Auf Achtungsabstand
Der Wettbewerb zum Exilmuseum Berlin ist ein Lehrstück für Denkmalpfleger. Wie das verbliebene, geschichsträchtige Portal des Anhalter Bahnhof in den Neubau integriert werden könnte, spaltete die Gemüter: Als Spolie oder Brosche?
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Auf Achtungsabstand
Der Wettbewerb zum Exilmuseum Berlin ist ein Lehrstück für Denkmalpfleger. Wie das verbliebene, geschichsträchtige Portal des Anhalter Bahnhof in den Neubau integriert werden könnte, spaltete die Gemüter: Als Spolie oder Brosche?
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Es gibt nicht mehr viele Ruinen, die aus sich selbst heraus an die Schrecken des Krieges erinnern. Bis zu ihrem Wiederaufbau war die Dresdner Frauenkirche ein solcher Gedenkort par excellence, in Köln wurden die Trümmerreste von St. Alban zu einem theatralischen Kriegsopfer-Memorial hergerichtet. In Berlin hat es die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, ergänzt um Egon Eiermanns Anbauten, zur Ikone gebracht. Und dann ist da noch jenes etwas abseits gelegene Portalrelikt, das als verschämte Geste an eine zweifelhafte Nachkriegsentscheidung er-innert – an den 1959 erfolgten Abriss des Anhalter Bahnhofs. Der war eine jener grandiosen Kathedralen des Schienenverkehrs gewesen, die die Metropole Berlin mit allen Enden des Kontinents verknüpften. Seine Gleise führten in den Süden, in Richtung Prag und Wien, Balkan und Italien, weshalb er in den 1930er Jahren zum letzten Rettungstor wurde für abertausende Menschen, die das Land fluchtartig verlassen mussten. Genauso steht er für das Schicksal all jener, denen die rettende Flucht nicht mehr gelang: Auch vom Anhalter Bahnhof fuhren ab 1941 Deportationszüge ab. Nach dem Krieg, im verkehrlich isolierten Westberlin, verfielen die riesigen Bahnsteighallen alsbald in Nutzlosigkeit.
Der stehengebliebene Mauerrest am Askanischen Platz ist eines jener stillen, dabei würdigen Monumente, die Vergangenes im normalen Berliner Alltag sichtbar machen, ohne sich vordergründig als Memorial auszustellen. Mit solch dezenter Beiläufigkeit wird es vorbei sein, wenn die 2018 gegründete private Stiftung „Exilmuseum Berlin“ ihre Pläne verwirklichen sollte. Auf Initiative einiger Kulturbürger um die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller, den Kunsthändler Bernd Schultz und den Museumsmann Christoph Stölzl soll auf dem vorderen Teil des beräumten Bahnhofsareals ein Museum zum Andenken an jene Menschen entstehen, die „aus Deutschland vertrieben und über die ganze Welt verstreut wurden”. Um sich nicht uferlos in sämtlichen Facetten des Exils als immerwährende Menschheitserfahrung zu verlieren, will man „exemplarisch“ vor allem „jene Menschen in den Blick nehmen, die sich vor den Nationalsozialisten […] im Ausland in Sicherheit bringen konnten“. Illustriert werden soll die vieltausendfache Erfahrung anhand von Einzelbiografien, um „die verschlungenen, tragischen und überraschenden Lebenswege der Exilanten“ nachfühlbar zu erzählen. Mangels noch erreichbarer Artefakte will man weniger Objekte ausstellen, dafür „mehr medial und szenografisch arbeiten“. Mehr Details zum Ausstellungskonzept waren anlässlich der Vorstellung der Museumsentwürfe nicht zu erfahren, inhaltlich scheint noch vieles unscharf und im Fluss zu sein.
Für Baukosten haben die Stiftungsgründer 27 Millionen Euro veranschlagt, von den bislang verfügbaren sechs Millionen wurden im Wesentlichen eine Geschäftsstelle etabliert, ein kuratorisches Team verpflichtet sowie nun der Realisierungswettbewerb finanziert. Zu diesem wurden zehn internationale Büros „mit Erfahrungen im Museumsbau“ eingeladen. Als Programm waren 3500 Quadratmeter Flächen für Dauer- und Sonderausstellungen, Gastronomie und Vermittlungsarbeit vorgegeben. Ein separater Raum soll sich speziell der Geschichte des Bahnhofs widmen, zusätzlich sollen 700 Quadratmeter dem Stadtbezirk für Freizeitzwecke (Umkleiden für einen vorhandenen Ballspielplatz etc.) zur Verfügung stehen – letzteres als Gegenleistung für die 99 Jahre Erbbaurecht, die der Stiftung auf landeseigener Fläche gewährt wurden.
Die Beschränkung des Baufeldes auf einen schmalen Streifen parallel zur einstigen Bahnhofshauptfassade, aber auch die erst vagen Vorstellungen der Museumskuratoren führten die Mehrzahl der Teilnehmer (mit Ausnahme von SANAA und Francis Kéré) zu annähernd gleichen Baukörper-Konstellationen, die sich allenfalls durch ihre Fassadencharaktere unterschieden. Durch diese „Eintracht“ im groben Umriss avancierte ein formales Element zum wichtigen Entscheidungskriterium: Welches Verhältnis soll der Neubau zur Portalruine eingehen – soll diese frei stehen, sich anlehnen oder fluchtbündiger Teil der neuen Fassade werden? Die drei Preisträger führen dieses Spektrum der Möglichkeiten vor, alle übrigen Arbeiten variieren nur die Unausweichlichkeit der drei Optionen: Dorte Mandrup (1. Preis) überhöht den Ruinenrest zum freistehenden „Denkmal“, der Museumsbau dahinter gerät so zur effektüberladenen Kulisse. Diller, Scofidio + Renfro (2. Preis) versuchen, mittels eines befremdlichen Glasüberwurfs das Bahnhofsrelikt freizustellen und trotzdem noch irgendwie mit dem Museumskubus zu verbandeln. Bei Bruno Fioretti Marquez (3. Preis) gehen die unregelmäßigen Abrisskanten des alten Portals fugenlos in die asketisch kahle Ziegelwand des Museums über und erinnern damit an die Alt-Neu-Vexierspiele von Hans Döllgast in München (Alte Pinakothek) oder Diener & Diener in Berlin (Naturkunde-Museum).
Die wohl naheliegende Neigung vieler Architekten – nicht zuletzt in der Jury – für den jetzt drittplatzierten Entwurf wurde schroff ausgebremst vom Einspruch der Denkmalpflege, die für jeden schutzwürdigen Gebäuderest bei der Begegnung mit Neubausubstanz auf einem „Achtungsabstand“ besteht, um die Aura des Denkmals zu wahren. Diese generell geltende Konvention denkmalpflegerischer Praxis lässt sich am Wettbewerb zum Berliner Exilmuseum nun ausgiebig diskutieren, werden da doch Distanzgesten unterschiedlichster Dimension durchgespielt, von Null bis mehr als zehn Meter. Wenn es um die schlichte architektonische
Würde des übriggebliebenen Portals geht, überrascht der schmale Grat, den es hier abzuwägen gilt – damit aus der historisch ehrbaren Spolie nicht die eitle Brosche einer aufgedonnerten Eventarchitektur wird.
Würde des übriggebliebenen Portals geht, überrascht der schmale Grat, den es hier abzuwägen gilt – damit aus der historisch ehrbaren Spolie nicht die eitle Brosche einer aufgedonnerten Eventarchitektur wird.
So gesehen ist es umso bedauerlicher, dass der hinreißende Entwurf von Nieto Sobejano an einer Platzierung vorbeischrammte. Nicht nur beweist er das sicherste Gespür für eine überzeugende Achtungsfuge. Insgesamt findet er für die Darstellung von Lebensschicksalen einen maßvollen Rahmen ziviler Bescheidenheit.
Alle Wettbewerbsbeiträge sind bis 17. Oktober in der Staatsbibliothek Berlin, Potsdamer Straße, ausgestellt.
Realisierungswettbewerb
1. Preis (30.000 Euro) Dorte Mandrup Arkitekter, Kopenhagen
2. Preis (20.000 Euro) Diller Scofidio + Renfro, New York
3. Preis (10.000 Euro) Bruno Fioretti Marquez, Berlin
1. Preis (30.000 Euro) Dorte Mandrup Arkitekter, Kopenhagen
2. Preis (20.000 Euro) Diller Scofidio + Renfro, New York
3. Preis (10.000 Euro) Bruno Fioretti Marquez, Berlin
Anerkennungen
(je 7500 Euro) SANAA, Tokio; Nieto Sobejano Arquitectos, Berlin
(je 7500 Euro) SANAA, Tokio; Nieto Sobejano Arquitectos, Berlin
Teilnehmer
Kéré Architecture, Berlin; Sauerbruch Hutton, Berlin; Staab, Berlin; ZAO/standardarchitecture, Beijing
Kéré Architecture, Berlin; Sauerbruch Hutton, Berlin; Staab, Berlin; ZAO/standardarchitecture, Beijing
Jury
Armand Grüntuch, Francine Houben, Petra Kahlfeldt,
Jórunn Ragnarsdóttir (Vorsitz), Verena von Beckerath, Kristin Feireiss, Clara Herrmann, Regula Lüscher,
Andre Schmitz, Bernd Schulz
Armand Grüntuch, Francine Houben, Petra Kahlfeldt,
Jórunn Ragnarsdóttir (Vorsitz), Verena von Beckerath, Kristin Feireiss, Clara Herrmann, Regula Lüscher,
Andre Schmitz, Bernd Schulz
Ausloberin
Stiftung Exilmuseum Berlin (in Abstimmung mit Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Berlin)
Stiftung Exilmuseum Berlin (in Abstimmung mit Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Berlin)
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