Die andere Moderne?
Die Ausstellung „Sakralität und Moderne“ lässt die Ära Rudolf Schwarz an der Kunstgewerbeschule Aachen Revue passieren
Text: Breuer, Gerda, Aachen
Die andere Moderne?
Die Ausstellung „Sakralität und Moderne“ lässt die Ära Rudolf Schwarz an der Kunstgewerbeschule Aachen Revue passieren
Text: Breuer, Gerda, Aachen
Es gibt zahlreiche Beispiele bei denen Sakralität, oder besser: Geistigkeit, für die Überwindung traditioneller Grenzen und für ein verändertes Raum- und Formverständnis inmitten der künstlerischen Avantgarde eine prägende Rolle spielte. Selbst der dritte Bauhausdirektor, Ludwig Mies van der Rohe, Sohn der Stadt Aachen, wartete nicht selten mit Zitaten von Thomas von Aquin auf, um seine Idee der „Wahrhaftigkeit“ zu vermitteln. Von den USA aus hat Mies noch 1958 die Übersetzung von Rudolf Schwarz’ „Vom Bau der Kirche“ (1938) veranlasst. In seinem Vorwort bezeichnet er Schwarz als „one of the most profound thinkers of our time“.
Während Mies als Protagonist der architektonischen Avantgarde firmiert, gilt Rudolf Schwarz (1897–1961) als Repräsentant der „anderen Moderne“ (W. Pehnt) und als der „Kirchenbauer“. In der Tat hat er der Stadt Aachen einen der faszinierendsten Sakralbauten der 20er Jahre hinterlassen: die Kirche St. Fronleichnam (1929/30), aber auch zwei zu Unrecht weniger bekannte Profanbauten: das Jugendheim St. Johann (1928) und die Soziale Frauenschule (1929–30).
Im Haus der Katholischen Hochschule, der einstigen Sozialen Frauenschule, widmet nun Anke Fissabre, Professorin für Geschichte und Theorie der Architektur an der FH Aachen, der Nachfolgeinstitution der einstigen Kunstgewerbeschule, die Rudolf Schwarz von 1927 bis 1934 als Direktor leitete, eine Ausstellung. Seine Reorganisation des Schulkonzepts, die der Idee einer modernen Bauhütte verpflichtet war, sah neben einer allgemeinen Eingangsklasse neue Fachabteilungen für die angehenden „Werkkünstler“ mit zahlreichen angegliederten Werkstätten vor. Nicht nur sakrales Kunsthandwerk stand im Zentrum der Lehre, sondern auch Architektur und Wohnen.
Mit Schwarz arbeiteten seine Kollegen, u.a. Hans Schwippert und Johannes Krahn, und Schüler im Sinne einer „Werkgemeinschaft“ zusammen – und dies weit über die Existenz der Schule hinaus. Zuvor war die Ausstellung in St. Fronleichnam zu sehen, wo das originale Inventar die Zusammenarbeit dieses Teams veranschaulicht: meist der Neuen Sachlichkeit zuzurechnen, aber auch mit überraschenden abstrakten Details wie einer Kanzel als weißer Würfel. Ein „Gesamtkunstwerk“ von selten stimmigem Purismus und beeindruckender Raumwirkung. Vieles ähnelt formal-ästhetisch und konzeptionell dem Bauhaus.
Bis 1933 leitete Schwarz die Kunstgewerbeschule in Aachen, im November bat er dann, 36- jährig, um seine Pensionierung, nachdem die Schule von den Nationalsozialisten demontiert worden war und nur noch als Handwerkerausbildung, ohne Kunst und Architektur, weiterexistieren sollte. Die Ausstellung beschreibt sowohl die Lehre der überragenden Figur des Direktors als auch die der Lehrer der verschiedenen Fachabteilungen beziehungsweise Werkstätten sowie das Thema der in der Moderne notorisch unterrepräsentierten Frauen, wobei die Bildhauerin Maria Eulenbruch hervorsticht, und vieles mehr. Überraschend sind Grafik und Buchkunst, deren plakative Sachlichkeit der renommierten Magdeburger Typografenschule um Wilhelm Deffke nahekommt, sowie die Serienmöbel von Hans Schwippert, nicht zuletzt diejenigen für einen Montessori-Kindergarten und ein „wachsendes Haus“ (zusammen mit Rudolf Schwarz).
Trotz augenfälliger Verbindungen zum Bauhaus ist Schwarz mit seiner heftigen Kritik an der Schule in die Geschichte eingegangen: Sie begann bereits in den 20er Jahren und kulminierte nach Kriegsende 1953 in der sogenannten „Bauhausdebatte“, die gegen die gesamte technizistische Moderne zielte. Wenngleich das Bauhaus die Schule mit größerer Strahlkraft und mit schon zur damaligen Zeit berühmten Lehrern war, so zeigt die Aachener Ausstellung, Teil der Jubiläumsfeier „Bauhaus 100 im Westen“ der Landschaftsverbände NRW, doch erneut, dass die trennscharfe Abgrenzung von Avantgarde und „anderer Moderne“ obsolet geworden ist.
Und noch einem Aspekt der Ausbildung von Architekten und Designern gibt die Ausstellung viel Raum: Sie zeigt die nicht-realisierten Architekturentwürfe der Kunstgewerbeschule Aachen. Unter dem Titel „Moderne in 3D“ haben Studierenden der FH Aachen die Entwürfe nachgebaut. Nicht nur besticht die Präsentationsform der weißen Architekturmodelle auf den eigens konstruierten Podesten mit ausziehbaren Informationstafeln, sie veranschaulicht auch in aller Deutlichkeit die Radikalität und Experimentierfreude der Schwarz’schen Lehre.
Mit dichter Solidität der Texte und glänzender Präsentation im ikonischen Gebäude von Rudolf Schwarz führt die Ausstellung ein längst überfälliges Kapitel der Geschichtsschreibung weiter aus, dessen oberflächliche Narrative sich andernorts vor dem Hintergrund der Gründungsfeier des Bauhauses und der Stilisierung seiner Singularität erneut zu verfestigen scheinen.
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