Bauwelt

Dreh dich mal um!

Die japanische Künstlerin Fujiko Nakaya fordert die Besucher ihrer Ausstellung „Nebel Leben“ im Haus der Kunst in München zum ge­nauen Beobachten auf. Vergebens?

Text: Sturm, Hanna, Leipzig

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    Wenn der Nebel sich vollständig aufgelöst hat, sieht der Raum aus wie zuvor – nur die Holzplanken glänzen ein bisschen mehr.
    Foto: Marion Vogel

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    Wenn der Nebel sich vollständig aufgelöst hat, sieht der Raum aus wie zuvor – nur die Holzplanken glänzen ein bisschen mehr.

    Foto: Marion Vogel

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    Foto: Judith Buss

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    Foto: Judith Buss

Dreh dich mal um!

Die japanische Künstlerin Fujiko Nakaya fordert die Besucher ihrer Ausstellung „Nebel Leben“ im Haus der Kunst in München zum ge­nauen Beobachten auf. Vergebens?

Text: Sturm, Hanna, Leipzig

Eine Spinne webt vor dunklem Hintergrund ihr schimmerndes Netz. An der Wand ein Zitat der Künstlerin: „Ich wollte, dass die Leute die Zeit der Spinne erleben, nicht meine. Wir haben die Natur so lange durch unseren eigenen ‚Filter‘ selektiert und wahrgenommen. Ich möchte mit der Natur auf Augenhöhe sein.”
Die Aufnahme des Tiers entstand 1973 in freier Natur und ist Teil der Installation „Ride The Wind And Draw A Line“. Weitere, lebendige Spinnen in einem Acrylkasten einige Räume weiter, erlauben es Fujiko Nakaya, das Verhalten der Spinne in ihrer natürlichen Umgebung dem Verhalten der Tiere in der Ausstellung auf zwei Bildschirmen gegenüberzustellen. Dieses didaktische Vorgehen, in dem sich Zusammenhänge erst durch genaues Beobachten und mit der Zeit erschließen, zeichnet auch das Herzstück ihrer Ausstellung im Münchner Haus der Kunst aus: die Nebel­skulp­turen.
Der Hauptraum wird von wenigen Elementen bestimmt, deren Nutzen zunächst unklar bleibt. Holzstege rahmen ein flaches Wasserbecken mit blau-grauem Grund. Im Zentrum eine begehbare Insel. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man dünne Stahlrohre und Düsen, die an den Rändern der Wasserfläche montiert wurden. Um sie herum sind die Holzplanken feucht. Hier hat etwas stattgefunden.
Menschen sammeln sich an den Rändern des Raums. Die fein abgestimmten Farbtöne und Spiegelungen im Wasserbecken laden zu ersten Fotografien und Videos ein. Ein Zischen. Weißer Nebel bildet eine Wolke über der Insel, die kurz als plastisches Gebilde in der Raummitte stehen bleibt. Die Zuschauer setzen sich in Bewegung, laufen aus dem Nebel hinaus und in den Nebel hinein. Sie filmen sich selbst, sich gegenseitig, geben einander Anweisungen: „Dreh dich mal um!“, „Weiter nach rechts!“.
Erst als dichter Nebel den Raum von den Stirnseiten her füllt, wird es ruhiger. Die kühle, schwerelose Masse legt sich um die Körper, wellt das Papier der Eintrittskarten. Gegenstände und Menschen sind nur noch als Schemen wahrnehmbar, dann ganz verschwunden. Das Zischen verstummt. Langsam sammelt sich der Nebel über dem Wasser und sinkt ins eigene Element zurück, enthüllt Köpfe, Schultern, erhobene Handy-Bildschirme. Der Zeitpunkt, an dem er sich vollständig aufgelöst hat, bleibt unklar. Nach etwa fünf Minuten sieht der Raum aus wie zuvor, nur die Holzplanken bei den Düsen glänzen ein bisschen mehr.
Innehalten. Ein anderes Tempo zulassen. Dabei mit unserer Umgebung „auf Augenhöhe sein“. Dazu fordert uns Fujiko Nakaya heraus. Aber können wir das überhaupt noch? Der Film, den Nakaya vor rund fünfzig Jahren nutzte, um die Zeitlichkeit der Spinne einzufangen, ist heute seinerseits Motiv für die dreiäugigen Smartphones der Besucherinnen. Das Medium, das der Künstlerin als Vermittler diente, wird selbst zum Filter, reduziert ihr Werk auf einen Hintergrund der Selbstinszenierung.
Ist die subtile Botschaft der Spinne an die Welt ein Auslaufmodell? Können wir sie noch hören, oder sind wir zu sehr beschäftigt damit, sie in unsere eigenen Geschichten einzuweben? Paradoxerweise eigenen sich Ausstellungen wie diese, in denen es um nicht-reproduzierbare Momente der sinnlichen Wahrnehmung geht, aufgrund ihrer Fotogenität besonders zur Selbst- Reproduktion. Verschwinden die Inhalte der Arbeiten hinter ihrer Ästhetik? Das liegt in der Hand der Besucher. Wer aufmerksam Spinnen und Nebel beobachtet, wird neben zahlreichen Fragen und einigen Antworten mit einer unmittelbaren Erfahrung von Raum und Zeit belohnt, die lange nachhallt.

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