Bauwelt

Die Berliner Küche im Bezug zur Welt um 2010

Text: Barthel, Stephan, Berlin; von Mende, Julia, Berlin; Oswalt, Philipp, Berlin; Schmidt, Anne, Berlin

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    Die Berliner Küche im Bezug zur Welt um 2010
    Illustration: Andreas Gefe

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    Die Berliner Küche im Bezug zur Welt um 2010
    Illustration: Andreas Gefe

Die Berliner Küche im Bezug zur Welt um 2010

Text: Barthel, Stephan, Berlin; von Mende, Julia, Berlin; Oswalt, Philipp, Berlin; Schmidt, Anne, Berlin

In mehr als der Hälfte der Berliner Haushalte lebt nur eine Person. Lebensstile und Ernährungsweisen haben sich individualisiert und dynamisiert. Mit unregelmäßigen Arbeitszeiten haben sich die Alltagsstrukturen gelockert, sodass die Mahlzeiten an Verbindlichkeit verloren haben. Statt zu Hause zu kochen, wird mehr und mehr außer Haus gegessen, oder man kauft vorbereitete Speisen ein. Dabei ist die heutige Küche – mit Strom und Gas versorgt – so sauber und bequem wie nie zuvor und mit Kühlschrank, Mikrowelle, Spülmaschine und allerhand elektrischen Küchengeräten auch hervorragend technisch ausgestattet. Zugleich bietet die Lebensmittelindustrie eine breite Palette an Fertiggerichten und -produkten, auch Lieferdienste gewinnen an Bedeutung.
Es gibt hierzulande keinen Mangel an Lebensmitteln mehr, im Gegenteil. Mehr als die Hälfte der Menschen ist übergewichtig. Während der Verzehr von Getreide und Kartoffeln als Grundnahrungsmittel drastisch zurückgegangen ist, ist der Bedarf an Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst stark gestiegen. Nur wenige Menschen verrichten noch schwere körperliche Arbeit, die einst eine besonders nahrhafte Versorgung erforderte.
Das Lebensmittelangebot ist globalisiert. Viele Lebensmittel werden über weite Strecken transportiert, was jedoch nur wenig zum Klimawandel beiträgt. Wesentlich folgenreicher ist der Anstieg des Fleischverbrauchs und der hohe Verlust von Lebensmitteln im Laufe der Herstellungs- und Transportkette. Durch die räumlichen Distanzen hat der Städter keinen Bezug mehr zur Lebensmittelproduktion. Die Milch kommt aus dem
Supermarkt, das Fleisch aus der Kühltruhe. Ob Logistikketten per LKW, Schiff und Flugzeug, Gas- oder Stromleitungen: Die Stadt ist in transna­tionale Versorgungsnetzwerke eingebettet. Produktion und Vorverarbeitung von Lebensmitteln finden in der Ferne statt. In der Stadt selbst gibt es nur noch „Outlets“ mit einem überwältigenden Konsumangebot. Wie die Lebensmittel entstehen, welche Auswirkungen das auf Menschen und Umwelt hat, entzieht sich der Wahrnehmung. Nicht nur die stadtnahe Landwirtschaft ist weitgehend verschwunden, sondern auch die städtischen Schlachtereien, Brauereien, Lebensmittelfabriken sowie Kraftwerke und Gasometer.
Die Ernährung beansprucht nur noch 15 Prozent des Haushaltseinkommens, ist aber für 35 Prozent des ökologischen Fußabdrucks verantwortlich. Insbesondere der Import von Futtermitteln, Ölsaaten und Palmöl, aber auch von Düngemitteln und fossiler Energie für die industrialisierte Landwirtschaft trägt bei zu globalen Umweltproblemen wie Klimawandel, Verlust von Tropenwäldern und fruchtbaren Böden, zur Ausbeutung von lo­­kal knappen Trinkwasserreserven, zur Überdüngung etc. Ein weiteres Problem moderner Nahrungsversorgung sind Verpackungen. Jeder Deutsche verursacht täglich mehr als ein halbes Kilo Verpackungsmüll, zwei Drittel davon sind Nahrungsmittelverpackungen. Umfangreiche regionale Sys­teme wurden in den letzten Jahrzehnten entwickelt, um Abfälle und Abwässer zu recyceln oder umweltfreundlich zu entsorgen. Doch ein Teil der Abfälle gelangt nach wie vor in die Umwelt.
Gekocht wird mit Strom und Gas. Noch mehr als die Nahrungsversorgung ist die Energieversorgung globalisiert. Während Deutschland ein großer Lebensmittelproduzent ist und sich weitgehend selbst versorgen kann, müssen zwei Drittel der benötigten Primärenergie als Kohle, Gas und Erdöl importiert werden. Auch hier sind die ökologischen Folgen der Gewinnung wie des Verbrennens fossiler Energien für den Konsumenten nicht wahrnehmbar.
Die Medien haben indes die Aufmerksamkeit für die ökologischen und sozialen Probleme heutiger Ernährungsweisen geweckt, die Konsumgewohnheiten hat das bislang aber kaum verändert. Zwar erfreuen sich Bioläden, Lebensmittelmanufakturen und Urban-Gardening-Projekte großer Beliebtheit, doch bislang handelt es sich dabei weitgehend um effektvolle symbolische Gesten, um einen Ausdruck neuer urbaner Lebensstile. Ihr Beitrag zu einem nachhaltigen Konsum ist einstweilen gering.

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