kreuzberg gebracht, ein früheres Abwasserpumpwerk. Nach dessen Verkauf im Jahr 2009 zogen die insgesamt 70 Denkmäler erneut um, nun auf die Zitadelle: Endstation einer so nicht vorgesehenen Reise aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit an die Peripherie.
Dies ist der Hauptstrang der neuen Dauerausstellung, für die Staab Architekten das Proviantmagazin von neueren Ein- und Anbauten befreiten. Sie überzogen die acht Meter hohen Innenwände des in der NS-Zeit entkernten und zu einem Labor umfunktionierten Gebäudes mit einer nicht deckenden Putzschlämme, die die verschiedenen Zeitschichten sichtbar belässt. Eine neue Bodenplatte aus geschliffenem, dunkel gefärbtem Beton fasst Raum und Ausstellungseinbauten zusammen und bietet einen angenehm zurückhaltenden Rahmen für die Denkmäler, die dicht an dicht aufgereiht wurden.
In den vier weiteren Erzählsträngen wird die Zeit vor der Reichseinigung im Jahr 1871 beleuchtet, die Weimarer Republik, die NS-Zeit und die Nachkriegszeit, die über die beiden Halbstädte Ost- und West-Berlin bis ins Hier und Jetzt reicht. Eine große interaktive Denkmalkarte lädt zum selbsttätigen Entdecken von Denkmälern und Standorten ein, etwa 600 haben die Kuratorinnen zeitlich zugeordnet, kartographiert, beschrieben und mit den nötigen Informationen versehen. Selbst der versierte Berlinkenner reibt sich angesichts der vielen naturalistischen Denkmäler, die in den letzten Jahren in der Stadt aufgestellt wurden die Augen: Stellvertretend seien hier nur die „Väter der Einheit“ des französischen Künstlers Serge Mangin am Springerhochhaus in Kreuzberg (2010) und der lebensgroße Konrad Adenauer von Helga Tiemann in Charlottenburg (2005) genannt.
Doch dieser Sprung ins 21. Jahrhundert war zu voreilig, Schaulust will an Historischem genährt werden und findet genug Futter: Abgüsse der Genien des Kreuzbergdenkmals, die Standbilder Friedrich Wilhelms III. und seiner Frau Königin Luise aus dem Tiergarten, die dicht gedrängten, von den Sockeln geholten Hohenzollernherrscher und ihre Assistenzbüsten. Die Rekonstruktion einer Figurengruppe mit Bank lädt zum Verweilen und zur akustischen Reise in den Tiergarten an einem Sommertag des Jahres 1907.
Das Denkmal für die gefallenen Eisenbahner von Emil Cauer sowie ein schmaler Zehnkämpfer von Arno Breker und ein acht Tonnen schwerer germanentümelnder Gedenkstein aus Zehlendorf stehen physisch für Weimarer Republik und NS-Zeit. Die zugeordneten Medienstationen bieten ausreichend Material, um sich mit diesen beiden Schlüsselphasen deutscher Geschichte auseinanderzusetzen.
Einen weiteren Höhepunkt bildet am Ende der Ausstellung der Kopf des 1991 geschleiften, monumentalen Lenindenkmals von Nikolai Tomski. Sein Schicksal ist den meisten Berliner Besuchern wohl noch gegenwärtig – inklusive der Possen von Abriss und Bergung. Wer sich nicht mehr erinnert, findet auch hier ausführliche Informationen in den Medienstationen. Die anderen Denkmäler aus der DDR-Zeit sind nicht weniger interessant, ihre Entfernung hat aber weniger Medienrummel produziert als die des großen Lenin. Dass die West-Berliner Denkmäler ausschließlich über Medienstationen wahrgenommen werden können, ist dem Umstand geschuldet, dass sie nicht abgeräumt wurden: Luftbrückendenkmal, Ehrenmal für die Widerstandskämpfer des 20. Juli, das Denkmal für die Opfer des 17. Juni 1953 und die Trümmerfrau sind nach wie vor im Stadtbild zu finden.
Die Zerstörungssehnsucht, die Carl von Ossietzky angesichts der Siegesallee befiel ist verständlich und eigentlich allen sich wandelnden Zeiten eigen. Dass Bewahren und Aufarbeiten der bessere Weg sind, macht die Ausstellung auf der Zitadelle mehr als deutlich. Mit geschärftem Blick verlässt man den Ort und sieht allenthalben Denkmäler, die einem vorher nie aufgefallen wären.
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