Die Rufer in der Wüste
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin
Die Rufer in der Wüste
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin
Gewerbegebiete sind das industrielle Gegenstück zu den Einfamilienhauswüsteneien, die sich in den letzten sechs Jahrzehnten in Europa rings um die alten Stadtkerne ausgebreitet haben. Und so, wie das architektonische Niveau der Einfamilienhäuser von Jahrzehnt zu Jahrzehnt tiefer gesunken ist, ist auch in den Gewerbegebieten nur selten gestalterische Ambition anzutreffen: „So schlicht wie möglich“ scheint hier wie dort die Bauherrschaften bei allen Entscheidungen zu leiten. Dieses Heft aber soll die Hoffnung feiern. Denn mögen auch viele Fragen zur Aufenthaltsqualität im Außenraum offen bleiben, lassen sich doch sehr wohl Beispiele dafür finden, dass auch in Gewerbegebie-ten Architektur entsteht, die den Namen verdient. Ziemlich mühelos haben wir die versammelten Beispiele gefunden, und darüberhinaus etliche andere, die, aus Platzgründen, außen vor bleiben mussten. Mit Ausnahme des neuen Entwicklungszentrums für Tetra Pak in Modena, haben wir bei der Auswahl vor allem Neubauten beiseite gelegt, um den Fokus auf Weiterentwicklungen des Bestands zu legen. Denn dieser ist so ausufernd, dass er unmöglich durch bessere Neubauten ersetzt werden kann. Stattdessen sollte er bei anstehenden Umnutzungen oder Sanierungen dringend auf sein architektonisch-räumliches Potenzial hin untersucht werden. Dieses ist überraschend groß, wie sich anhand einer ganzen Bandbreite von Typologien und konzeptionellen Ansätzen zeigt: von großen Logistikhallen, die, wie bei Salzburg geschehen, durch Einbauten und Einschnitte von ganz neuen Nutzungen und Funktionen besiedelt werden können, über kleine Produktionshallen, wie sie im norditalienischen Cittadella in formaler Logik für ergänzende Zwecke weitergebaut wurden, bis hin zu den Möglichkeiten, die sich aus einem radikalen Neudenken eines anspruchslosen Verwaltungsgebäudes ergeben, wie es im spanischen Alicante demonstriert wird. Zeichen eines Aufbruchs? Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ein Experiment!
Die oben erwähnte Gestaltungsambition vermisst man kaum weniger in den Stadtquartieren, die wir in den letzten Jahren gebaut haben. Und dass Bauherren von Geschosswohnungen sich sogar trauen, ein Experiment mit unsicherem Ausgang zu wagen, das gibt es noch viel seltener. Sollte doch einmal jemand ein Risiko eingegangen sein, wetteifern die Architekturmagazine darum, das Ergebnis zu veröffentlichen. Umso mehr freuen wir uns, in dieser Ausgabe allererste kritische Blicke in das eben fertiggestellte Experiment zu werfen, das die Münchner Genossenschaft Wogeno mit dem Architekten Peter Haimerl in der Messestadt Riem gewagt hat: Wohnen in Waben.
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