Bauwelt

Eigenständiger Weiterbau

Die christliche Trauerkultur wandelt sich seit Jahrzehnten – und mit ihr die Art, zu bestatten. 2021 waren in Deutschland 77 Prozent aller Beisetzungen Feuerbestattungen. In Frankfurt am Main ist der Wettbewerb entschieden, um Rudolf Schwarz’ St. Michael zur ersten Begräbniskirche der Region umzunutzen.

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

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    Ebenfalls auf Basis eines Wettbewerbs entstan­den, wurde Rudolf Schwarz’ Sakralbau bei der Preisgerichtssitzung 1953 als erstplatzierte Arbeit bestimmt. Der Architekt verbildlichte mit St. Michael ein Natur­erlebnis: eine Wanderung durch die Schweizer Aaresschlucht.
    Foto: Christine Krienke, Landesamt für Denkmalschutz Hessen

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    Ebenfalls auf Basis eines Wettbewerbs entstan­den, wurde Rudolf Schwarz’ Sakralbau bei der Preisgerichtssitzung 1953 als erstplatzierte Arbeit bestimmt. Der Architekt verbildlichte mit St. Michael ein Natur­erlebnis: eine Wanderung durch die Schweizer Aaresschlucht.

    Foto: Christine Krienke, Landesamt für Denkmalschutz Hessen

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    1. Preis Meixner Schlüter Wendt stellen kreissegmentförmige Urnenwände in den sakralen Raum.
    Abb.: Verfasser

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    1. Preis Meixner Schlüter Wendt stellen kreissegmentförmige Urnenwände in den sakralen Raum.

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    Vorplatz, Kirchenraum und Trauergarten werden durch die der Kubatur entlehnten, sich wiederholenden Kreiselemente miteinander verbunden. So wird das Innenraumkonzept bereits vor Betreten des Raums angekündigt.
    Abb.: Verfasser

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    Vorplatz, Kirchenraum und Trauergarten werden durch die der Kubatur entlehnten, sich wiederholenden Kreiselemente miteinander verbunden. So wird das Innenraumkonzept bereits vor Betreten des Raums angekündigt.

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    2. Preis Kissler Effgen + Partner ordnen die Urnenwände an den Außenmau­-ern von St. Michael an. Der Mittelraum bleibt flexibel. Die Urnen werden an der Wand fixiert und können zu Familiengräbern erwei­tert werden. Das entstehende Wandrelief erinnert an ein Mosaik und befindet sich in permanentem Wandel.
    Abb.: Verfasser

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    2. Preis Kissler Effgen + Partner ordnen die Urnenwände an den Außenmau­-ern von St. Michael an. Der Mittelraum bleibt flexibel. Die Urnen werden an der Wand fixiert und können zu Familiengräbern erwei­tert werden. Das entstehende Wandrelief erinnert an ein Mosaik und befindet sich in permanentem Wandel.

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    3. Preis Sichau & Walter interpretieren Schwarz’ Schluchtmetapher neu: Durch das Einstellen überhoher Grabkammern wird der Innenraum dramatisiert. Ziel war es, „dem Tod bei den Lebenden einen Platz“ zu geben. Die Mittelachse bleibt bewusst breit und bietet Raum für Veranstaltungen.
    Abb.: Verfasser

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    3. Preis Sichau & Walter interpretieren Schwarz’ Schluchtmetapher neu: Durch das Einstellen überhoher Grabkammern wird der Innenraum dramatisiert. Ziel war es, „dem Tod bei den Lebenden einen Platz“ zu geben. Die Mittelachse bleibt bewusst breit und bietet Raum für Veranstaltungen.

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Eigenständiger Weiterbau

Die christliche Trauerkultur wandelt sich seit Jahrzehnten – und mit ihr die Art, zu bestatten. 2021 waren in Deutschland 77 Prozent aller Beisetzungen Feuerbestattungen. In Frankfurt am Main ist der Wettbewerb entschieden, um Rudolf Schwarz’ St. Michael zur ersten Begräbniskirche der Region umzunutzen.

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

Kurz vor seinem Rücktritt als Bischof von Limburg im Jahre 2007 verfügte Franz Kamphaus, aus der St. Michaels-Kirche in Frankfurt-Bornheim ein „Zentrum für Trauerpastoral“ zu machen. Das 1954 geweihte Gotteshaus in der Nähe des Hauptfriedhofs stammt aus der Feder von Rudolf Schwarz: Ein ebenso hohes wie wuchtiges, mit Obergaden aus Glasbausteinen belich­tetes Kirchenoval, das einen franziskanisch-asketischen Raum enthält, städtebaulich zwar einen skulpturalen Solitär darstellt, aber mit einer Backsteinverkleidung auf die teils expres­sionistischen Bauten der Umgebung reagiert. Für das Trauerzentrum hatte Schwarz’ Witwe Maria die für ihn wichtige Achse vom Taufstein zum Altar mit zwei Interventionen nochmals betont. Wobei die Ausführung des Taufsteins und der Grabplatte – zu scharfkantig, ein falscher Naturstein – in dem längst schon von einer Patina überzogenen Kontext unglücklich wirkt. Das Bistum beschloss indes, die Trauerseelsorge mit einer Umwidmung des Sakralraums in eine Begräbniskirche zu ergänzen. Diese soll ein „würdiger Ort der Bestattung und der Trauer“ sein, ein „gastfreundliches Angebot“ vermitteln und Platz für 2500 Urnen bieten.
2020 lud das Bistum fünf einschlägig erfahrene Architekturbüros zu einer Konkurrenz ein. Mit der Veröffentlichung des Ergebnisses – mit Pressekonferenz und Ausstellung – aber war­tete die Diözese Limburg bis zum März 2023: Wegen Corona, Krieg und folgenden Preissteigerungen mussten Pfarrgemeinde und Bistum neu beraten und verhandeln. Schließlich wurde St. Michael Eigentum der Diözese und die Finanzierung neu aufgesetzt. Die fünf eingereichten Arbeiten sind von höchst unterschiedlicher Qualität. Ein Entwurf unter den Leitmetaphern „Treibholz“ und „Blättersegen“ mag Assoziationen zu einem Friedwald wecken, in einem recht leben­digen Gründerzeitviertel wirkt er eher deplatziert.Auch die Stelen aus runder Baubronze, die in der Gesamtheit ein stilisiertes Weizenfeld darstellen sollen, fanden aufgrund des fehlenden Bezuges zu Schwarz wenig Widerhall.
Spannender stellte sich der Vorschlag der in der Disziplin Sakralbau geübten Architekten Sichau & Walter dar. Ihr eher theologisch-inhaltlich motivierter Vorschlag entsprach einer zeitgenössischen Umdeutung des Schwarz’schen Konzepts. An den Längswänden sollten jeweils vier übermannshohe, in Gold gehaltene Totenkammern errichtet werden, der Kirchenraum aber seine Funktion als Feierraum behalten. Dem wollte das Preisgericht in keiner Weise folgen, außerdem sollten „Zeitgenössische künstlerische Interventionen“ in einem freibleibenden Zwischenraum als Mittler von Lebendigem und Totem fungieren, die Jury dagegen sah in den Kammern eine „nicht gewünschte Trennung von Lebenden und Toten“.
Mit dem Umbau von St. Bartholomäus in Köln zu einer Grabkirche erlangten Kissler Effgen + Partner 2014 eine Menge positiver Reaktionen. Ihr Beitrag zu St. Michael wirkt wie eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes. Wieder sollte eine textile Struktur insgesamt zwölf Urnen-Wandfelder von einem flexibel nutzbaren Raum trennen. Obwohl von der Idee „fasziniert“, überzeug­te der Entwurf die Preisrichter nicht. Die Wandfelder widersprächen Schwarz’ Auffassung, der Wanddekoration stets ablehnte. Auch die mangelnde Intimität für die Trauernden wurde negativ bewertet.
Der Entwurf überzeuge „durch seine mutige charaktervolle Eigenständigkeit, die gleichzei­-tig respektvoll mit Raum und Bestand umgeht“: Mit diesen Worten lobte die Jury die Arbeit von Meixner Schlüter Wendt, die sie mit dem ersten Preis auszeichnete. Zentraler Aspekt des Konzepts sind Raumelemente, die die Form eines Zylindermantels haben. In einer fast spielerisch anmutenden Struktur sollen sie nicht nur in der Kirche, sondern auf dem Vorplatz und in den hinter der Kirche gelegenen Garten verteilt werden. Ein assoziationsreicher Vorschlag, der die Arbeit gegenüber allen anderen heraushob und von der Jury – wegen der „einladenden Geste“ und der „positiven Wirkung im Stadtbild“ – als äußerst gelungen gewürdigt wurde.
Mit den Zylinderfragmenten greift das Frankfurter Büro überdies eine Schwarz’sche Figur auf: den offenen Ring. In seinem Verständnis stellt die Öffnung die Schwelle vom Weltlichen zum Ewigen, zwischen Diesseits und Jenseits dar. Durch die jeweils individuelle Stellung im Raum ergeben die Zylinderfragmente, die die Urnen verwahren sollen, immer neue Raum­identitäten. Um Momente der Geborgenheit zu ermöglichen, haben die Elemente unterschied­liche Größen. Es entstehen Rückzugsorte, die Blickbeziehungen zum Kirchenraum haben, aber als gebogene Volumina die Trauernden schützend zu umarmen scheinen – einmal mehr ein Motiv von Schwarz, das er in vielen Kirchen verwirklicht hat. Der Aspekt des eigenständigen Weiterbaus überzeugte nicht nur die Jury, sondern auch den Bauherrn und das Publikum, das sich in der Ausstellung eingehend mit den Entwürfen befasste. Durch die außergewöhnlich positive Resonanz ermutigt, wollen die Bistumsverantwortlichen nun die preisgekrönte Arbeit als Modellprojekt realisieren.
Mehrfachbeauftragung
1. Preis Meixner Schlüter Wendt, Frankfurt am Main
2. Preis Kissler Effgen + Partner, Wiesbaden
3. Preis Sichau & Walter, Fulda
Teilnehmende Klodwig & Partner Architekten, Münster;
Architektengemeinschaft Sommer-Birk, Aaachen
Bewertungsgremium
Verena Maria Kitz, Susanne Gorges-Braunwarth, Stefan Muth, Ottmar Heck, Hildegard Wustmans, Matthias Kloft, Wolfgang Beck, Heinz Wionski, Markus Schmidt, Christine Streck-Spahlinger
Auslober
Bistum Limburg
Verfahrensbetreuung
BGF+ Architekten, Wiesbaden

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