Hat Los Angeles einen Fluss? Kommt darauf an, wen man fragt.
Der L.A. River wurde nach der Flutkatastrophe von 1938 zu einem betonierten Kanal. Heute ist Los Angeles bemüht, den Wasserlauf als Freizeit-, Erholungs- und Kulturort zurückzugewinnen. Ideen und Projekte gibt es genug, doch die Umsetzung ist langwierig. Das neue Sixth Street Viaduct bringt als Foto-Location immerhin vie-len Bürgerinnen und Bürgern den Flusslauf ins Bewusstsein, und das Entwicklungsgebiet Taylor Yards wird ganz unmittelbar von seiner Lage am Fluss profitieren.
Text: Fortmeyer, Russell, Los Angeles
Hat Los Angeles einen Fluss? Kommt darauf an, wen man fragt.
Der L.A. River wurde nach der Flutkatastrophe von 1938 zu einem betonierten Kanal. Heute ist Los Angeles bemüht, den Wasserlauf als Freizeit-, Erholungs- und Kulturort zurückzugewinnen. Ideen und Projekte gibt es genug, doch die Umsetzung ist langwierig. Das neue Sixth Street Viaduct bringt als Foto-Location immerhin vie-len Bürgerinnen und Bürgern den Flusslauf ins Bewusstsein, und das Entwicklungsgebiet Taylor Yards wird ganz unmittelbar von seiner Lage am Fluss profitieren.
Text: Fortmeyer, Russell, Los Angeles
Wenn man mit Architektinnen, Ingenieuren oder Landschaftsarchitekturbüros spricht, die an einem Projekt entlang des 82 Kilometer langen Los Angeles River beteiligt sind, landet das Gespräch unweigerlich bei der Politik. „Man kann fast alle Herausforderungen, mit denen die Stadt konfrontiert ist, auf die Verbauung des Flusses selbst zurückführen“, sagt der in L.A. ansässige Architekt Michael Maltzan, der als leitender Architekt für das Sixth Street Viaduct verantwortlich zeichnete.
Maltzans Aussage wird von vielen in der Stadt geteilt, die das Gefühl haben, dass steigende Mieten und Obdachlosigkeit, die Gentrifizierung gewachsener Stadtviertel, der Mangel an fußgängerfreundlichen und alternativen Mobilitätsnetzen, die Zunahme von Kriminalität und Drogenkonsum in der Öffentlichkeit, die Auswirkungen des Klimawandels und die scheinbar endlosen bürokratischen Hürden, die öffentliche Projekte verzögern, zu Problemen geworden sind, die sie vielleicht nicht mehr zu ih-ren Lebzeiten lösen können. Eine Kombination dieser Probleme zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Stadtteile. Der Grund dafür, dass es zehn bis zwanzig Jahre dauern kann, bis der Bau einer Fußgängerbrücke oder die Verlängerung eines Radwegs entlang des Flussufers umgesetzt werden, ist nicht, dass es an Ideen, Bedarf, Ressourcen oder Fachwissen mangelt, sondern es sind die schwerfälligen öffentlichen Planungs- und Genehmigungsverfahren, die den Fortschritt behindern.
Das Sixth Street Viaduct, das Maltzan zusammen mit dem Ingenieur-büro HNTB, den Stadtplanerinnen AC Martin und den Landschaftsarchitekten Hargreaves Associates entwarf, ist eines der wenigen Bauprojekte am Fluss, die tatsächlich realisiert wurden. „Die Brücke war ein weiteres Beispiel für eine Infrastruktur, die in der Regel nur einem Zweck diente, näm-lich Autos von einer Seite des Flusses auf die andere zu bringen“, sagt er. „Aber jetzt ist sie ein Ort, an dem sich Menschen treffen können, ein Ort, der verbindet und nicht trennt.“ Die mittlerweile legendäre Brücke, die in unzähligen Autowerbungen und TikTok-Videos zu sehen ist, hat dazu beige-tragen, das Interesse am Fluss zu wecken, auch wenn die meisten ihrer Beiträge zur Stadtgestaltung – etwa fünf Hektar Parkanlagen, Fahrradwege und spiralförmige Rampen für Fußgängerverbindungen – noch in Arbeit sind.
Der L.A. River ist in gewisser Weise ein Symbol für die Prioritäten der Stadt, eine Leinwand, auf die die kollektive Vision projiziert werden kann, was verloren gegangen sein mag, aber im Zuge der Neubewertung der historischen Infrastruktur im Hinblick auf die Herausforderungen der Stadt wiedergewonnen werden könnte. Das Sixth Street Viaduct überspannt den Fluss selbst nur mit etwa 75 Meter, der Rest der Konstruktion führt über Eisenbahnlinien und elektrische Infrastrukturen. Außer in der Regenzeit im Winter ist es wahrscheinlich, dass in diesem Abschnitt des Flusses kein Wasser fließt, sondern nur der Beton des trapezförmigen Kanals zu sehen ist, den der US Army Corps of Engineers ab 1938 in mehreren Abschnitten gebaut hat. Der Corps kanalisierte den Fluss, um die Überschwemmungen zu kontrollieren, die die Stadt lange Zeit heim-gesucht hatten. Damit wurde ein Problem gelöst, aber gleichzeitig ein lebloses Erbe geschaffen, das die Stadt mittlerweile zu beseitigen versucht.
Seit dem Jahr 2000 haben die City und das County Los Angeles etwa zehn offizielle Planungsdokumente mit mehreren hundert Seiten veröffentlicht, die sich speziell mit dem Fluss befassen. Viele dieser Pläne wurden vom Bureau of Engineering der Stadt erstellt, mit Beiträgen von unzähligen Behörden und gemeinnützigen Organisationen. Die Liste der Beteiligten an einem einzelnen Plan kann Seiten füllen: das L.A. Department of Water and Power, das Bureau of Sanitation and Environment, das Department of Recreation and Parks, die Santa Monica Mountains Conservancy, das Department of Public Works, der L.A. County Flood Control District und der Army Corps of Engineers, um nur einige zu nennen. Eines der jüngsten Dokumente, der L.A. River Master Plan 2022 des County, der vom Landschaftsarchitekturbüro Olin, dem Architekturbüro Gehry Partners und dem Ingenieurbüro Geosyntec erstellt wurde, identifiziert fast 1800 Projekte und 140 öffentliche Pläne, die den Fluss ganz oder teilweise einbeziehen. Es ist nicht einfach, sich einen Überblick über den Stand dieser Projekte, die unzähligen Initiativen, die damit verbunden sind, den Finanzierungsbedarf oder die für die Umsetzung zuständigen öffentlichen Stellen zu verschaffen.
Mia Lehrer, Gründerin des Architekturbüros Studio MLA, leitete 2007 den Masterplan zur Revitalisierung des L.A. River. Laut Lehrer bestand eines der Probleme darin, dass kein großes Flussprojekt in einer Weise umgesetzt wurde, die die Nachfrage nach weiteren Projekten erhöht hätte. Eine der größten Entwicklungsmöglichkeiten, Taylor Yards, ist ein etwa vierzig Hektar großes ehemaliges Industriegebiet nordöstlich des Stadtzentrums. Ursprünglich im Plan von 2007 als Konversionsprojekt vorgesehen, hat sich die Planung über sieben Jahre hingezogen, ohne dass viel mehr als weitere Planungsdokumente, die das Projekt in kleinere, vermeintlich leichter zu realisierende Projekte aufteilen, herausgekommen wäre. In Blake Gumprechts zum Klassiker avancierten Buch „The Los Angeles River: Its Life, Death and Possible Rebirth“ (1999) werden seit langem vergessene Vorschläge für Taylor Yards erwähnt, die durch die unermüdliche Lobby-arbeit des verstorbenen Lewis MacAdams und der Friends of the L.A. River (FoLAR) vorangetrieben wurden.
Sobald die Finanzierung gesichert war, folgten auch schon die Projekte. Im November 2024 wurde mit dem Bau eines 1,2 Hektar großen Parkabschnitts begonnen, der als Bow Tie Area bezeichnet wird und ein Demons-trationsprojekt für ein künstliches Feuchtgebiet umfasst, aber erst 2027 eröffnet werden soll. Die leuchtend orangerote Fußgängerbrücke Taylor Yards, die die Stadtteile Elysian Valley und Cypress Park am südlichen Ende des Geländes über den Fluss verbindet, wurde 2022 eingeweiht. Es dauerte zwanzig Jahre, bis die Stadt die Mittel für das Projekt gesichert hatte, die durch eine Vereinbarung mit der Bahn bereitgestellt wurden, die das Gelände kontaminiert und dann geräumt hatte. Die Fachwerkbrücke, entworfen vom Architekturbüro SPFa in Zusammenarbeit mit dem Statikbüro Arup, dem Landschaftsarchitekturbüro Hood Design und dem Bauingenieurbüro Tetra Tech, nimmt die Entwicklung des Parks und die Notwendigkeit vorweg, die Radwege auf beiden Ufern miteinander zu verbinden.
Zoltan Pali, der leitende Architekt des Projekts, wurde in Los Angeles geboren, aber erst seine Erfahrungen mit dem Projekt öffneten ihm die Augen dafür, wie die Kanalisierung des Flusses die Stadt kulturell und sozial spaltete. Sein Entwurfsansatz bestand darin, auf beiden Seiten des geraden Brückenverlaufs zwei langgestreckte Plattformroste zu schaffen, die jeweils zum Fluss hin und von ihm weg ausgerichtet sind, wobei sie schräg verlaufen, um die leichte Krümmung des Flusses in diesem Abschnitt aufzunehmen. „Die beiden ,Knöchel‘ in der Mitte wurden zu einem Handschlag, der die beiden Stadtteile zusammenführt“, sagt Pali. „Diese Biegung beruht darauf, wie das Wasser fließt – es war ein glücklicher Zufall, der die Architektur der Brücke bestimmte.“
Es gibt mehrere andere, kleinere Projekte, die an anderen Stellen entlang des Flusses realisiert werden. Der Headwaters Pavilion, ein neues Fußgängertor zum offiziellen Anfang des Flusses im nordwestlichen Stadtteil Canoga Park, wurde im Architekturbüro Frank Gehry in Zusammen-arbeit mit Olin und Geosyntec entworfen. Der Pavillon ist einfach gehalten und besteht aus zwei Toilettengebäuden, die von einer Struktur mit einem „Wandteppich“ aus Edelstahl gekrönt werden, der eine Ansicht der ursprünglichen bukolischen Berglandschaft rund um die Quelle vor der Urbanisierung zeigt. Der Baubeginn ist für 2025 geplant. Der Architekt Tensho Takemori leitet das Projekt für Gehry Partners. Er war bereits für die Arbeit des Büros am Masterplan für den L.A. River verantwortlich und koordiniert auch dessen Beteiligung an einem neuen Projekt für das South-east Los Angeles (SELA) Cultural Center, das entlang des Flusses in der Stadt South Gate geplant ist, fast zwölf Kilometer südlich von Downtown L.A. und Welten entfernt von Canoga Park.
„Bei jedem dieser Projekte entlang des Flusses ist es derzeit eine Herausforderung, die Sicherheitsproblematik im Zusammenhang mit der Obdach-losigkeit zu verbessern“, nennt Takemori ein Beispiel für ein stadtweites Problem, das sich nur schwer durch ein einzelnes Projekt lösen lässt. „Man kann nicht einfach Lösungen für ein unmittelbares, lokales Problem finden, ohne auch die Einstellung der Menschen in Bezug auf eine umfassendere Lösung mit einzubeziehen.“ Die Arbeit des Büros im SELA Cultural Center ist ganz anders, da es sich um ein Stadtentwicklungsprojekt handelt, das bestehende Kultur- und Kunstprogramme auf einem einzigen Campus mit mehreren Gebäuden zusammenführt. „Es bietet einen Mechanismus für eine sichtbarere Identität in der Gemeinschaft“, sagt Takemori. Takemori ist sich bewusst, dass eine solch große Investition die Grundstückspreise und Mieten in den angrenzenden Stadtteilen in die Höhe treiben kann, was wiederum zur Gentrifizierung und Verdrängung bestehender Nachbarschaften führen kann. Aus diesem Grund arbeitet Takemori auch mit dem County an einer Baulandreservepolitik, die darauf abzielt, Grundstücke für die zukünftige Entwicklung als bezahlbaren Wohnraum zu sichern.
Der jüngste Plan der Stadt Los Angeles für das Sepulveda-Becken, ein 810 Hektar großes Überschwemmungsgebiet im San Fernando Valley, das derzeit für Parks, Golfplätze und andere Freizeiteinrichtungen genutzt wird, veranschaulicht die Herausforderungen, die sich stellen, wenn meh-rere Probleme mit einem einzigen Projekt angegangen werden sollen. Der im Juni 2024 veröffentlichte „Vision Plan for the Basin“ (Plan für das Sepulveda-Becken) sieht eine Reihe von 47 Projekten vor, die über einen Entwicklungszeitraum von 25 Jahren 4,8 Milliarden US-Dollar kosten werden. Die Projekte reichen von Radwegenetzen über die Wiederherstellung von Lebensräumen für Tiere bis hin zu einem Amphitheater. Der Plan ist ehrgeizig, aber die Finanzierungsquellen sind unsicher, insbesondere nach den jüngsten Wahlen in den USA.
Chris Torres, Landschaftsarchitekt und Gründer der Agentur Artifact, hat am Vision Plan mitgearbeitet und setzt sich für Alternativen zur traditionellen Stadtentwicklung ein, um mehr Investitionen in fußgängerfreund-liche und grüne Infrastrukturprojekte zu ermöglichen. „Jeder dieser Pläne wird durch den jeweiligen politischen und sozialen Kontext beeinflusst“, sagt Torres. „Wenn es gelingt, die Herzen und Köpfe der Menschen davon zu überzeugen, dass der Fluss ein öffentliches Gut für alle Bevölkerungsgruppen in Los Angeles ist, auch für die unterversorgten und benachteiligten, dann kann man auch die wohlhabenderen Schichten überzeugen. Die Herausforderung auf regionaler Ebene ist gewaltig, aber das ist die einzige Hoffnung auf Erfolg.“ Er würde es begrüßen, wenn der Privatsektor und die Wohlfahrtsverbände eine aktivere Rolle bei der Finanzierung von Flussprojekten spielen würden.
Torres ist auch der Meinung, dass mehr in das kulturelle Verständnis desFlusses investiert werden sollte, da die technischen Probleme, die die meisten Planungsberichte dominieren, relativ einfach sind. Vielleicht wird durch die daraus resultierende Verwirrung die Unterstützung der Bevölkerung erschwert. „Ich habe noch nie ein Projekt gesehen, bei dem die Meinungen über ein technisches Problem so weit auseinander gingen wie beim Los Angeles River“, sagt er. „Erst wenn die Leute anfangen zu sagen, dass wir einen völlig anderen Fluss in Los Angeles verdienen und wollen, dann wird es auch so kommen.“
Übersetzung aus dem Englischen: Beate Staib
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