Bauwelt

Warum die Mischung von Wohnen und Gewerbe nicht vorankommt – und was man dagegen tun könnte

Andreas Feldtkeller, ehemaliger Leiter des Tübinger Stadtsanierungsamtes und einer der profiliertesten Vertreter der Nutzungsmischung, hat in den frühen neunziger Jahren mit der Konzeption des Franzö­sischen Viertels in Tübingen bewiesen, dass die gemischte und gleichzeitig erschwing­liche dichte Stadt keine Fata Morgana ist. Nachfolgeprojekte gibt es wenige, obwohl Feldtkellers Rezept bestechend einfach ist. Eine Stellungnahme zum Konzept der „produktiven Stadt“

Text: Feldtkeller, Andreas, Berlin

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    Im Französischen Viertel in Tübingen sind in einem Block mehr Nutzungen vertreten als anderswo im kompletten Neubaugebiet (Stand 2012).

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    Im Französischen Viertel in Tübingen sind in einem Block mehr Nutzungen vertreten als anderswo im kompletten Neubaugebiet (Stand 2012).

Warum die Mischung von Wohnen und Gewerbe nicht vorankommt – und was man dagegen tun könnte

Andreas Feldtkeller, ehemaliger Leiter des Tübinger Stadtsanierungsamtes und einer der profiliertesten Vertreter der Nutzungsmischung, hat in den frühen neunziger Jahren mit der Konzeption des Franzö­sischen Viertels in Tübingen bewiesen, dass die gemischte und gleichzeitig erschwing­liche dichte Stadt keine Fata Morgana ist. Nachfolgeprojekte gibt es wenige, obwohl Feldtkellers Rezept bestechend einfach ist. Eine Stellungnahme zum Konzept der „produktiven Stadt“

Text: Feldtkeller, Andreas, Berlin

Machen wir doch längst!?
Überall dort, wo in älteren, baulich interessanten Stadtvierteln in Deutschland vor zwanzig Jahren noch eine funktionierende Mischung aus Wohnen und verarbeitendem Gewerbe zu beobachten war, macht sich heute der Kommerz mit dem Tourismus und mit Wohnungen in gehobener Preisklasse breit. „Gentrifizierung? Ach was!“ „Nutzungsmischung? Machen wir doch längst!“ Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen aber: „Die Interventionen im Bereich der funktionalen Mischung fokussieren häufig auf den Bereich des Einzelhandels und zum Teil auf Gastronomie, weitere Nutzungsmischungen (z.B. Gewerbe, Kreativwirtschaft) treten seltener auf.“1
Fakt ist: Seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren stehen die Themen Nutzungsmischung und kurze Wege auf dem Merkzettel der Planer, aber inhaltlich konkrete Initiativen aus den Ministerien für Raumordnung und Verkehr gibt es in diesem Zusammenhang kaum. Forderungen wie die nach der Reduzierung des Landschaftsverbrauchs in der Bundesrepublik bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag oder die nach einer städtebaulichen Entwicklung, die „auf Vermeidung und Verringerung des Verkehrs“ ausgerichtet ist, wie sie das Baugesetzbuch formuliert (BauGB §1, Abs.6 Nr.9), reichen ganz offensichtlich nicht aus.
Fünf einfache Schritte
Immer noch drängt es die Bewohner mehr und mehr zurück in die Stadt. Mit dem Konzept einer kleinteiligen und vielfältigen Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Versorgung und Freizeit soll im Sinne eines „aufgewerteten Wohnens“ für eine Konsum- und Erlebnis-Gesellschaft die Wiederbelebung der Stadt als Integrationsmaschine erreicht werden.
Wie dies gelingen und zugleich mit vorhandenen Siedlungsflächen sparsam und effizient umgegangen werden kann, hat die vor mehr als 20 Jahren in Tübingen gestartete Konversion der ehemaligen Kasernen im Französischen Viertel aufgezeigt. Die Elemente der dafür nötigen Planung lassen sich kurz zusammenfassen:
1. Prozessorientierung Keine fertigen Mischungslösungen anstreben, sondern städtebauliche Konzepte entwickeln, in denen sich Zug um Zug von den an der Sache interessierten Akteuren konkrete Mischungen erfinden lassen.
2. Kleinteiligkeit und neue Typologien Rückgriff auf das alte Konzept der kleinparzellierten Blockrandbebauung mit einer möglichst durchgehenden Stapelung von „Geschäften“ in den Erdgeschossen und darüber angeordneten Wohnetagen, aber kombiniert mit besonderen, fürs „Urban Manufacturing“, für den Schreiner an der Ecke und die Reparaturwerkstatt geeigneten Bauformen (in der Tübinger Südstadt: größere Gebäude aus dem Bestand der früheren Garnison).
3. Anwendung des Rechtsform der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (BauGB §165ff.) Vergabe der nach einem Rahmenplan zugeschnittenen Parzellen zum festgelegten Verkehrswert (nicht Höchstpreis) an private „Baugruppen“ und Gewerbenutzer, die sich als Gegenleistung zur konkreten Mitwirkung bei der Herstellung der vielfältigen Funktionsmischung verpflichten.
4. Rehabilitierung der Straßen und Plätze im Quartier mit den angeschlossenen Gewerbenutzungen zu lebendigen, kommunikativen und inklusiven öffentlichen Räumen (Vorrang fürs Zu-Fuß-Gehen, perfekte
ÖPNV-Bedienung, konsequente Verkehrsberuhigung)
5. Entwicklung des Projekts in Abschnitten Nutzungsinteressenten kommen nicht auf einen Schlag, sondern Zug um Zug, wenn Ergebnisse sichtbar werden.
Mit diesen einfachen Strategien lassen sich Quartiere mit hoher Dichte (mindestens 200 Einwohner + Arbeitsplätze je Hektar Siedlungsfläche) und großer Attraktivität für die Bewohner umsetzen, die urban leben wollen und bereit sind, nicht nur die Anreize wahrzunehmen, sondern auch die Zumutungen des Städtischen zu akzeptieren. Meiner Schätzung nach könnten fünfzig Prozent der Bewohner, die heute in der Stadt wohnen wollen, an derart wirklich gemischten Quartieren interessiert sein, wenn sie denn auf dem Markt wären.
Schon 1993, im Bericht „Zukunft Stadt 2000“ von 1993, herausgegeben vom damaligen Städtebauministerium des Bundes, hieß es: Für Städte der kurzen Wege, der vielfältigen Mischung in polyzentrischen Regionen „sind neue Konzeptionen der Steuerung erforderlich“. Dafür, dass in der Praxis immer noch das Gegenteil umgesetzt wird und die Trennung von Wohnen und Arbeiten dominiert, ist die aus den 1960er Jahren stammende Baunutzungsverordnung verantwortlich. Die Vorschläge zur Ausweisung eines neuen Gebietstyps „Urbanes Gebiet“ könnten die Idee einer „produktiven Stadt“ voranbringen (siehe Kommentar von Jörn Walter) – vor allem wenn man berücksichtigt, dass der Stadtumbau sich nicht auf die sogenannten Innenstädte beschränken kann, sondern die Peripherien einbeziehen muss. Ob mit einer solchen Ergänzung der BauNVO allerdings auch die Probleme der Segregation und der Umstrukturierung der Mobilität gelöst werden, darf bezweifelt werden.
Noch steht die schwerste Etappe bevor, will man das nachhaltige Ziel, den Landschaftsverbrauch für Siedlungen und Verkehrsflächen zu reduzieren, bis 2020 erreichen. Und wie geht es nach 2020 weiter? Wir brauchen schon heute eine neue Zielformulierung und neue praktische Strategien, die den Umfang und die Ausgestaltung von Städten und Regionen der kurzen Wege qualitativ und quantitativ konkret abstecken!
1 Deutsches Institut für Urbanistik: „Nutzungsmischung und soziale Vielfalt im Stadtquartier“, Berlin 2015, S. 120

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