Golden City St. Petersburg?
Drei städtebauliche Großprojekte verändern die Silhouette von St. Petersburg am Finnischen Meerbusen: die Baltische Perle im Süden, das Lachta Center mit Gazprom-Tower im Norden und dazwischen die Golden City am neuen Hafen für Fähr- und Kreuzfahrtschiffe. Ein Gesamtkonzept für die Meeresfront ist nicht erkennbar.
Text: Engel, Barbara, Karlsruhe
Golden City St. Petersburg?
Drei städtebauliche Großprojekte verändern die Silhouette von St. Petersburg am Finnischen Meerbusen: die Baltische Perle im Süden, das Lachta Center mit Gazprom-Tower im Norden und dazwischen die Golden City am neuen Hafen für Fähr- und Kreuzfahrtschiffe. Ein Gesamtkonzept für die Meeresfront ist nicht erkennbar.
Text: Engel, Barbara, Karlsruhe
St. Petersburg ist berühmt für sein Stadtzentrum mit einzigartigen historischen Denkmälern und Museen, Brücken und Kanälen, wunderschönen Parks und Plätzen, für seine zahlreichen renommierten Universitäten und Forschungseinrichtungen und für eine international anerkannte Kunst- und Kulturszene. Die Stadt ist nach Moskau wichtigstes Handels- und Finanzzentrum und Russlands Nummer eins für ausländische Investitionen. Vor allem ist die Stadt wichtiger Industriestandort. Mit dem Ende der Sowjetunion gewannen zuvor kleine Wirtschaftszweige aus den Dienstleistungssektoren Kommunikation, Finanzwesen und Tourismus immer mehr an Bedeutung – Informationstechnologien sowie die Automobilproduktion nehmen dabei eine große Rolle ein. Aufgrund ihrer geographischen Lage war die Stadt mit dem heute zweitgrößten Seehafen Russlands immer ein wichtiger strategischer Stützpunkt des Landes und gleichzeitig das Fenster Russlands nach Westen. Mit ihrer Nähe zu Skandinavien, dem Baltikum und dem übrigen Europa ist sie eine wichtige wirtschaftliche und touristische Drehscheibe.
Seit dem Ende der Sowjetunion befindet sich St. Petersburg in einem Transformationsprozess, der bis heute andauert und sich in wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen, aber auch in den räumlichen Veränderungen der Stadt zeigt. Das Erbe der Sowjetzeit wirkt bis heute in den traditionellen Instrumenten der Flächennutzungsplanung, der sektoralen Infrastrukturplanung und des Finanzmanagements nach und zeigt sich u.a. in ineffektiven Modellen der Landnutzung und undurchsichtigen Privatisierungsprozessen. Gleichzeitig scheinen nach langen Jahren der Planwirtschaft vor allem Laissez-Faire-Ansätze in der Planung, getrieben von individuellen Interessen und Kräften des Marktes, die Geschicke der Stadtentwicklung zu bestimmen.
Wie andere Metropolen benötigt auch St. Petersburg dringend Wohnraum. Zwar verzeichnet die Stadt mit etwa 5,3 Millionen Einwohnern ein geringes Bevölkerungswachstum, jedoch beträgt die durchschnittliche Wohnfläche nur 21 Quadratmeter pro Person und liegt damit noch unter dem gesamtrussischen Durchschnitt. Der Wohnungsmangel ist kein neues Problem, sondern resultiert aus kontinuierlicher Unterinvestition in den Wohnungsbau schon zu sowjetischer Zeit, eine gezielte staatliche Politik für eine sozial verträgliche Wohnungswirtschaft fehlt bis heute. Nun wird kräftig gebaut. Hinter den Großwohnsiedlungen entstehen am Stadtrand neue Hochhausquartiere. Für dieses Jahr ist der Bau von rund 100.000 Wohnungen geplant. Viele der Neubaugebiete sind schlecht erschlossen und es fehlt dort an Versorgungseinrichtungen.
Strategie 2035
Die städtebaulichen Herausforderungen sind komplex, sie betreffen den Wohnungsneubau genauso wie die Sanierung der vielen vorhandenen Plattenbaugebiete aus sowjetischer Zeit, die gut 40 Prozent des Wohnungsbestandes der Stadt ausmachen. Sie umfassen die Erneuerung und den Ausbau der verkehrlichen Infrastruktur und der zahlreichen Industrieflächen, die Bereitstellung adäquater Flächen für Gewerbe und High-Tech-Industrie aber auch angenehmer öffentlicher Räume, barrierefreier Wohnumfelder u.v.m.
Viele dieser Aufgaben sind in den übergeordneten Planwerken der Stadt prinzipiell verankert. So hat sich die St. Petersburger Strategie der sozioökonomischen Entwicklung vorgenommen, bis zum Jahr 2035 den Lebensstandard auf ein mit anderen europäischen Städten vergleichbares Niveauzu bringen. Die Stellung St. Petersburgs als kulturelles Zentrum, als Stadt der Wissenschaft, Forschung und der zukunftsweisenden Industrie, vor allem aber auch als touristisches Reiseziel soll gestärkt werden. Ein Generalplan – ähnlich dem Flächennutzungsplan in deutschen Kommunen – definiert die zukünftige Verteilung der Flächen für Industrie, Wohnen, Gewerbe und Freizeit sowie von Grünanlagen und der Verkehrswege. Esfehlen jedoch Instrumente zur Lenkung und Koordinierung der räumlichen Entwicklung der Stadt, zur Sicherung der Qualität der baulichen Entwicklung, wie auch der Prozess- und Planungskultur. Es gibt keinen Plan, der imSinne eines Leitbildes für die Stadt Aussagen zu räumlichen Bezügentrifft, die Definition von Raumkanten und die Platzierung städtebaulicherAkzente vornimmt oder Regeln für die bauliche Entwicklung an räumlich und funktional bedeutsamen Standorten, beispielsweise an Uferbereichenund Platzanlagen festlegt – erstaunlich für eine Stadt, deren stadtgeschichtlicher Code in einer besonderen räumlichen Ordnung, im Zusammenspiel von breiten Achsen, Platzräumen, Randbebauung und repräsentativen Gebäuden besteht.
Stadt am Wasser
Die Entwicklung der Stadt war immer mit dem Wasser verbunden. Das Newa-Delta mit seinen Flussarmen und den Kanälen gliedert die Stadtflä-che – sie besteht aus 42 Inseln, die über mehr als 340 Brücken miteinander verbunden sind. Zar Peter der Große hatte bei der Gründung der Stadt im Jahr 1703 eine grüne Stadt vor Augen – mit Boulevards, Kanälen, Parks und Gärten. Sie wurden zu wichtigen Elementen der damals neuen Stadt, von denen heute viele zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Über die Geschichte hinweg wurden an den Wasserlagen, insbesondere am Ufer der Newa, bedeutende Gebäude errichtet. Auch heute gehören die Standorte am Wasser zu den bevorzugten Entwicklungsbereichen, die besondere Qualitäten aber auch Herausforderungen bergen. Sie sind von großer Bedeutung für die Stadt und erfahren entsprechende Beachtung in der öffentlichen Diskussion.
Die Baltische Perle
Südwestlich des Zentrums, an der Küste des Finnischen Meerbusens gelegen, entsteht die Baltische Perle – ein Neubaugebiet für circa 35.000 Einwohner mit Wohnungen, Einkaufsmöglichkeiten und öffentlichen Einrichtungen. Das bislang größte Investitionsprojekt Chinas im Ausland sollte eigentlich schon 2008 fertiggestellt werden, litt aber wie viele andere Projekte unter der Finanzkrise. Auf dem 200 Hektar großen Areal, das zum Teil durch künstliche Landgewinnung entstanden ist, werden Immobi-lien mit einer Fläche von über einer Millionen Quadratmetern, mit 14.000 Wohnungen und 600.000 Quadratmetern kommerzieller Nutzungen errichtet. Außerdem ist der Bau von sozialen Einrichtungen u.a. von vier Schulen, sieben Kindergärten und einem Krankenhaus vorgesehen.
Am Wettbewerb, der die Grundlagen für die Erstellung des Masterplans lieferte, waren fünf internationale Architekturbüros beteiligt: die amerikanische Planungsgruppe HOK, das Konsortium von Ove Arup & Partners mit OMA, das belgische Büro Xaveer de Geyter Architecten, das Schwei-zer Büro Sweco FFNS, und eine St. Petersburger Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus Studio 44 und dem Büro Semzow, Kondajn und Partner. Gewünscht war der Entwurf eines europäisch anmutenden, grünen Stadtquartiers. Die dann folgenden Aufträge erhielten ausschließlich russische Büros.
Das Gebiet gliedert sich in sieben Teilbereiche – bereits realisiert sinddie „Perlenpremiere“ bestehend aus großformatigen, 8 bis 19 Geschosse hohen Gebäuden, die „Perlensymphonie“ mit terrassierten, geschwungenen Gebäudeformen, beide realisiert von LenNIIProjekt, dann die „Perlenfregatte“ mit 15 bis 18 Geschossen vom Architekturbüro Studio 17 und der Duderhof Club, ein luxuriöses Wohnquartier mit 2- bis 3-geschossigen Reihen- und Stadthäusern an einem künstlich angelegten Kanal. Es wurde vom St. Petersburger Architekturbüro Zyzin entworfen. Den Eingang zum neuen Stadtteil bildet die Pearl Plaza, die in der Verlängerung der Hauptachse des Quartiers liegt. Auf einer Fläche von 48.000 Quadratmetern bietet sie Geschäfte, Restaurants, Kinos und weitere Serviceeinrichtungen. Östlich befindet sich das markante Bürogebäude mit dem Firmensitz des Investors, das eine halbgeöffnete Muschel mit einer Perle verkörpern soll.
Zwar wurde die besondere Küstenlage nicht genutzt – die Orientierung des Quartiers richtet sich nach innen –, und die ursprünglich vorgesehenenFreiräume wurden zugunsten höherer Ausnutzung reduziert. Auch über die gestalterische Anmutung mag man streiten. Dennoch spricht das Quartier mit seinen verschiedenen Wohnangeboten und Versorgungseinrichtungen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen an. Auch Angebote für dieNutzung der öffentlichen und gemeinschaftlichen Räume sind vorhanden – allerdings wurden schon zahlreiche Zäune gezogen, die die gewünschte Durchlässigkeit einschränken. Ein weiteres Manko ist eine nicht ausreichende Anbindung mit dem öffentlichen Nahverkehr, um das neue Gebietmit dem Stadtzentrum, wo weiterhin die meisten Arbeitsplätze sind, zu vernetzen – der geplante Anschluss an ein verlängertes U-Bahnnetz dürfte Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Einfacher, schneller und kostengünstiger wäre es, separate Linien für Busse und Straßenbahnen zu realisieren, was bislang aber nicht passiert.
Lachta Center
Auch noch im Bau befindet sich das sogenannte Lachta Center im Primorskii Bezirk an der Nordküste der Newa-Bucht. Hier erwarb der Konzern PJSC Gazprom 2011 ein Areal mit einer Gesamtfläche von 140.000 Quadratmetern für den Bau seiner Firmenzentrale. Der Gebäudekomplex soll das Herzstück eines – so Gazprom – zukunftsträchtigen, lebenswerten und nachhaltigen Quartiers werden. Neben Büroflächen ist der Bau von wissenschaftlichen Institutionen und Bildungseinrichtungen, einem Kongresszentrum, Kinos und Kliniken, Geschäften, Restaurants, Cafés und weiteren öffentlichen Einrichtungen vorgesehen. Ursprünglich für das historische Zentrum der Stadt im Bezirk Krasnogwardeiskii geplant, fand das Projekt breite Aufmerksamkeit in den Medien und erntete vor allem Ablehnung. Seit dem Start des Vorhabens im Jahr 2006 wurde Gazprom sogar wegen zahlreicher Gesetzesverstöße scharf kritisiert, angefangen vom Einsatz Lobbyisten für die Teilnahme bei öffentlichen Anhörungen über die Fälschung von Meinungsumfragen bis hin zur Veröffentlichung von bezahlten und gelenkten Nachrichten, die das Projekt in den lokalen Medien unterstützten.
In einem 2006 vom Investor durchgeführten internationalen Architekturwettbewerb hatten die Gewinner, das britische Büro RMJM, es nach Einschätzung der Auslober geschafft, ein Projekt zu entwerfen, das die geforderten Funktionen eines zukunftsorientierten Unternehmens mit den architektonischen Traditionen von St. Petersburg vereint hätte, indem es in den Sockelgeschossen und der das Hochhaus umgebenden Bebauungdie für die Stadt typischen horizontalen Linien aufgreift. Stein des Anstoßes vieler Debatten war der 462 Meter hohe Lachta Center Tower, der nach Auffassung von Gazprom zum neuen architektonisches Wahrzeichen von St. Petersburg werden sollte. Auch wenn das Gebäude außerhalb des geschützten Bereichs gelegen hätte, wäre die Turmspitze von vielen Punkten des historischen Teils der Stadt sowie vom Finnischen Meerbusenaus gut sichtbar gewesen. Diese Meinung vertraten auch Norman Foster, Kisho Kurokawa und Rafael Viñoly und verließen aus diesem Grund dieWettbewerbsjury. Nach weiterem Druck durch die Bevölkerung und Warnungen des Weltkulturerbe-Ausschusses, die die Stadtsilhouette durchdie Realisierung des Turms bedroht sahen, wurde das Projekt an den nordwestlichen Stadtrand verlegt.
In den letzten Jahren wurden mit Aufwertungsmaßnahmen im Umfeld des Turms begonnen, so auch mit dem Bau des Parks des 300-jährigenJubiläums St. Petersburgs, doch sind die Realisierung der Metrolinie und der Bau eines neuen Bahnhofs, an dem hochmoderne Züge halten sollen, nicht in Sicht. Ob die Zertifizierung mit der LEED Medaille in Gold für den Green Building Standard des Hochhauses ausreicht, um zum Erfolgsprojekt zu werden, und sich das von Gazprom versprochene Idyll einer nachhaltigen Quartiersplanung einstellen wird, bleibt abzuwarten. Von Anwohnern wird befürchtet, dass mit dem Prestigeprojekt der Standort für weitere Investoren interessant wird und Preissteigerungen zu erwarten sind.
Die Meeresfassade
Eine der größten aktuellen Entwicklungsmaßnahmen findet im Westen der Wasiljewskii-Insel statt, sechs Kilometer vom Zentrum entfernt, prominent am Wasser gelegen und von weitem sichtbar. Geplant ist hier ein Geschäfts- und Wohnviertel mit Schulen, sozialen Einrichtungen und Freiflächen für Sport und Erholung. Es ist eines der größten Public-Private Partnership-Projekte in St. Petersburg, finanziert durch die Russische Föderation, die Stadt und private Entwickler.
Überlegungen für ein neues Küstenpanorama gab es schon in den 1960er Jahren. Fast 200 Hektar Land wurden aufgeschüttet für ein Quartier mit insgesamt 150.000 Menschen. Schon damals führte der besondere Wertdes Baugebietes zu einer Baudichte, die fast anderthalb Mal größer war als zu damaliger Zeit üblich. Anfang der 1980er Jahre wurden Gebäudetypen mit neun bis zwanzig Geschossen gebaut. Eine breite grüne Esplanade mit einer Granituferwand bildete die nach Westen ausgerichteteHauptachse, die in den Golf mündet.
Kernstück der heutigen Planung und letztlich auch Motor der Entwicklung waren Überlegungen zum Bau einer westlichen Umgehungsstraße, dem so genannten Western High-Speed Diameter (WHSD) aus den 1990er Jahren, um das Stadtzentrum von St. Petersburg zu entlasten. Über den Golf von Finnland mit einer Schrägseilbrücke und entlang der Westküste der Wasiljewskii Insel führend, werden schon heute die nördlichen und südlichen Stadtteile miteinander verbunden.
2005 wurde ein städtebaulicher Wettbewerb mit fünf russischen Teilnehmern durchgeführt, den Wladimir Plotkin aus Moskau mit seinem Büro Reserve gewann. Weitere Teilnehmer, darunter das Studio 17 und das
Büro von Sergej Kiselew, reichten Beiträge mit sehr unterschiedlichen Vorschlägen zur Gestaltung der Meeresfassade ein.
Büro von Sergej Kiselew, reichten Beiträge mit sehr unterschiedlichen Vorschlägen zur Gestaltung der Meeresfassade ein.
Im Jahr 2006 nahm der Investor Änderungen vor und beauftragte dasweitweit operierende Planungsbüro Gensler. Es teilte das Gebiet in einennördlichen Bürodistrikt und einen südlichen Wohnbereich mit Gebäudehöhen bis zu 200 Metern. Ein Hochhaus an der Mündung des Smolenka-Flusses sollte mit einer Höhe von 300 Metern den Seezugang markieren. 2014 wurde vom Stadtrat auf Grundlage der Planung ein neuer Masterplan, von dem aus St. Petersburg stammendem Büro Sojus 55, beschlossen, der den Wohnraumanteil durch die Reduzierung anderer Nutzungen deutlich erhöhte. Die in der anfänglichen Planung vorgesehenen Kanäle wurden aufgegeben. 2015 fand für den Bereich südlich des neuen Hafens eininternationaler städtebaulicher Wettbewerb statt, in dem das Team der zwei niederländischen Büros KCAP Architects & Planners und Orange Architects den ersten Preis erhielt. Von Wettbewerbsgewinn an fungiert das Büro A-Len aus St. Petersburg als Kontaktbüro vor Ort und stimmte die niederländischen Planungen auf russische Baunormen ab.
Golden City
Golden City, das Konzept von KCAP und Orange Architects, sieht eine Komposition von sechs Blöcken vor, die mit ihrer räumlichen Organisationklar ablesbare öffentliche und private Bereiche schaffen. Über den goldglänzenden Sockelgeschossen, in denen sich Geschäfte, Büros und Serviceeinrichtungen befinden, erheben sich die in Weiß gehaltenen Wohngeschosse. Der vielfältige Nutzungsmix versorgt das Viertel und sorgt darüber hinaus für die Vernetzung mit den umgebenden Quartieren.
Die asymmetrischen Eckbetonungen in Form von Türmen mit bis zu 21 Geschossen und goldenen Spitzen – in Analogie zu bedeutenden Bauwerken in der Altstadt – formulieren eine ausdruckstarke Silhouette. Wohnungen in den oberen Geschossen bieten Ausblicke auf Meer und Innenstadt. Höhenentwicklungen von Gebäuden und damit verbundene Beeinträchtigungen von Blickbeziehungen spielen in der Stadt, die im Zentrumdurch eine homogene, eher horizontal ausgerichtete Struktur mit einigenwenigen Dominanten charakterisiert ist, eine wichtige Rolle und wurden in den letzten Jahren – insbesondere im Zusammenhang mit der Realisierung des Gazprom-Turms – immer wieder heftig diskutiert. In der Folge davon wurden Bauvorschriften dahingehend geändert, dass Kuppeln, Türme, Dach- und Technikaufbauten jeglicher Art nicht über die im Bebauungsplan vorgesehene Höhe hinausreichen dürfen. So mussten auch in dieser Golden City einige Turmspitzen in der Höhe reduziert werden, sodass sich nun ein etwas differenzierteres und zurückhaltenderes Bild ergibt.
Zwar konnten die von KCAP und Orange Architects vorgesehenen Kanäle, die das Bild des „nördlichen Venedigs“ aufgreifen, nicht realisiert werden – Stadt und Investor fanden keine verfahrenstechnische Lösung für eine Umsetzung, da die Gewässer am Finnischen Golf föderalen Status besitzen und somit nicht im Verantwortungsbereich des Bauherren lagen. Doch auch ohne zusätzliche Wasserläufe zeichnet sich der Entwurf durch attraktive öffentliche Räume und ein hochwertiges Wohnumfeld aus. Hier finden sich verschiedene Angebote für Sport und Erholung. Höfe und Gärten bieten Schutz vor den kalten Seewinden, sie sind individuell gestaltet und interpretieren die Tradition der weltweit bekannten Palastgärten neu. Die Golden City verspricht nicht nur ein schmucker Stadteingang, sondernauch ein Bewohner wie Touristen ansprechendes und lebenswertes Quartier von St. Petersburg zu werden.
Für das Gebiet, das südlich an die Golden City angrenzt, plant das St. Petersburger Studio 44 – in einem ganz anderen Maßstab. Über eine Länge von zwei Kilometern werden vier Blöcke von gigantischen Ausmaßen gebildet. Die Megasilhouette, bestehend aus 16- bis 20-geschossigen Häusern, die sich zum Wasser in halbkreis-, winkel- und linsenförmigen Geometrien öffnen, nimmt den in zweiter Reihe stehenden 14-geschossigen Häusern den Blick. Vom Stadtrat gelobt, steht der Entwurf bei Bewohnern, aber auch bei Architekten in der Kritik – als „Schuschary 2“ wird das Quartier, noch bevor es realisiert ist, bezeichnet, in Anspielung an die monotone Großsiedlung Schuschary im Süden der Stadt
Im östlich anschließenden Quartier sind bereits Gebäude im Superformat entstanden: Kapitän Nemo (Foto Seite 52), Kolumbus und Artur Grey lassen menschlichen Maßstab und architektonische Qualität vermissen. Erschwerend kommen hier Beeinträchtigungen durch die Stadtautobahn mit Lärm, Abgasen und Feinstaubpartikeln hinzu. Mit dem Angebot der neuen Stadtautobahn wurde auch neuer Verkehr produziert, schließlich führt diese nicht nur den Verkehr aus dem Stadtzentrum hinaus, sondern auch hinein, sie wird von vielen aus dem Westen und Süden kommenden Pendlern als kürzeste Route in die Stadt genommen.
Third Petersburg
In der Sowjetunion waren Naturräume vor allem Ausbeutungsflächen für Industrie und Landwirtschaft – die Politik suggerierte, dass die Ressource Land unerschöpflich sei. Naturräume wurden als Gebrauchsräume gesehen, notwendig für die Gewinnung von Bodenschätzen, im Vordergrund standen ihre (Aus)Nutzung und nicht ihre Pflege und Inwertsetzung.
Baltic Pearl, Lachta Center, Marine Facade – noch immer wird Projekten auf neu gegründeten und neu zu erschließenden Flächen der Vorzug vor der Entwicklung integrierter Lagen gegeben. Ein sparsamer Umgang mit Landschafts- und Freiräumen ist nicht zu erkennen. Offensichtlich wird Nachhaltigkeit in St. Petersburg immer noch klein geschrieben, vielleicht auch ein Resultat des fehlenden Austauschs mit anderen Städten – so war die Stadt beispielsweise nicht in die Prozesse der Lokalen Agenda 21 eingebunden. Zwar gibt es inzwischen einen Klimaanpassungsplan, doch wird dieser konterkariert durch die Ignoranz von Umweltaspekten in den anderen strategischen Plänen der Stadt. Mit einem Territorium von 1440 Quadratkilometern verfügt St. Petersburg über eine enorme Fläche, weshalb man sich fragt, warum für die Entwicklung von neuen Quartieren Land künstlich geschaffen wird, anstatt vorhandenes zu (re)kultivieren.
Eine Ressource für eine solche Rekultivierung sind die 12.000 Quadratkilometer umfassenden Industrieflächen, die sich um den historischen Kern legen und das Zentrum von den Hauptwohngebieten trennen. Einst Zeichen für Wohlstand und Wachstum hat der so genannte graue Gürtel heute in weiten Teilen seine Funktion als Produktionsstätte verloren. Brachflächen und große Infrastrukturen wie Bahngleise und Straßentrassen charakterisieren das weitläufige Areal. Angesichts der Flächenknapp-heit im Stadtzentrum bietet das Territorium ein großes Potenzial für die Gestaltung neuer Lebensräume und Arbeitswelten.
2016 wurde von der Stadt ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, um erste Ideen zur Umgestaltung dieses Industrieareals entwickeln zu lassen. Die von dem niederländischen Büro MLA+ präsentierte Arbeit Third Petersburg baut auf der industriellen Geschichte des Gebiets auf. Alte Eisenbahnstrecken werden zu linearen Parks, verlassene Industriegebäude zu Schlüsselfaktoren der zukünftigen Entwicklung. Neue Funktionen wie Universitäten, kulturelle Veranstaltungsorte und weitere öffentliche Nutzungen werden integriert und spannen ein Netz neuer zentraler Orte auf. Öffentliche Räume und Parkanlagen bilden zusammen mit Rad- und Fußgängerwegen und den aktivierten Fluss- und Kanalräumen das neue Raumgerüst. Noch ist unklar, ob und wann die nächsten Planungsschritte erfolgen. Es bleibt zu hoffen, dass die Impulse der Beiträge genutzt werden, um das wichtige Vorhaben voranzubringen. Hierzu müssen nicht nur neue Bauvorschriften und Zonierungscodes entwickelt werden – ein Paradigmenwechsel in der Stadtplanung ist erforderlich. Längst haben sich die Anforderungen an die Stadt, an Wohnräume und Arbeitswelten verändert, werden Wünsche nach mehr Fußgängerfreundlichkeit und besseren Mobilitätsangeboten laut, aber auch nach einer anderen Form von Planung. Auch in St. Petersburg wollen die Bürger zunehmend über die Gestaltung ihrer Stadt mitbestimmen und aktiv mitwirken – hiervon zeugen nicht nur Proteste, wie sie sich beim Lachta-Projekt zeigten, sondern auch die vielen Initiativen und NGOs, die sich gegründet haben und sich für eine lebenswertere, nachhaltige Stadt einsetzen.
Das historische St. Petersburg ist ein Gesamtkunstwerk – einst entstanden nach einem großen Plan. Der besondere Charme von heute besteht jedoch in den vielen kleinen, von Bürgern getragenen Initiativen und Projekten, die St. Petersburg – abseits von Generalplänen und Großinvestitionen – zum Vorbild für andere russische Städte machen. Orte wie der Taiga Creative Space, Le Etagi und das Red Triangle sind Beleg für die Erneuerung der Stadt, die hoffentlich gelingt, bevor die Bewohner von St. Petersburg andere Städte an der Ostsee für sich entdecken.
Mitarbeit: Anastasija Malko
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