Haus der grünen und braunen Geister
Zur Konferenz „Monumental Affairs“ in der Design Akademie Saaleck
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Haus der grünen und braunen Geister
Zur Konferenz „Monumental Affairs“ in der Design Akademie Saaleck
Text: Stumm, Alexander, Berlin
In den Saalecker Werkstätten bei Naumburg wimmelt es von Geistern. In der ehemaligen Wirkungsstätte des Werkbundmitgründers und bekennenden Nationalsozialisten Paul Schultze-Naumburg koexistieren das architektonische Ideal Deutschlands um 1800 (Goethes Gartenhaus!), malerische Landschaftsgestaltung, Ökologie, Heimatschutz, Rassentheorie und nationalistisches Herrendenken. Wie Geister, zugleich an- und abwesend, greifen diese Ideen in Vergangenheit und Gegenwart aus.
Vom 1. bis 3. September 2023 fand der „dieDAS Walk & Talk“ in den Saalecker Werkstätten statt. Die Design Akademie Saaleck (dieDAS) lud unter dem Titel „Monumental Affairs – Living with Contested Spaces“ zu einer rassismuskritischen Konferenz. Als künstlerischer Direktor fungierte Germane Barnes, Architekt und Assistant Professor an der University of Miami School of Architecture (Bauwelt 26.2022). Finanziert von der Marzona Stiftung, veranstaltet dieDAS seit fünf Jahren Summer Schools vor Ort. Das diesjährige Programm ist außerdem durch die Kulturstiftung des Bundes maßgeblich mitfinanziert. Besondere Beachtung verdient das Projekt, weil es eben nicht in Berlin, Hamburg oder Köln stattfindet, sondern im kleinen Ort Saaleck in Sachsen-Anhalt, wo nach aktuellen Wahlumfragen die AfD bei 29 Prozent liegt. Unter der Leitung von Barnes verbrachten vier Stipendiaten im Rahmen eines Fellowship Programms zwei Wochen in den Saalecker Werkstätten und entwickelten Projekte für Workshops und eine begleitende Ausstellung.
Der Titel der Konferenz „Monumental Affairs“ lässt sich im Deutschen auf mehrere Arten lesen: Monument zum einen als die bronzene Reiter- und Memorialstatue, die in vielen Städten in Deutschland, Europa und dem globalen Norden heroisch an mitunter koloniale Vergangenheiten anknüpft – ihre Präsenz im Stadtraum wird seit der medial verbreiteten Tötung von George Floyd durch einen US-amerikanischen Polizisten im Jahr 2020 zunehmend kontrovers diskutiert. Monument zum anderen als architektonisches Bauwerk, wie es die Saalecker Werkstätten selbst verkörpern. Es schwingt weiterhin eine Kritik des „Monumentalen“ mit, mit welcher Architektur und Kunst etwas ins Gewaltige und Übermächtige steigert. Nicht zuletzt lässt sich das Thema Rassismus selbst als eine gigantische, viel zu wenig adressierte und verstandene „Affäre“ unserer Gegenwart begreifen. Konkret geht es natürlich auch um die Frage: Wie umgehen mit den Saalecker Werkstätten?
Leider bleibt Germane Barnes in seinem zu kurzen Keynote-Vortrag vage; sein Nachredner Bryan C. Lee Jr., Gründer von Colloqate Design, einem gemeinnützigen Architektur- und Stadtplanungsbüro in New Orleans, nahm bei seinem Vortrag „What is Design Justice?“ folgende bestechende These als Ausgangspunkt: Für fast jede Ungerechtigkeit gibt es eine Architektur, einen Plan, ein Design, durch die sie aufrecht erhalten wird. Design Justice versucht nach Lee Jr., die Privilegien und Machtstrukturen in Frage zu stellen, die Architektur und Design als Mittel der Unterdrückung einsetzen. Sie steht für eine soziale und kulturelle Wiedergutmachung durch Gestaltung – und bedeutet schließlich, aufbauend auf der Erkenntnis, dass der Verlust von
Erinnerung die Wurzel aller Unterdrückung darstellt, unablässige Erinnerungsarbeit als Grundlage für eine gemeinsame gesellschaftliche Erfahrung. Beispiele für eine architektonische Umsetzung zeigt Lee Jr. anhand seiner Projekte in New Orleans: Die Umgestaltung von Schulen, Plätzen und Straßen in ehemaligen sogenannten Sundown Towns – Statdtviertel, wo die Segregation noch immer so stark ist, dass sich Afroamerikaner nach Sonnenuntergang nicht gefahrlos aufhalten können. Die architektonischen Eingriffe werden mit und für die Community durchgeführt. Dabei geht es um kleinere, farbige Strukturen, die neue Gemeinschaftsorte markieren, die Reaktivierung von leerstehenden Lagerhallen als Kunst- und Gemeindezentrum mit überregionaler Ausstrahlung (wobei lokale Akteure nur ein Zehntel der Miete gegenüber auswärtigen Initiativen zahlen müssen, um Gentrifizierung zu verhindern) oder die Errichtung großflächiger Wandmalereien, um Empowerment im Stadtraum mit viel Farbe zu unterstreichen.
Erinnerung die Wurzel aller Unterdrückung darstellt, unablässige Erinnerungsarbeit als Grundlage für eine gemeinsame gesellschaftliche Erfahrung. Beispiele für eine architektonische Umsetzung zeigt Lee Jr. anhand seiner Projekte in New Orleans: Die Umgestaltung von Schulen, Plätzen und Straßen in ehemaligen sogenannten Sundown Towns – Statdtviertel, wo die Segregation noch immer so stark ist, dass sich Afroamerikaner nach Sonnenuntergang nicht gefahrlos aufhalten können. Die architektonischen Eingriffe werden mit und für die Community durchgeführt. Dabei geht es um kleinere, farbige Strukturen, die neue Gemeinschaftsorte markieren, die Reaktivierung von leerstehenden Lagerhallen als Kunst- und Gemeindezentrum mit überregionaler Ausstrahlung (wobei lokale Akteure nur ein Zehntel der Miete gegenüber auswärtigen Initiativen zahlen müssen, um Gentrifizierung zu verhindern) oder die Errichtung großflächiger Wandmalereien, um Empowerment im Stadtraum mit viel Farbe zu unterstreichen.
So beeindruckend die Leistung der Marzona Stiftung ist, aktivistische und rassismuskritische Stimmen aus verschiedenen Erdteilen im Örtchen Saaleck zu versammeln – die Auseinandersetzung mit dem Ort wird nur teilweise erfüllt. Die Vorträge von Barnes und Lee Jr. hätten so überall auf der Welt gehalten werden können, Schultze-Naumburgs „Nazi Castle“ fungiert streckenweise nur mehr als „Gruselkulisse“.
Das Beunruhigendste an Schultze-Naumburg ist ja eben nicht, dass er Rassist und Nationalsozialist war, sondern, dass er zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele ökologische Probleme von Industrialisierung und Moderne erkannte und als Gründungsmitglied des Werkbundes 1907 der Reformbewegung nahestand, allerdings alsbald eine scharfe Rechtsbiegung einschlug. Das Beunruhigende ist, kurz gesagt: Es führt ein Pfad vom grünen zum braunen Denken. Seine 1904 geäußerte Kritik an der großen „Wühlarbeit“, bei der mit schwerem Maschinengerät kein Stein auf dem anderen bleibt und die Extraktion von Rohstoffen zur Zerstörung des Planeten führt, könnte als früher Beitrag zur Anthropozändebatte gelesen werden; bei Schultze-Naumburg führte sie allerdings in die Vorstellung einer „autochthonen Erde“, die angereichert mit „Heimatschutz“ und rassistischem Reinheitsdenken in die Unterstützung der Blut und Boden-Ideologie der Nazis mündet.
In diesem Sinne war der Beitrag „Spaces and Ideologies of Inequalities in the Climate Crisis“ von Matthias Quent, Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Co-Autor des 2022 erschienenen Buches „Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende“ erhellend. Inzwischen würden Öko-Faschisten wieder lauter und die radikale Rechte in Deutschland habe die Umwelt- und Klimapolitik entdeckt. Diese sehen nach Quent Dekarbonisierung als Untergang von Vaterland, Wirtschaft und Kultur und arbeiten mit Angstmacherei, Desinformation und der Leugnung des menschlichen Einflusses auf den Klimawandel. Die Leugnung des Klimawandels gehe einher mit der Leugnung der Verantwortung für das koloniale Erbe; rassistische Denkmuster fungierten damals wie heute als Legitimationsgrund für die Ausbeutung des globalen Südens. Rechte Proteste gegen erneuerbare Energien mit Plakatslogans wie „Wind und Sonne sind keine Friedensenergien, sondern der Krieg gegen die Natur und das Landvolk“ stehen Quent zufolge für derlei Kontinuitäten.
Die begleitende Ausstellung zeigte in vier Räumen der Saalecker Werkstätten die vor Ort entwickelten Arbeiten der Stipendiatinnen und Stipendiaten Yassine Ben Abdallah, Adam Maserow, Antoinette Yetunde Oni und Silvia Susanna. Abdallahs raumgreifende Installation „All Monuments will Fall“ in einem der Erkerzimmer mit Blick über die Landschaft des Saaletals beschäftigt sich mit der Heimatschutzbewegung und Schultze-Naumburgs Entscheidung, sein Haus in ebendieser Landschaft zu errichten. Der Boden des Raums ist mit Moos ausgelegt, darin sind Säulen und Objekte aus gefrorenem Wasser aus dem Fluss positioniert. Die Arbeit spielt mit dem Verfall des lange leerstehenden Gebäudes, in dem sich die Natur ihren Ort zurückerobert hat, und der Saale, die langsam den Felsrücken erodiert, auf dem das Gebäude steht. Susanna sezierte die historischen Schichten des Ensembles, das von Schultze-Naumburg mehrfach umgebaut und in DDR-Zeiten als Altenheim umfunktioniert wurde. Ende 2023 werden die Sanierungs- und Umbaumaßnahmen der Saalecker Werkstätten durch das dänische Büro Dorte Mandrup Arkitekter beginnen.
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