Das perfekte Bild der Stadt
Visualisierungen existieren parallel zur gebauten Form und folgen der Logik des Medialen. In kaum einer anderen Stadt lässt sich das besser beobachten als in Dubai. Nur wer ihren Einfluss akzeptiert und lernt, sie als eigenständige virtuelle Kontexte richtig zu lesen, kann erfolgreich planen und bauen
Text: Burs, Gerhard Martin, Hamburg
Das perfekte Bild der Stadt
Visualisierungen existieren parallel zur gebauten Form und folgen der Logik des Medialen. In kaum einer anderen Stadt lässt sich das besser beobachten als in Dubai. Nur wer ihren Einfluss akzeptiert und lernt, sie als eigenständige virtuelle Kontexte richtig zu lesen, kann erfolgreich planen und bauen
Text: Burs, Gerhard Martin, Hamburg
Im Zuge der Digitalisierung wird die Grenze zwischen der physischen Realität und den virtuellen Welten immer vager. Vor allem in der zeitgenössischen Architektur buhlen meist farbenfrohe und stimmungsvolle Renderings von Gebäuden um Aufmerksamkeit. Inzwischen dominieren diese räumlichen und am Computer erstellten Visualisierungen unsere Medienlandschaft derart, dass für manch ungeschulten Betrachter der Eindruck entsteht, ein Architekt sei im Wesentlichen ein Bildermacher.
In der Kritik wird dabei meist vergessen, dass zeitgenössische Architektur nun mal überwiegend in medialen Kontexten erfahren wird – auch von Architekten selbst. Auffällig ist, wie wenig gerade Architekten die Eigenständigkeit der Visualisierung als parallele Existenz der gebauten Form wahrnehmen und sogar über ein Bilderverbot bei Wettbewerben diskutieren. Dies ist erstaunlich, weil Visualisierungen im architektonischen Entwerfen viel über die Prozesse des zeitgenössischen Architekturschaffens offenbarten und die Bilderwelten Artefakte eines globa-len Epochenwechsels verkörpern, dessen Auswirkungen auf Raumvorstellungen und Gesellschaft nicht zu unterschätzen sind.
Medienarchitektur und Visualisierung
Architektur ist gerade im Entwerfen immer Bild – sei es als mentales, suchendes Bild der Idee, als Vor-Bild eines Konzeptes, als unterstützende bildliche Skizze oder als die bildliche und filmische Präsentationsvisualisierung. Im Unterschied zu den Erstgenannten werden Präsentationsvisualisierungen nur noch selten vom kreativen Entwerfer erstellt, sondern von darauf spezialisierten Firmen oder Einzelpersonen. Diese
Visualisierungsprofis stehen zwischen digitalem Handwerk, künstlerischer Gestaltung und Werbung. Zudem haben sie eine Scharnierfunktion zwischen allen am Entwurf beteiligten Gruppen und ihren jeweiligen Einzelinteressen; und das meist schon in einem Stadium, indem die Entwerfer selber nicht genau wissen, welche architektonischen Formen ihre Idee annehmen wird.
Visualisierungsprofis stehen zwischen digitalem Handwerk, künstlerischer Gestaltung und Werbung. Zudem haben sie eine Scharnierfunktion zwischen allen am Entwurf beteiligten Gruppen und ihren jeweiligen Einzelinteressen; und das meist schon in einem Stadium, indem die Entwerfer selber nicht genau wissen, welche architektonischen Formen ihre Idee annehmen wird.
Aus diesem Grund zeigen Visualisierungen meist mehr als die „reine“ Architektur und verkörpern ein Narrativ, das wie in der Werbung den Konsum anregen oder Kunden und Projektpartner überzeugen soll. Architekturentwurf und
Visualisierung bauen gleichermaßen auf bestehenden Erwartungshaltungen und Wünschen der Rezipienten auf. Denn folgt man der etablierten Logik der Werbung, kauft der Adressat weniger das Objekt oder Gebäude, sondern konsumiert vielmehr die Zeichen, die diese umgeben und durch Narration gebunden werden. Die so geschaffenen Bilder verkörpern nicht selten Utopien – begriffen nach der Wortherkunft, U-
Topos, „Nicht-Ort“ – in denen quasi paradiesische Zustände verbildlicht werden, die mit der realisierten Architektur für die Nutzer eintreten sollen. Der Traum vom glücklichen Vorstadtleben in Harmonie und im vermeintlichen Einklang mit einer gezähmten Natur ist dabei einer der am häufigsten anzufindenden Topoi, dessen Gegenpart eine irgendwie urbane, mondäne und verdichtete Vision des städtischen Lebens bildet. Getragen durch den Immobilienmarkt binden diese Bilder „Lifestyle“–Assoziationen der zeitgenössischen Stadtentwicklung in die kommerzielle Markt- und Werbelogik ein; und durch Serien, Filme und vor allem Städtemarketing verstärkt, entstehen „Images“ urbaner Räume, die eine anzustrebende Vision des „Guten Lebens“ abbilden.
Visualisierung bauen gleichermaßen auf bestehenden Erwartungshaltungen und Wünschen der Rezipienten auf. Denn folgt man der etablierten Logik der Werbung, kauft der Adressat weniger das Objekt oder Gebäude, sondern konsumiert vielmehr die Zeichen, die diese umgeben und durch Narration gebunden werden. Die so geschaffenen Bilder verkörpern nicht selten Utopien – begriffen nach der Wortherkunft, U-
Topos, „Nicht-Ort“ – in denen quasi paradiesische Zustände verbildlicht werden, die mit der realisierten Architektur für die Nutzer eintreten sollen. Der Traum vom glücklichen Vorstadtleben in Harmonie und im vermeintlichen Einklang mit einer gezähmten Natur ist dabei einer der am häufigsten anzufindenden Topoi, dessen Gegenpart eine irgendwie urbane, mondäne und verdichtete Vision des städtischen Lebens bildet. Getragen durch den Immobilienmarkt binden diese Bilder „Lifestyle“–Assoziationen der zeitgenössischen Stadtentwicklung in die kommerzielle Markt- und Werbelogik ein; und durch Serien, Filme und vor allem Städtemarketing verstärkt, entstehen „Images“ urbaner Räume, die eine anzustrebende Vision des „Guten Lebens“ abbilden.
Das perfekte Bild der virtuellen Vereinigten Arabischen Emirate
In kaum einer anderen Region ließ sich der Einfluss von Bildern auf architektonische Schaffensprozesse so konzentriert und beispielhaft für die gesamte Bauzunft beobachten wie in den aufstrebenden Städten am arabischen Golf. Vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) versuchten in der Zeit ihres Baubooms von 2001 bis zur Finanzkrise 2008, sich mit einem historisch beispiellosen Aufwand in das Netzwerk der Weltstädte einzubinden. In diesem Netzwerk konkurrieren Metropolen vor allem mit medial vermarkteten Images um Bürger, Touristen und Firmenansiedlungen. Neben dem Ausbau der Flugverbindungen und steuerlichen Erleichterungen setzten die beiden größten Emirate Dubai und Abu Dhabi auf Architekturprojekte, die während ihrer Entwicklungsphase mit aufwendigen Medienkampagnen die Utopie eines „Übermorgenlandes“ am Golf visualisierten. Auf diese Weise entwickelten sich die Emirate zu einem Mekka global agierender Architekturbüros und Projektentwickler, die von scheinbar üppigen Gewinnaussichten und der Perspektive, schnell und unbürokratisch Visionen umsetzen zu können, angelockt waren.
Obwohl die Architekturentwicklung in den VAE chaotisch und im Wettbewerb hoch beschleunigt war, zeigt sich rückblickend ein festes Schema: Die drei großen staatlichen Bauträger, Dubai Properties, Emaar und Nakheel, erstellten auf unbebauten Arealen anhand einer Primärfunktion, wie zum Beispiel Wohnen oder Arbeiten, zuerst eine Wirtschaftlichkeitsstudie und daraus folgend einen Masterplan. Als Zentrum der Planung fungierte meist ein „Signature Building“, das das Gebiet in der Vermarktung repräsentieren sollte. Häufig wurden hierzu international etablierte „Star-Architekten“ engagiert, von deren medialem Nimbus man für die „Marke“ VAE zu profitieren hoffte. Da vor allem Dubai kaum über Eigenkapital verfügte, um die Realisierung der architektonischen Visionen zu gewährleisten, sollten die im beispiellosen Umfang verbreiteten filmischen und bildlichen Visualisierungen Investoren und Käufer anlocken. Die gigantische Menge dieser Bilderwelten schuf den eigenständigen Kontext der „virtuellen VAE“ als renditeversprechendes Investorenutopia.
Charakterisiert ist dieses durch einen stetig in den Bildern wiederholten Blau-, Weiß- und Grün-Code, als touristisches Assoziationszeichen für Meer, Strand und Natur. Neben der Art des Blickwinkels auf Architektur, oszillierend zwischen immersiven Eindrücken aus Personenperspektive und Zusammenhang simulierenden Overviews, verraten vor allem die Personendarstellungen viel. Hellhäutige, westliche und arabische Personen dominieren. Da allerdings in der Realität über 60 Prozent der Einwohner der VAE aus asiatischen Ländern stammen, kann durchaus von einer rassistischen Utopie gesprochen werden, die in den Visualisierungen codiert durchscheint. Zusammen mit anderen assoziativen Motivgruppen und Codes wie zum Beispiel dem als mild illustrierten Klima und makelloser Ordentlichkeit, visualisieren sich die VAE als Ort des stereotypen Luxus-Jet-Sets, der durch Gruppenkonstruktionen und hierarchisch zentrierte sowie geschlossene Raumstrukturen von Sicherheit und Vereinheitlichung geprägt wird.
Es ist sehr bemerkenswert, dass das Bild der virtuellen VAE keine Zukunftsvision ist, wie es zur Zeit des Baubooms häufig deklariert wurde. Stattdessen handelt es sich um die Variation von etablierten Bildern des „Westens“, die eine lange Tradition als Projektionsflächen für eskapistische Fantasien und Sehnsüchte haben. Die beiden prägnantesten sind das urbane Ur-Image von New York, das als ein visueller Code für die Hoffnung auf ein modernes und angenehmes liberal-städtisches Leben fungiert, und das Image der exotischen Pracht eines idealisierten Orients, dessen Visualisierung durch die sogenannten Orientmaler aus Europa schon damals mit der historischen Realität keine Verbindung aufwies.
Gute Beispiele für die bauliche Umsetzung dieser Images liefern die Dubai Marina, in der die Hochhausskyline von New York nachgebildet ist, und Downtown Dubai. Um den 828 Meter hohen Burj Chalifa ist eine orientalische Palast-Märchenlandschaft zusammen mit betont modernen Hochhäusern als gebautes Schaubild arrangiert. Ein weiteres Beispiel bildet die Palm Jumeirah. Während die markante Form der künstlichen Insel vor Dubai fast beliebig mit eskapistischen Assoziationen versehen wird, existiert die inzwischen gebaute profane Reihenhaussiedlung völlig abgekoppelt von den medialen Sinnbezügen.
Die Images und Zeichen von Architektur sind allerdings, ob in gebauter oder bildlicher Form, immer der kritischen Deutung und Rezeption eines Betrachters ausgesetzt. Im Falle der VAE werden sie deshalb von einer sinnstiftenden Narration begleitet, die schon fast als Mythos bezeichnet werden kann. Vor allem in den Reden und Schriften Sheikh Mohammeds, des einflussreichen Herrschers von Dubai, umfasst dieser Mythos – grob vereinfacht – eine Kultur des „Herausragenden“. Hierbei soll das Primat der menschlichen Schöpfungskraft als ein Konzept des stetigen Strebens und Wachstums in der islamischen Welt implementiert werden. Illustriert durch die Visualisierung werden dazu die historischen Images und Narrative des utopischen „Guten Lebens“ kopiert und variiert, durch im-mer höher wachsende architektonische Ikonen verortet und anschließend global vermarktet. Dabei handelt es sich in toto um ein perfektes Bild, das als eigenständiges mentales Konstrukt mitunter die Wahrnehmung der physischen Realität überlagert.
Medienarchitektur entsteht demnach in einem Referenzsystem aus Images, Zeichen und Narrativen. Die Gefahr dabei ist, dass Entwürfe und Konzepte letztlich zu visualisierten Abstraktionen einer unerreichbaren Idealwelt werden. Die unreflektierte Übernahme von Werbe- und Medienlogik zur Verkaufssteigerung vermeintlich visionärer Entwürfe verkennt dabei nämlich, dass Werbung – und um nichts anderes handelt es sich hier – nicht wirkt, weil sie einen Rezipienten überrumpelt oder manipuliert, sondern weil sie an bestehende und vielleicht unbewusste Bedürfnisse andockt. Unter diesem Aspekt verraten die Referenzen der virtuellen VAE auf westliche Bilder sowie ihre Sogwirkung für Finanzgeber viel über den kulturellen und gesellschaftlichen Zustand des Westens.
Digitale Romantik und die globale
Perspektive
Mit der Finanzkrise fand auch das mediale System der virtuellen VAE ein vorläufiges Ende, vor allem weil das Vertrauen in die zugrundeliegende Wachstums-Utopie schwand. Dennoch sind die hier umrissenen Mechanismen zwischen Architektur, Medien und Bildern nach wie vor in einer spezifischen Form der globalisierten Urbanisierung präsent und die Entwicklungsstrukturen der VAE lassen sich weltweit beobachten. Auch in Deutschland sind Entwürfe und Bauten wie z.B. die Elbphilharmonie in Hamburg mehr als deutlich in ein Referenzsystem aus Bildern, Zeichen und Narrativen eingebunden. Ikonische Gebäude sind dabei die Fixpunkte einer „digitalen Romantik“. In dieser gründet eine durch Emotionalisierung vermeintlich egozentrierte aber gleichzeitig nivellierte Bild- und Formsprache. Die Hoffnung dabei ist, durch den kleinsten gemeinsamen Nenner die höchste Anzahl an potenziellen Investoren zu erreichen. Architektur wird hierbei als ein standardisiertes Wirtschaftsgut marginalisiert, dessen Qualität neben der baulichen Ausführung letztlich nur im medialen Kontext existiert. Der eingangs erwähnte Epochenwechsel, weg von der Bedeutung des Physisch- Realen, hin zur Dominanz des Virtuellen, offenbart sich in einer durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche verschärften Dichotomie. Einer zunehmend funktional betrachteten Realität steht darin die virtuelle Sinnstiftung gegenüber, die sich im Medialen visualisiert und eine übergeordnete Position einnimmt.
Es sei daran erinnert, dass Architektur ihrem Wesen nach eine bedeutende Mittlerfunktion zwischen Realität und Sinnstiftung einnehmen kann, ja, gesellschaftlich betrachtet, einnehmen muss. Die meisten der global erfolgreichen Architekturbüros beherrschen die Sprache der Medienkultur, die eng verbunden ist mit den Anforderungen einer Investmentgesellschaft.
Architekten müssen, wenn sie am Markt erfolgreich sein wollen, sich der Wirkung und Bedeutung von Bildern bewusst sein und sie als eigenständige Ausdrucksform einsetzen. Für ihre Architektur besteht jedoch die Gefahr, dass der eigentliche Kern architektonischen Denkens und Planens, die Auseinandersetzung mit den realen Gegebenheiten, durch die virtuelle „Sprache des Bildes“ überlagert wird und ins Gegenstandslose der Utopie abdriftet. Nur durch das fundierte Verständnis der mitunter unterbewussten Einflüsse von virtuellen Kontexten auf Architektur kann dieses verhindert – oder den Auswüchsen einer Medienarchitektur durch neue und integrative Ansätze entgegen gewirkt werden. Und wie so oft sind Bilder hierzu der Schlüssel; wenn wir nur lernen, sie richtig zu sehen.
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