Bauwelt

Die Besessenen

Der Regisseur Robert Wilson arrangiert in Leipzig Freaks, verdinglicht als Stühle und Sessel. Seine Ausstellung im Grassimuseum für angewandte Kunst belegt Augen und Ohren.

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Die Besessenen

Der Regisseur Robert Wilson arrangiert in Leipzig Freaks, verdinglicht als Stühle und Sessel. Seine Ausstellung im Grassimuseum für angewandte Kunst belegt Augen und Ohren.

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Die Ode des Dichters Nicolas Born „Mein neuer Sessel | ist er nicht wie ich | wenn ich gebückt den Sessel | auf mich nehme | - mich?“ gilt gleichermaßen für Stühle: Beiden Sitzen werden Attribute von Lebewesen zugeschrieben. Robert Wilson macht Sessel und Stuhl subsumierende „Chairs“ zu Figuren seiner Ausstellung „A Chair and You“ im Leipziger Grassimuseum für angewandte Kunst.
Ausgangspunkt des Regisseurs und Bühnenbildners ist die Stuhlsammlung des Schweizer Immobilienkaufmanns Thierry Barbier-Mueller, die rund 650 Objekte aus der Zeit von 1960 bis in die jüngere Gegenwart zählt. Für Leipzig wählte Wilson 140 Exponate aus und ordnete sie vier Räumen zu, die jeweils einen Akt des als „Oper“ verstandenen Parcours darstellen: „Kaleidoskop“ sowie „Dark, Medium und Bright Space“.
Im ersten Raum, der nur durch Prismen einsehbar ist, befinden sich ausschließlich Sitzmöbel mit hochglänzenden Oberflächen, die sich in den verspiegelten Wänden vervielfachen. Bereits hier gewärtigen die Zuschauer, dass der Fokus nicht auf dem Gebrauchsgegenstand liegt. Skulp­turengleich sind die Stühle entrückt, im „Medium Space“ etwa in einer minimalistischen Tragstruktur drapiert, die formal den in der ständigen Ausstellung des Museums präsentierten gläsernen Messestand von Lilly Reich zum Vorbild haben könnte.
Einige Sitzskulpturen sind bekannt, wie die postmodernen Zuspitzungen von „Klassikern“: Den kubischen Sessel von Le Corbusier fertigte Stefan Zwicky 1980 in Moniereisen und Stahlbeton und nannte das brutalistisch wirkende Objekt „Grand confort, sans confort (dommage à Corbu)“; Gerrit Rietvelds „Zigzag“ ist zuerst 1978 mit einer zum Kreuz verlängerten Rückenlehne von Alessandro Mendini „redesignt“ worden, dann ließ Maarten Baas 2004 sein Holz verkohlen, während Peter Sas ihn ein Jahr später als „Mediation Chair“ verdreifacht.
Die ausgewählten Exponate sind Manifeste, die Materialien wie Bambus oder Papier huldigen, die das Sitzen vom Thron bis zur nicht mehr nutzbaren Abstraktion beleuchten oder soziale Verhältnisse ironisch reflektieren – wie der „Classroom Stuhl“ von Stefan Wewerka, der sich vor der einst unantastbaren Autorität der Lehrer verneigt. Wohl tatsächlich zum Gebrauch gedachte Möbel überraschen, etwa der undatierte „Armchair“ aus Plexiglas von Paul Rudolph oder der dynamische, 1968 entstandene Kunststoff-Einbeiner von Luigi Colani.
Wie sonst auf der Bühne überwältigt Wilson auch im Grassimuseum durch bis ins Detail ausgefeilte Bildräume. Jeden hat er zusätzlich mit einer Tonspur unterlegt, so dass Besucherinnen und Besucher audiovisuell eingenommen werden. Das schafft Eindruck und auch Unterhaltung, doch am Ende, wenn der Parcours auf dem Innenhof beendet ist, stellt sich die Frage, was die Botschaft ist. Außer, dass der Titel des anfangs zitierten Bornschen Gedichts auf Sammler und Ausstellungsmacher zutreffen könnte: „Der Sessel des Besessenen.“

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