Land unter
Die Halligen in der Nordsee werden regelmäßig überflutet. Zum Schutz stehen die Häuser erhöht auf Warften. Das Steigen des Meeresspiegels gefährdet diese Siedlungen. Mit einer Modellwarft soll nun die Zukunft erprobt werden.
Text: Landes, Josepha, Berlin
Land unter
Die Halligen in der Nordsee werden regelmäßig überflutet. Zum Schutz stehen die Häuser erhöht auf Warften. Das Steigen des Meeresspiegels gefährdet diese Siedlungen. Mit einer Modellwarft soll nun die Zukunft erprobt werden.
Text: Landes, Josepha, Berlin
Eine Hallig ist keine Insel. So hat Langeneß, mit knapp zehn Quadratmetern die größte der zehn deutschen Halligen, zum Beispiel keinen Deich, und man muss tief graben, um unter dem Marschland auf Sand zu stoßen. Genau das nimmt die Gemeinde Langeneß/Oland, unterstützt vom Land Schleswig-Holstein, jetzt in Angriff: Die Hallig baut. Im Oktober konnte das Hamburger Architekturbüro blauraum den Wettbewerb für die Neubebauung der zur Zeit unbewohnten Warft Treuberg für sich entscheiden.
Warften sind jene Teile der Hallig, die selbst dem Hallig-Bewohner einmal als „Insel“ aus dem Mund rutschen. Tatsächlich sind sie in zweierlei Hinsicht herausragend: Zum einen liegen sie im wörtlichen Sinne erhöht, zum anderen sind sie eingedeicht. Warften sind die Nachbarschaften der Hallig. Langeneß besteht aus 21 Warften, 18 davon bewohnbar. Bewohnbar heißt hier: im Falle einer Sturmflut nicht gefährdet, vom Meer abgeräumt zu werden. Etwa zwanzig Mal im Jahr überflutet das Meer die Salzwiesen, die die Warften zusammenhalten. Natur und Menschen haben sich darauf eingestellt.
Viehwirtschaft und Küstenschutz sind wichtige Einkommensquellen für die knapp hundert Bewohner von Langeneß, nicht zu vergessen der Tourismus, wenn der auch hier, im Vergleich zur Nachbarhallig Hooge, noch in den Kinderschuhen steckt. Rinder und Schafe verfestigen seit Jahrhunderten den Boden, den die See anträgt und wieder abtragen will. Der vom Land Schleswig-Holstein gestellte Küstenschutz perfektioniert diese Existenzsicherung mittlerweile. Eine dreiteilige Befestigung aus Steinkante, Steinigel und Sommerdeich wurde schon gesetzt, um die Küstenlinie zu definieren. Die Arbeit ist ein stetes Ringen mit dem Meer. Es ist eine Herausforderung, die tierischen und maschinellen Küstenschützer bei Land unter oder bei Sturmfluten ins Trockene zu bringen. Kühe und Schafe können die Bewohner auf die Warften holen. Wohin aber mit Treckern und Gabelstaplern?
Der Wettbewerb ist ein Rundumschlag, um den Eigenarten und Herausforderungen des modernen Halliglebens zu begegnen. Ihm vorausgegangen war 2012 ein Ideenwettbewerb. Gefragt war nichts Geringeres als eine Modellwarft, die auch schlicht und einfach Abstellflächen für schweres Gerät bietet. Auf Langeneß entsteht eins von vier Pilotprojekten, die das Land, unterstützt von der EU, auf den Halligen ausführen will.
Außer dem Küstenschutz soll auch die Gemeinde Flächen in den Neubauten bekommen – Garagen, Werkstätten und Wohnraum zur Miete, damit Arbeitskräfte, die zuziehen, Fuß fassen können. Daneben sind neue Räume für die sozialen Einrichtungen geplant: den Kindergarten und die Krankenstation, dann ausgestattet für Telemedizin, sowie ein Kaufmannsladen.
Zwar hat Langeneß mit seinen „Halligrettern“ ein Notfallpflegeteam, zum nächsten Krankenhaus dauert es aber lebensgefährlich lange. Den Wocheneinkauf bestellt man im Internet, einmal die Woche setzt der Lieferdienst per Fähre über. Wenngleich generell zukunftsfähig, ist die Lösung für viele der älteren Hallig-Bewohner unpraktisch. Mit dem gleichzeitigen Wegfall von Kaufmanns- und Bioladen 2013 verschwand auchihr Treffpunkt. Zum Teil wohnen die Senioren während des rauen Halbjahrs ohnehin auf dem Festland. Auch wenige Frauen kommen nach der Ausbildung von dort zurück – eine Entscheidung, die kaum einem Hallig-Bewohner leicht fällt, aber die Attraktivität des realen Marktes spiegelt.
Die Hallig ist eine Art Trutzburg für jene, die anpacken können und wollen, ein Garten für die Harten – und für reisende Großstädter. Womit das Dilemma deutlich wird: Hallig und moderne Annehmlichkeiten liegen meilenweit entfernt, müssen aber in Einklang kommen, um das Fortbestehen als bewohnte Eilande zu gewährleisten – auch im Kontext von Naturschutz und Wirtschaftlichkeitsdenken.
Die Quelle des Stolzes der Hallig-Bewohner ist, dass sie bislang mit den Konsequenzen ihrer Freiheit lebten. Hallig-Bewohner ist, wer sich auf diese Unmittelbarkeit von Natur und Gemeinschaft einlässt. Da die Halligen aber nicht mehr autark bestehen können, sind Touristen, auch wenn ihnen bei Land unter die Nerven beben, ebenso notwendige Existenzsicherer wie Kuh und Bagger. Wenn Touristen dann aber zu Käufern werden und die Warften nur noch als Sommerresidenzen herhalten, funktioniert die Hallig nicht mehr. Das Zentrum auf Treuberg soll dem etwas entgegensetzen: Hallig 2050, ein Ort, wo Menschen auch in Zukunft leben und arbeiten.
Die Notwendigkeit eines Architekturwettbewerbs sah die Gemeinde zuerst eher gleichgültig. Das Resultat aber können sie sich gut vorstellen. Bislang stammen die Langeneßer Häuser vereinzelt, wenn sie die Sturmflut 1962 überstanden haben, noch aus dem 18. Jahrhundert, sind aus Backstein gebaut und mit Reet gedeckt. Die damals weniger glücklich davongekommenen Hauseigentümer wurden im Aufbauprogramm nach der Sturmflut mit „Eternitbunkern“ ausgestattet – Häuser, zwar auch aus Backstein, aber eben mit Wellpappe auf dem Satteldach. Zum Teil nutzten die Bewohner damals die Förderung und zogen über dem Grundriss der früheren Scheunen Wohnhäuser hoch, die eigentlich viel zu groß und zum Teil mit Kellern versehen sind – hier eine schlechte Idee. Bebauungspläne sind etwas sehr Neues auf Langeneß.
Auch für den Wettbewerb gab es kaum gestalterische Vorgaben, einzig das Haupthaus sollte der Hauptwindrichtung wenig Widerstand bietend von West nach Ost ausgerichtet sein. Blauraum ordnen vier Baukörper, jeweils ausgebildet als geschlossene Kubatur, deren Dachform sich zwischen Reetdach und Eternitdeckel einpendelt, rund um einen Gemeinschaftsplatz an und kommen damit der traditionellen Typologie nahe. Den denkmalgeschützten Fehting – einst in Ermangelung von Süßwasservorkommen die Regenwassersammelstelle für die Viehtränke – belassen sie, von dort aus gut einsehbar, im Nord-Westen der Warft. Eine zusätzliche solche Mulde in der Mitte des neuen Zentrums und die Verbindung der Baukörper mit einem gemeinsamen Dach sehen die Gemeindevertreter kritisch. Einen Filter zwischen Innen und Außen gebe es hier nicht: „Wenn du rausgehst, kann es regnen“, so der friesische Kommentar.
Bevor der erste Stein gesetzt werden kann, muss der Warftkörper komplett erneuert werden. Das vormals auf Treuberg befindliche Langhaus wurde im Mai abgebrochen. Nun folgt der Abtrag des Lehmhügels. Der Kern der neuen Warft wird aus Sand bestehen, der vor Sylt aus dem Meer gepumpt und per Schiff aufgespült wird. Darauf wird dann der lehmige Aushub als äußere Schicht wieder aufgebracht. Die bislang mit ringförmiger Kuppel ausgebildete Warft soll zukünftig als Plateau, das höher und breiter als der Vorgänger ist, besser vor hohen Pegeln und schlagenden Wellen schützen. Die Gebäude, die anders als noch in der Wettbewerbsplanung aus Backstein gebaut sein werden um besten Schutz zu bieten, könnten derzeitigen Planungen zufolge 2023 stehen – so die Gezeiten der Zeit kein Schnippchen schlagen.
Offener zweiphasiger Realisierungswettbewerb
1. Preis (6000 Euro) blauraum Architekten, Hamburg, mit Rabe Landschaftsplanung, Hamburg
2. Preis (4500 Euro) Daniel Zajsek, München, mit G2 Landschaft, München
3. Preis (3000 Euro) Architektencontor, Scheel/Jelinek, Kiel, mit Urte Schlie Landschaftsarch., TimmendorferStrand
4. Preis (1500 Euro) Limbrecht und Jensen Architekten, Niebüll, mit Planungsgruppe OLAF, Wester-Ohrstedt,
1. Preis (6000 Euro) blauraum Architekten, Hamburg, mit Rabe Landschaftsplanung, Hamburg
2. Preis (4500 Euro) Daniel Zajsek, München, mit G2 Landschaft, München
3. Preis (3000 Euro) Architektencontor, Scheel/Jelinek, Kiel, mit Urte Schlie Landschaftsarch., TimmendorferStrand
4. Preis (1500 Euro) Limbrecht und Jensen Architekten, Niebüll, mit Planungsgruppe OLAF, Wester-Ohrstedt,
Jury
Burkhard Jansen, Eggert Bock, Nicole Stölken, Christine Krämer, Gregor Sunder-Plassmann, Johannes Oelerich, Heike Hinrichsen (Bürgermeisterin von Langeneß), Malte Karau, Honke Johannsen, Melf Boysen, Dietmar Wienholdt
Burkhard Jansen, Eggert Bock, Nicole Stölken, Christine Krämer, Gregor Sunder-Plassmann, Johannes Oelerich, Heike Hinrichsen (Bürgermeisterin von Langeneß), Malte Karau, Honke Johannsen, Melf Boysen, Dietmar Wienholdt
Wettbewerbskoordination
Richter Architekten+ Stadtplaner, Kiel
Richter Architekten+ Stadtplaner, Kiel
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