Nicht nur große Pläne
Zwei Ausstellungen im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig widmen sich Architektur und Städtebau zwischen 1945 und 1976
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Nicht nur große Pläne
Zwei Ausstellungen im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig widmen sich Architektur und Städtebau zwischen 1945 und 1976
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig ist bekannt für hervorragende Ausstellungen zur Leipziger Architektur, die immer wieder fundierte Schlaglichter auf zuvor wenig erforschte Zeiträume (z.B. Historismus, Moderne, NS-Zeit) geworfen haben. Die aktuelle Sonderschau nimmt nun die ersten drei Nachkriegsjahrzehnte in den Blick. Gezeigt werden viele bislang unveröffentlichte Zeichnungen und Fotos zum Planungs- und Baugeschehen der DDR-Zeit, der Schwerpunkt liegt auf dem Leipziger Stadtzentrum und den angrenzenden Vierteln. Es gab in jenen Jahren so viele Ideen, die Innenstadt mit Signalbauten oder größeren Ensembles umzugestalten – zum besseren Verständnis der Entwicklungen dieser Zeit zeigt die Ausstellung deshalb neben Gebautem auch unrealisiert Gebliebenes und spektakuläre Städtebauvisionen.
Das Leipziger Zentrum hatte trotz erheblicher Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg nach 1945 immer noch das kompakte Gefüge einer historischen Stadt. Und so sahen die ersten Aufbauplanungen vor, die überlieferte Substanz zu erhalten. Viele ausgebrannte oder teilzerstörte Bauten (wie das Alte Rathaus) baute man wieder auf, nur auf Brachflächen wurden einzelne Neubauten ergänzt.
Erst später plante man breite Magistralen, große Plätze und Hochhäuser (wie den Turm der früheren Karl-Marx-Universität), die sich nicht mehr auf die gewachsene Struktur bezogen. In der Phase der „Nationalen Tradition“ entstanden neue monumentale Komplexe (Oper, Ringbebauung am Roßplatz, Hochschule für Körperkultur). In den 60er Jahren setzte sich das Konzept der offenen Stadtlandschaft durch. Und im Zuge des Übergangs zum industriellen Bauen veränderte sich auch die Architektursprache in Richtung Ostmoderne (Hauptpost, Robotron, Brühl-Bauten, Sachsenplatz).
Der Zeitraum, den die Ausstellung behandelt, endet 1976, mit der Grundsteinlegung für das Neubaugebiet Leipzig-Grünau. Nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker erlahmte das Interesse der Führung an der Umgestaltung der Stadtzentren. Der Schwerpunkt des Geschehens verlagerte sich auf den Großwohnsiedlungsbau in der Peripherie. Der Epilog der Ausstellung dokumentiert den sukzessiven Verfall vieler Altbauten und die ersten Konzepte zur Revision der Moderne. Die Schau zeichnet ein differenziertes Bild des innerstädtischen Baugeschehens, thematisiert sie doch parallel zur Vorstellung der teilweise spektakulären Neubauten auch die damit einhergehende politisch motivierte Zerstörung hochrangiger historischer Kulturbauen – wie die Sprengungen der Universitätskirche und des alten Gewandhauses.
Im Untergeschoss des Museums ist ergänzend eine Ausstellung mit mehr als 40 großformatigen Aufnahmen des Leipziger Fotografen Klaus Liebich (Jahrgang 1929) aus den 50er und 60er Jahren zu sehen. Viele von Liebichs Stadtansichten, die er vom Turm der Thomaskirche aufnahm, fokussieren die Areale, die damals beplant und zum Teil neu bebaut wurden. Der leicht schräge Blickwinkel der Fotos lässt neben den Baustrukturen auch die sukzessiven Veränderungen sichtbar werden – für stadtgeschichtlich Interessierte eine nahezu unerschöpfliche Fundgrube von Entdeckungen. Auf den Bildern sind viele historische Bauten noch zu sehen, die kurz darauf abgerissen wurden, das Gewandhaus an der Beethovenstraße etwa oder der frühbarocke Bau von Deutrichs Hof.
Liebich fotografierte auch das Viertel zwischen Katharinen- und Reichsstraße, Brühl und Böttchergässchen, als dort Ende der 60er Jahre der Sachsenplatz (Bauwelt 8.2015) entstand. Nach der Wende wurde das Areal ein weiteres Mal zur Neubebauung freigegeben, u.a. entstanden hier das Stadtgeschichtliche Museum und das Museum der bildenden Künste. Wer heute ohne Vorwissen durch das Quartier flaniert, das sich am historischen Stadtgrundriss orientiert, käme kaum auf den Gedanken, dass dort bis noch vor wenigen Jahren gelungene Ensembles aus der DDR-Zeit standen – genauso wie im Fall der unmittelbar angrenzenden Shopping-Mall („Höfe am Brühl“).
Die Architektur- und Städtebau-Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv und dem Amt für Bauordnung und Denkmalpflege. So bietet sie neben zeitgenössischen Präsentationszeichnungen und Fotos präzise Hintergrundinformationen, die belegen, wie sehr sich die Planer der DDR-Zeit (trotz der diversen ideologischen Vorgaben) mit der Geschichte der Stadt und den Bedürfnissen der Bewohner auseinandergesetzt haben. Nach wie vor sind viele Leipziger Bauten dieser Ära umstritten, akut gefährdet oder werden – wie die Hauptpost am Augustusplatz – im Zuge von Umbaumaßnahmen gerade substanziell verändert.
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