Remstaler Folies
16 Stationen für die Landesgartenschau Remstal 2019
Text: Baus, Ursula, Stuttgart
Remstaler Folies
16 Stationen für die Landesgartenschau Remstal 2019
Text: Baus, Ursula, Stuttgart
Seit einigen Jahren sollen Landesgartenschauen mehr oder weniger spärliche Reste von Natur- und Erholungsräumen schützen oder erschließen – was bitter nötig ist. Denn Bauen in Deutschland ist immer noch Tag für Tag ein flächenfressendes Geschäft. Wozu braucht man dann bei einer Landesgartenschau überhaupt Architekten? Zur Remstaler Landesgartenschau haben sich östlich von Stuttgart sechzehn Städte und Gemeinden zwischen Quelle und Mündung der Rems zusammengefunden. Von dort pendeln immer mehr Menschen in die Landeshauptstadt, die durch den horrenden Feinstaub erreicht hat, dass wenigstens „Stuttgart 21“ aus den Schlagzeilen kommt. Die Remstaler Landesgartenschau erstreckt sich über eine Länge von rund 80 Kilometern zwischen den Orten Remseck und Essingen. Ein Regionalverband hatte bereits 2006/07 initiiert, sich gemeinsam um die Ausrichtung einer Landesgartenschau zu bewerben, 2010 bekam die Remstalidee den Zuschlag, als „Ausstellung“ wird sie vom 10. Mai bis 20. Oktober 2019 zu erkunden sein. Sie bietet charmanten Anlass, um in einer mittelständisch besetzten Region „Landschaft“ in ihrer Bedeutung für ein zukünftiges Leben ins Gedächtnis zu rufen.
Wohl kennt man das Remstal aufgrund seiner guten Weinlagen. Auch Streuobstwiesen, Fel-der und Wälder findet man. Zugleich breitet sich auch hier der schwäbische Mittelstand mit großflächigen Gewerbegebieten in erschreckendem Maß aus. Ausfransende Ortsränder und Zersiedlung prägen die Wirtschaftsregion, in der etwa 200.000 Menschen leben. Dass es die grünen, idyllischen Seiten des Remstals gibt, erschließt sich ganz und gar nicht von selbst. So kann man begrüßen, dass sich im Sinne des Landschaftsschutzes und der Erlebbarkeit eines großräumigen, öffentlichen, grünen Gebietes mehrere Gemeinden zusammengetan haben. Etwas spröde nach Marketing klingt es allerdings schon, was geplant ist. Als „Themenbänder“ sind Garten, Wasser und Genuss benannt, was sich sehr nach Tourismus-Ideen anhört, denn wirtschaftsrelevant wird in Baden-Württemberg jeder Quadratmeter in seiner Vermarktmarkeit geprüft. Dergleichen gehört durchaus zur Tradtion der Gartenschauen, in denen Blütenmeere und Attraktionen vielfältiger Art noch immer nicht fehlen dürfen. Es geht nicht zuletzt um Aufmerksamkeit, und zu der sollen nun sechzehn „Stationen“ beitragen, die von renommierten deutschen Architekten gebaut werden. Kleine, nicht gerade unter sonstigem Verwertungsdruck stehende Skurrilitäten, die man in Frankreich vielleicht „Folies“ nennen würde und die den beteiligten Architekten eine seltene Gestaltungsfreiheit bieten. Ausgesucht von Jorunn Ragnarsdòttir als Kuratorin und per Los je zu einer Gemeinde beziehungsweise Stadt geschickt, sollten die Architekten eine Art „Visitenkarte“ mit hohem Zeichencharakter entwerfen. Entstanden sind zugleich Visitenkarten für die Architekten. In einer solchen Gartenschau sind es verzwergte Bilbao-Effekte, die gemeinsam groß wirken sollen. Tatsächlich zeigen sich in den Folies die jeweilige Handschrift beziehungsweise die formalen Vorlieben der Architekten in teils kurioser Weise. Eine Gesamtschau auf die sechzehn kleinen Projekte ließe sich auch als Ratespiel begreifen: Wer hat was entworfen?
harris + kurrle gelingt in Essingen eine sehr elegante Wiederbelebung einer alten Wegeverbindung. Brandlhuber errichtet ein kleines Monument für die Initiative eines verkehrsgeplagten Ortes, „Freiheit für Mögglingen – B29 raus“. Tatsächlich wird eine Umgehungsstraße 2019 fertig sein. Staab Architekten installieren ein „weißes Fenster“ in einem Waldgebiet bei Böbingen, was einen leicht sakralen Eindruck suggeriert. Florian Nagler baut in Schwäbisch Gmünd ein nobles Baumhaus, Hild und K ziehen in Lorch einem kleinen Fachwerkhäuschen ein Häkelhemdchen über (gehäkelt von Gmünder Handarbeiter/innen), Uwe Schröder fasst einen Plüderhausener Hochzeitsbrauch in einen kleinen raumpoetischen Tempel. In Urbau bauen Achim Menges und Jan Knippers auf einen Aussichtspunkt einen Turm – eine hocheffiziente, leicht montierbare Tragstruktur aus Sperrholzstreifen. schneider + schumacher lassen in Schorndorf eine Rampe aus dem Weinberg schießen, Burgwer Rudacs planen für Winterbach einen Monopteros, in dem sich Liebende und viele Andere in Schönheit herzen und drücken, verloben und verheiraten sollen. Schulz und Schulz inszenieren für einen Rundumblick in Remshalden einen geometrisch reizvollen Pavillon, su und z errichten ein kleines Kaminhaus in Weinstadt. Studio Rauch stülpt in Korb einen Brettsperrholz-Turm über einen Wasserspeicher, Kuehn Malvezzi krönen eine Anhöhe in Kernen mit einem abstrahierten Wengerter-Häuschen, Jürgen Mayer H. und Partner bescheren Waiblingen eine Gebäudeskulptur auf der Schwaneninselspitze. Auf dem Fellbacher Kappelberg bauen Barkow Leibinger einen filigranen Pergola-Pavillon für wohlfeiles Beisammensein, und an der Mündung der Rems in den Neckar, im Ort Remseck, reiht Christoph Mäckler fünf zipfelige Satteldächlein zu Badehäusern aneinander. Die Remstaler Landesgartenschau wird zu einer Pilgerstätte für Architekten werden, andere Besucher werden sich arglos auf die schönen, bisweilen rätselhaften Nichtigkeiten entlang ihrer Wege einlassen dürfen.
Abschließend: Anfang Mai entschied die Gesellschaftsversammlung leider, dass sie die temporäre Sperrung der Bundesstraße 29 als Aktion der Remstal Gartenschau nicht will. Sie wäre eine der wichtigsten Aktionen der Landesgartenschau gewesen – ähnlich eindrucksvoll wie die Sperrung der Autobahn A40, des „Ruhrschnellwegs“, in Nordrhein-Westfalen anlässlich einer Kulturveranstaltung. Aber das kriegen die autokranken Schwaben nicht hin.
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