Gleichschaltung trotz Gehorsam
Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums stellt sich der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg (AIV) dem dunkelsten Kapitel seiner Geschichte.
Text: Minet, Paulina, Berlin
Gleichschaltung trotz Gehorsam
Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums stellt sich der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg (AIV) dem dunkelsten Kapitel seiner Geschichte.
Text: Minet, Paulina, Berlin
Ab 1938 waren sämtliche Vereinigungen des Bauwesens im Nationalsozialismus gleichgeschaltet und mussten danach neu beginnen. Agierten sie trotzdem während der NS-Zeit und wie konnten sie später weiterbestehen? Der AIV hat zu diesem Teil seiner Geschichte über Jahrzehnte geschwiegen. Lange wurde vereinsintern angenommen, dieser hätte in jener Zeit nicht existiert und sich einer politischen Parteinahme enthalten. Wenn auch spät – wäre dies doch die Aufgabe seiner Vorgänger gewesen – initiierte der Vorsitzende Tobias Nöfer das Forschungsprojekt und die damit verbundene Ausstellung „Im Gleichschritt“ als Kooperation des AIV mit dem Architekturmuseum der TU Berlin. Andere baukulturelle Verbände wie der ARL, BDA, DASL oder Werkbund setzten sich bereits vor einigen Jahren mit ihrer Geschichte auseinander.
Die Ergebnisse der Untersuchung von Jörg Rudolph, Benedikt Goebel und Museumsleiter Dieter Nägelke sind erschreckender als der Vereinsvorstand hatte annehmen wollen und werden in der Schau anhand der Schwerpunkte Vereinsstruktur, Mitglieder und Aktivitäten präsentiert.
Beginnend beim Verein selbst ist vor allem die rasche Selbstgleichschaltung 1933 bezeichnend. Auch die Wahl des Parteifunktionärs Konrad Nonn zum Vorsitzenden ab 1934 ist zentral.
Weiter widmet sich die Ausstellung den Vereinsmitgliedern. Mindestens 83 von ihnen wurden aus rassistischen und politischen Motiven unmittelbar nach der Machtübernahme 1933 ausgeschlossen – bevor dies überhaupt gefordert war. Sie erhielten Berufsverbot, wurden verfolgt, zur Flucht gezwungen oder deportiert. Ihre Schicksale werden anhand einige Biografien exemplarisch dargestellt. Die übriggebliebenen Mitglieder der NS-Zeit waren führende Spezialisten für den Bau von Brücken und Reichsautobahnen und sowohl in der Bauverwaltung als auch in der Lehre tätig. Ernüchternd ist die Kontinuität mit der sich diese Spur in die Phase der Neuzulassung nach 1950 weiterzieht. Täter und Profiteure wurden in den eigenen Reihen geduldet, auch im Vorstand und sogar zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Zuletzt der seit 1852 jährlich ausgeschriebene Schinkelwettbewerb und das damit verbundene Festessen als Hauptaktivitäten des Vereins sind relevant. Das Fortführen dieser Veranstaltungen während der NS-Zeit und die im Wettbewerb ausgelobten Bauaufgaben verdeutlichen, dass der Verein als Gaufachgruppe Berlin der Fachgrup- pe Bauwesen im NS-Bund Deutscher Technik existierte und die Diktatur nicht nur durch seinen vorauseilenden Gehorsam unterstützte.
Der AIV ist nicht frei von seiner Vergangenheit und der nationalsozialistischen Ideologisierung. Die lesenswerte Publikation zur Schau kann digital heruntergeladen werden.
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