Michael Wilkens
1935–2023
Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin
Michael Wilkens
1935–2023
Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin
Er hatte das Zeug dazu, ein Stararchitekt zu werden: ein Baum von einem Menschen, formbegabt, selbstbewusst, entscheidungsfreudig, der Welt und den Menschen zugewandt. Aber statt Hochhäuser zu bauen, hat er seine Energie in die Entwicklung kostengünstiger Reihenhäuser am Rande des Selbstbaus gesteckt, und statt in China oder Dubai zu bauen, hat Michael Wilkens in Cuba gelehrt.
An der Ausbildung kann es nicht gelegen haben. Zeitweise studierte er in Berlin bei Ungers, der – von Größenwahn bekanntlich nicht frei – ihn zu seinen zwölf Jüngern zählte. Prägend war vor allem seine Arbeit im Büro von Baumgarten, auf die er sich lebenslang bezog. Das gilt besonders für die Mitarbeit um 1970 an Baumgartens exorzistischem Wiederaufbau des ausgebrannten Reichstags. In einer dieser typischen Situationen, wo der Chef verreist war, das Ministerium aber schon morgen das Büro des Bundestagspräsidenten fertigstellen wollte, entwarf er über Nacht dessen Schreibtisch allein. Baumgarten war entsetzt, konnte das fertige Objekt aber nur loben.
Die Wendung zum Sozialen, Kleinen lag ihm aber genauso – schon in seiner Karlsruher Studienzeit entwarf er eine wunderbar gezeichnete Reihensiedlung für Kleingärtner. Wilkens hatte einen unter Architekten nicht gerade üblichen Sinn dafür, wie das Leben gewöhnlicher Menschen wirklich ist; und er konnte das, wie einst Heinrich Tessenow, so gut zeichnen wie bauen.
Einen entscheidenden Schub dürfte ihm die Berufung an die Kasseler GhK gegeben haben. Der luftige Posenenske-Bau in der Karlsaue war noch ganz frisch. Dort traf er auf ein damals in Deutschland einmaliges Experimentierfeld in Sachen low cost housing und einfache Materialien, Holz und Lehm. Die kleinen Experimentalbauten von Gernot Minke standen in unmittelbarer Nähe herum. Wilkens überführte den Ansatz in die politische Planungspraxis und schließlich in den Städtebau, ohne dabei auf den Architekturanspruch zu verzichten.
Er tat das aber nicht als Alleinunternehmer, sondern im Verbund mit Gleichgesinnten und Schülern, quasi als Kollektiv, und statt „Wilkens Architekten“ nannte er das Büro „Baufrösche“, eine fast schon schmerzhaft berührende Selbstkleinschreibung. Er war ja alles andere als ein Frosch: weder einer von unten, noch klein und bescheiden. Aber wie er sich tätige Baugruppen als Klienten wünschte, so wollte er unbedingt in der Gruppe arbeiten, wie er auch das Entwerfen nicht als souveräne Schöpfertätigkeit verstand, sondern funktional, als Dienst des Spezialisten an den Bedürfnissen der Gesellschaft. Das war der dezidiert linke Anspruch, den er lebenslang durchgehalten hat, mit einer Hartnäckigkeit, die man sich vielleicht auch mit dem protestantischen Pfarrhaus erklären kann, aus dem er stammte.
Seine Entwürfe sind unverkennbar, und zwar deshalb, weil noch das holzbewehrte Reihenhaus mit Gründach auf der Kasseler Dönche im Spannungsfeld zwischen sozialer Großform und einem Klassizismus Schinkel‘scher Prägung steht. Die Großform kommt am freiesten zum Tragen in jenem Langhaus, das beim Wiederaufbau der Kasseler Unterneustadt das untergegangene barocke Waisenhaus vertritt.
Zum Architekten gehörte der unermüdliche Zeichner genauso wie der pointensichere Erzähler. Das Zeichnen diente der täglichen Aneignung dessen, was er sah und erlebte, das Erzählen entfaltete einen im Stimmklang friesisch eingefärbten Humor. Diese Dinge standen nicht beziehungslos neben dem Architekturentwurf, sondern durchdrangen seine Art und Weise des Entwerfens. Achtundachtzigjährig ist er Anfang März in seinem Haus auf der Dönche gestorben.
0 Kommentare