Ordnung und Unordnung
Sou Fujimoto im Aedes Architekturforum Berlin
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Ordnung und Unordnung
Sou Fujimoto im Aedes Architekturforum Berlin
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Was für ein kühner Gedanke, und was für eine ausdrucksstarke Raumplastik, mit der – mal wieder – ein japanischer Architekt dem großen Ausstellungsraum des Aedes Architekturforums in Berlin seinen Stempel aufdrückt. Man sieht eine endlose Aneinanderreihung von Zeichnungen Sou Fujimotos, die von einigen seiner Mitarbeiter in tagelanger Fleißarbeit mithilfe von rund 800 Meter handelsüblichem dicken Draht zu einer Collage eines außergewöhnlichen architektonischen Werkes zusammengefügt wurde. Vor dem Auge des Besuchers erscheinen mal Blüten, mal Blätter, mal ein ganzer Wald, Treppenlandschaften, Gitterstrukturen und dazwischen immer wieder Personensilhouetten. Die Ausstellung bei Aedes ist gewissermaßen die Zugabe für den Preis „AW Architekt des Jahres 2023“, den die Zeitschrift AW Architektur & Wohnen in diesem Jahr erstmals seit der Premiere 2013 an einen japanischen Architekten verliehen hat.
Dass Sou Fujimoto – und nicht etwa Altmeister Tadao Ando oder das ebenfalls schon lange etablierte Büro SANAA – den Preis erhielt, kommt nicht von ungefähr. Der Zweiundfünfzigjährige erregte schon früh Aufsehen mit spektakulären Wohnbauten in Tokio und zuletzt auch mit dem an eine Baumkrone erinnernden Wohnturm „L’Arbre Blanc“ in Montpellier (2019, mit OXO Architects). Immer wieder stellt Fujimoto konventionelle Wohnformen in Frage und offeriert verspielt-verblüffende Alternativen: Ein Wohnhaus ohne Wände (House NA, Tokio, 2011) oder ein Mehrfamilienhaus, das aussieht, als hätte ein Taifun eine Reihe von Holzhäusern durcheinandergewirbelt und zufällig übereinandergestapelt (Tokyo Apartment, Tokio, 2009). Seine Architektur bewegt sich im Spannungsfeld zwischen der natürlichen und der gebauten Umwelt, von Ordnung und Unordnung sowie von Einfachheit und Komplexität.
Bei Aedes sind zwölf Bauten und Projekte zu sehen, die im ersten Ausstellungsraum (und im Katalog) in knapper Form dokumentiert werden. Darunter sind, neben den drei bereits erwähnten Wohnbauten und dem ebenso wohlbekannten temporären Serpentine Gallery Pavilion in London (2013), der mit seiner filigranen Stahlstruktur eher an eine Wolke im Garten als an ein Gebäude erinnerte, auch eine Reihe erst kürzlich vollendeter oder sich noch im Bau beziehungsweise in der Planung befindlicher Bauwerke. Das House of Hungarian Music in Budapest (2022) erinnert mit seiner nahezu runden Grundform und seinem flach geneigten und vielfach durch-löcherten Dach an einen Pilz im Wald. Auch das bereits 2015–2017 (gemeinsam mit OXO Archi-tects) entworfene Shared Teaching Building für die École Polytechnique in Paris, dessen Bau-beginn unmittelbar bevorsteht, verspricht ein neuartiges Raumerlebnis: Das grüne Zentrum für gleich sechs Schulen unter einem Dach ist alsinformeller Gemeinschaftsraum angelegt, in dem zahlreiche Treppen wie die Äste in einer Baumkrone unterschiedliche Ebenen erschließen.
„Thinking about architecture as nature and nature as architecture“ – in diesen Worten beschreibt Fujimoto seine eigenen Leitlinien. In den Berliner Galerieräumen kann man seiner Architektur sehr nahe kommen. Es wäre zu wünschen, dass der japanische Avantgardist in Deutschland bald einmal wieder nicht nur ausstellen, sondern auch bauen könnte, mehr als ein Jahrzehnt nach seinem bislang einzigen Werk hierzulande, der Garden Gallery im Skulpturenpark Köln (2011).
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