Freigedachte Dorfmitte für das kreative Potsdam
Potsdams Stadtzentrum ist ein heißes Eisen. Im Spannungsfeld zwischen revisionärem Aufbaudrang – Garnisonkirche – und existenziellem Erhaltungswunsch – Rechenzentrum – ist von langer Hand ein „Kreativquartier“ vorgesehen. Eine kleinteilige Struktur soll den Bedürfnissen von Künstlern gerecht werden. Eine gute Idee, wenn sie denn wird, was sie verspricht: erschwinglich.
Text: Lülfsmann, Ina, Berlin
Freigedachte Dorfmitte für das kreative Potsdam
Potsdams Stadtzentrum ist ein heißes Eisen. Im Spannungsfeld zwischen revisionärem Aufbaudrang – Garnisonkirche – und existenziellem Erhaltungswunsch – Rechenzentrum – ist von langer Hand ein „Kreativquartier“ vorgesehen. Eine kleinteilige Struktur soll den Bedürfnissen von Künstlern gerecht werden. Eine gute Idee, wenn sie denn wird, was sie verspricht: erschwinglich.
Text: Lülfsmann, Ina, Berlin
Kann man ein Kreativquartier planen? Vielen schwebt vermutlich ein durch Aneignung von ungenutzter Bausubstanz, mit der Zeit entstandener Ort vor. Tatsächlich ist das ein häufig anzutreffendes Phänomen: In München befindet sich auf einem ehemaligen Kasernengelände das Kreativquartier Dachauer Straße. 2009 haben in Hamburg Künstler das Gängeviertel, ein historisches Arbeiterquartier, besetzt, nachdem das Areal an einen Investor verkauft und der Bestand zum Abriss freigegeben worden war. In Kiel nutzen Vereine und freie Kreative die ehemalige Muthesius Kunsthochschule, „Alte MU“, – um nur drei Beispiele zu nennen. Zwar gibt es eine klare Definition für „Kreativquartier“, doch das, was in Potsdam gewünscht ist, dürfte es schwer haben: ein Raum für die Kultur- und Kreativwirtschaft „mit hoher Aufmerksamkeit für Echtheit und Bewusstheit“, in direkter Nachbarschaft des „Rechenzentrums“ aus DDR-Zeiten – eines Kreativquartiers im oben genannten Sinn, dessen Erhalt infrage steht.
Ein anderer Blickwinkel verdeutlicht das Dilemma: Dass Kulturschaffende sich ungenutzte Häuser als Arbeitsstätte aussuchen, ist häufig die Folge ihrer Geldknappheit. Gelten Kulturschaffende als „systemrelevant“ für unsere Gesellschaft, ist es nötig, ihnen günstigen, der Arbeit und den aktuellen Gebäudestandards angemessenen Raum zur Verfügung zu stellen. Es bleibt vorerst offen, ob die Ideenwerkstatt zum „Kreativ Quartier Potsdam“ der Kultur- und Kreativwirtschaft nutzen oder nur der Imageverbesserung der Stadt dienen wird. In Anbetracht der unklaren Gemengelage zu Garnisonkirche und Rechenzentrum, die unmittelbar an das Planungsareal angrenzen (Bauwelt 12.2020) waren alle Beteiligten bemüht, die vielseitigen Interessen an dem Ort zu berücksichtigen: Die 16-köpfige Jury bestand aus Vertretern der Stadtpolitik, des Projektentwicklers Glockenweiß, des Sanierungsträgers Potsdam, Eigentümer des Grundstücks, des Gestaltungsbeirats Potsdam und der Kreativwirtschaft.
Der Werkstatt ging ein mehrjähriger Prozess voraus, der auf dem Beschluss aufbaut, das unter Preußenkönig Friedrich Willhelm I erbaute, im Krieg zerstörte Gotteshaus wiederauf-zubauen und das DDR-Gebäude abzureißen. Anfang 2018 führten die oben genannten Beteiligten einen „Szenarioworkshop“ durch, mit dem Ziel, eine Strategie für das Kulturschaffen in Potsdams Mitte zu entwickeln. Man einigte sich auf das Szenario „Kreativ Quartier³“, das eine gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung vorsieht. Im August 2019 schrieb der Sanierungsträger Potsdam ein „Konzeptverfahren“ zur Vergabe der Grundstücke an einen Investor aus. Die Nutzer des Rechenzentrums kritisierten die Einbindung der privaten Immobilienwirtschaft. Sie hatten sich dafür eingesetzt, Grund und Boden in kommunaler Hand zu belassen, um auch langfristig am Quartier mitwirken zu können. Das Verfahren entschieden die Planer von MVRDV für sich und den Projektentwickler Glockenweiß. Ihr „Village“-Konzept wur-de somit Grundlage der aktuellen Ideenwerkstatt. Es sieht vor, das Raumprogramm auf vier kleine Gebäude zu verteilen – Cottage, Blocks, Tribune, Shed –, die von einem Blockrand aus Townhouses gerahmt werden. Es fördere „Kollektiviät und Nachbarschaftlichkeit“, so damals die Jury. Auch helfe die kleinteilige Bebauung bei der gewünschten Sichtbarkeit der Kunst für die Stadt. Eine Verknüpfung von Innen und Außen liegt nahe, der Blockrand schließt jedoch das Areal auch deutlich ab und schränkt die Sichtbarkeit ein. Er ist allerdings als Barriere sinnvoll, um den Nutzern Privatheit zu ermöglichen.
Eine „eher konservative“ Kreativ-Oase
Was sich MVRDV seinerzeit unter dem Village genau vorgestellt haben, sieht man in ihrem jetzigen Beitrag zur Ideenwerkstatt für das Quartier: eine bunte Mischung aus Formen, Farben und Funktionen, von einem Teil der Jury als lebendig und spannend bezeichnet, von dem Anderen schlichtweg als Chaos. Neben vier anderen geladenen Architekturbüros – ZRS, Feld 72/ifau, Adept, Hütten und Paläste gingen die Niederländer im Werkstattverfahren leer aus. Sieger ist Michels Architekturbüro aus Berlin. Ihr eher konservativer Entwurf punktete bei der Jury auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Realisierbarkeit. Sowohl das ökologische Konzept als auch Aneignungsflächen und variantenreiche Grundrisse hätten, so die Anmerkung, stärker ausgearbeitet sein können. Die Durchlässigkeit der Erdgeschosszone und die dadurch entstehende Verbindung zum Village hingegen vermissten die Jurymitglieder in allen anderen Entwürfen.
Hütten und Paläste sahen – wie auch MVRD – eine lockere Anordnung der „Dorfhäuser“ vor, die sie auf drei reduzier-ten, um ein „offenes Raumkontinuum aus einer Abfolge spezifischer Freiraumsituationen“ zu erhalten. Für die Jury war diese Konstellation ebenso überzeugend wie das Nutzungskonzept mit einer hohen räumlichen Flexibilität. Einzig die Pläne hinsichtlich Nachhaltigkeit schienen zu radikal und schwer realiserbar. Feld 72 und ifau stachen durch ihr auffallendes Konzept mit Schwerpunkt auf ökologischen und freiraumplanerischen Aspekten hervor: Die Zwischenräume, in Felder aufgeteilt, sollen für kleinteilige Landwirtschaft, Bienenzucht und Stromerzeugung dienen. Hinzu kommen Wasserflächen und vertikale Gärten. Funktional zwar ein experimenteller Entwurf, jedoch mit deutlichen Schwachstellen gespickt, bemängelte die Jury. Vor allem die Verlegung der horizontalen Erschließung in die oberen Geschosse sah sie kritisch.
Was den Kontext des Wettbewerbs betrifft, so erwähnen viele Teilnehmer in ihren Erläuterungen das bedeutende architektonische Erbe Potsdams. Keiner aber beziet Stellung zu Garnisonkirche oder Rechenzentrum. Vielleicht ist die unpolitische Betrachtung des Kreativ Quartiers eine Chance, dieses vorbelastete Areal neu zu denken.
Eingeladenes Werkstatt- und Dialogverfahren
1. Preis (20.000 Euro) Michels Architekturbüro, Berlin
Weitere Teilnehmer (20.000 Euro) Adept, Kopenhagen; Feld 72/ifau, Wien/Berlin; Hütten & Paläste, Berlin; MVRDV, Rotterdam; ZRS, Berlin
1. Preis (20.000 Euro) Michels Architekturbüro, Berlin
Weitere Teilnehmer (20.000 Euro) Adept, Kopenhagen; Feld 72/ifau, Wien/Berlin; Hütten & Paläste, Berlin; MVRDV, Rotterdam; ZRS, Berlin
Auswahlgremium
Bernd Rubelt, Noosha Aubel, Bert Nicke, Petra Kahlfeldt, Helmut Rieman, Katja Dietrich-Kröck, Bastian Lange, Babette Reimers, Isabelle Vandre, Janny Armbruster, Steffen Pfrogner, Wieland Niekisch, Andrea van der Bel, Christopher Weiß, Frauke Röth, Brigitta Bungard
Bernd Rubelt, Noosha Aubel, Bert Nicke, Petra Kahlfeldt, Helmut Rieman, Katja Dietrich-Kröck, Bastian Lange, Babette Reimers, Isabelle Vandre, Janny Armbruster, Steffen Pfrogner, Wieland Niekisch, Andrea van der Bel, Christopher Weiß, Frauke Röth, Brigitta Bungard
Auslober
GW Kreativquartier, Berlin, in Kooperation mit KVL Projektmanagement, Berlin
GW Kreativquartier, Berlin, in Kooperation mit KVL Projektmanagement, Berlin
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