Bauwelt

Streetarted Architecture

Zeitgenössische „Post Graffiti Art“ ist längst im Galeriebetrieb und in der Konsumwerbung an­gekommen. Einige „Stars“ der Sprayer-Szene haben ihren Stil so weiterentwickelt, dass sie den Geschmack potenzieller Auftraggeberinnen wie Citymanager oder (Innen-) Architekten bedienen können.

Text: Schlusche, Kai, Lörrach

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    Eine Arbeit des deutschen Graffiti- und Streetart-Künstlers Hendrik Beikirch im südkoreanischen Busan. Sie ist Asiens höchstes Wandbild.
    Foto: Hendrik Beikirch

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    Eine Arbeit des deutschen Graffiti- und Streetart-Künstlers Hendrik Beikirch im südkoreanischen Busan. Sie ist Asiens höchstes Wandbild.

    Foto: Hendrik Beikirch

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    Mural von Hendrik Beikirchs, VERA, in Mannheim-Vogelstang, 2022
    Foto: Kai Schlusche

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    Mural von Hendrik Beikirchs, VERA, in Mannheim-Vogelstang, 2022

    Foto: Kai Schlusche

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    Auftragsgraffiti am Eingang des ehemaligen Karstadt-Gebäudes in Leipzig, 2021
    Foto: Kai Schlusche

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    Auftragsgraffiti am Eingang des ehemaligen Karstadt-Gebäudes in Leipzig, 2021

    Foto: Kai Schlusche

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    Werk der Künstler Aryz und Os Gêmeos bei der Scale Munich, 2017
    Foto: Kai Schlusche

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    Werk der Künstler Aryz und Os Gêmeos bei der Scale Munich, 2017

    Foto: Kai Schlusche

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    Zeichnung "House" von DARE, 2003
    Bild: DARE

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    Zeichnung "House" von DARE, 2003

    Bild: DARE

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    "Skyline I", Zeichnung ebenfalls von DARE, 2006
    Bild: DARE

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    "Skyline I", Zeichnung ebenfalls von DARE, 2006

    Bild: DARE

Streetarted Architecture

Zeitgenössische „Post Graffiti Art“ ist längst im Galeriebetrieb und in der Konsumwerbung an­gekommen. Einige „Stars“ der Sprayer-Szene haben ihren Stil so weiterentwickelt, dass sie den Geschmack potenzieller Auftraggeberinnen wie Citymanager oder (Innen-) Architekten bedienen können.

Text: Schlusche, Kai, Lörrach

Als vor Jahren das TV-bekannte Schlosshotel am Wörthersee den Eigentümer wechselte, staunten die Gäste nicht schlecht. Der neue Besitzer bot das ehemalige 200m²-Apartment vom Vorbesitzer Gunter Sachs zur Miete an – ab 4600 Euro pro Nacht. Und das nur, weil genau diese Zimmer mit den wandhohen Original-Werken zweier bekannter Graffiti-Künstler ausgestattet waren? Dienen die ursprünglich als Vandalismus verschmähten „Wandschmierereien“ inzwischen als beliebte Zierde in Lounges, Lofts und Living-rooms?
Wenngleich es keine klar abgrenzenden Definitionen für Graffiti und Streetart gibt, so sind doch zwei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze festzustellen: Erstens sind da die „Name-Writ­ing“ Graffiti, meist bestehend aus einigen großen, bunten und bestenfalls dreidimensional wirkenden Buchstaben, mit denen heranwachsende Sprayer ihre Stilsicherheit, technische Fertigkeiten oder ihren Mut bei gefährlichen Platzierungen zur Schau stellen können. Und zweitens lässt sich unter dem Begriff der „Streetart“ solche Fassaden-Kunst zusammenfassen, die weniger das Ego in den Mittelpunkt stellt, sondern gezielt Passanten mit Worten oder figurativen Elementen ansprechen will. Zu Hause vorgefertigte Schablonen, sogenannte Stencils, ermöglichen ein Sprayen mit schärferen Konturen und besserer Lesbarkeit auch auf kleiner Fläche. Die Botschaften können poetisch, humorvoll, fordernd, kritisierend sein – oder im Idealfall eine Mischung aus alledem. Während man Streetart eher an belebten Orten und in Stadtteilen findet, die unter Veränderungsdruck stehen (Stichwort: Gentrifizierung), häufen sich Writing-Graffiti oftmals in Industriebrachen oder anderen abgelegenen Arealen als mögliches Indiz für Trading-Down-Prozesse. Allerdings werden bei größeren, umbaubedingten Interims-Freiflächen inzwischen auch mal Auftragsarbeiten gezielt an Graffiti-Künstler vergeben, um unkontrollierten Vandalismus zu vermeiden.
Überhaupt scheint sich das Motto „Reclaim the City“, mit dem Sprayer seit etwa den 1980er Jahren angetreten sind, weithin sichtbar platzierte, kommerzielle Billboards eigenmächtig durch kreativ gestaltete Alternativen zu ersetzen, überlebt zu haben. Immer häufiger bedient sich nun die Werbung aus der Motivwelt von Graffiti und Streetart. Stand früher der Marlboro Mann für Freiheit und Unabhängigkeit, so sind die heutigen Werbepartner Sprayer mit besonders hoher „Street Credibility“. Künstler, die in der Lage sind, mit einem Mix ihrer Spray- und Maltechniken ganze Hausfassaden freihändig live zu gestalten, sind inzwischen gern eingeladene Gäste bei weltweit organisierten Kulturfestivals, wo dann mit Unterstützung von Hubsteigern großformatige XXL-Graffiti (Murals) entstehen. In Deutschland hat die Zahl innovativer Kommunen mit vergleichbaren Kunstevents und daran dauerhaft anknüpfenden Tourismusangeboten (z.B. Art-Walks) in der letzten Dekade stark zugenommen. Kaum eine Großstadt hierzulande mit kulturellem Anspruch, die nicht mit einem Graffiti-Guide oder einer Steetart-App aufwartet.
Auch Immobilienunternehmen greifen verstärkt auf Streeart als PR-Mittel zurück und stellen bereitwillig Hauswände ihrer Gebäude für Aktionen zur Verfügung. Die Patrizia Immobilien AG lud 2017 bei dem Streetart-Festival SCALE Munich bekannte Künstlerinnen ein, die mehrgeschossigen Stirnseiten der ehemaligen Siemens-Campusgebäude zu gestalten. Und selbst der viel kritisierte Konzern Deutsche Wohnen unterstützt seit 2018 bereits zum dritten Mal das Berlin Mural Fest mit Geld und Flächen. Während ein Teil der Szene derartige Entwicklungen als inakzeptablen Ausverkauf der „Streetart-Seele“ ablehnt, sind viele Mural-Künstler nicht unglücklich darüber, mit ihrem Schaffenswerk endlich auch als ernstzunehmender Dialog- und Geschäftspartner wahrgenommen zu werden: Sie können von ihrem Traum leben.
Der wohl erste Sprayer im deutschsprachigen Raum, der seine Anonymität ganz gezielt aufgab, Aufträge zur Gestaltung des öffentlichen Raumes annahm und parallel dazu die Miniaturisierung seines Pseudonyms („Tag“) auf weitaus kleinerer Leinwandfläche kontinuierlich vorantrieb, war die Basler Graffiti-Legende Sigi „DARE“ von Koeding. Bereits 1991 erschien ein ganz­seitiges Porträtfoto von ihm auf dem Titel einer Schweizer Familienzeitung mit der Unterzeile „Sprayer von Beruf“. Für die besonders auf ein sauberes Stadtbild achtenden Eidgenossen ist das auf die damalige Zeit rückblickend kaum zu glauben. Bis er mit nur 41 Jahren im März 2010 einem Gehirntumor erlag, schrieb, malte oder sprayte DARE nach eigener Einschätzung seinen Tag weit über 50.000 Mal auf den verschiedensten Untergründen. Neben den Betonböschungen entlang der Basler Bahngleise gehörten die eingangs erwähnten Wände des Schlosshotels im österreichischen Velden (gemeinsam mit seinem Kollegen Toast) ebenso dazu wie das Segel der Alinghi-Renn-Yacht (als Sieger des America’s Cups) oder das Ziffernblatt einer edlen Schweizer Armbanduhr in Kleinstserie mit begleitendem Live-Painting auf der Basler Schmuckmesse. Den absurden Traum wohl so manchen Graffiti-Writers, mit seinem Pseudonym einmal das ganze Stadtbild zu dominieren, erfüllte sich DARE mit zahlreichen Skizzen und Leinwänden. Die Entwurfszeichnung seines persönlichen „House of DARE“ aus dem Jahr 2003 wurde als Modell im Maßstab 1:50 realisiert.
Hendrik „ECB“ Beikirch gehört spätestens seit der rekordverdächtigen XXL-Fassade im südkoreanischen Busan zu den bekanntesten Künstlern seines Genres. Das über 70 Meter aufragende Porträt eines Fischers galt im Entstehungsjahr 2012 als höchstes Mural in ganz Asien. Im Dreiländereck unweit von Basel aufgewachsen, dauerte es nicht lange, bis der gebürtige Kassler auf DARE traf und beide Freunde danach gemeinsame Kunstausstellungen initiierten. Die großformatige und von Beikirch durchweg monochrom gehaltene Malerei zeigt überwiegend Porträts von älteren Menschen, denen ihre Lebensgeschichte faltenreich ins Gesicht geschrieben scheint und die meistens einen Bezug zu ihrer Umgebung und deren Historie haben. So steht das Bildnis vom koreanischen Fischer für die Veränderung Busans von einer traditionellen Hafenstadt hin zu einer modernen Millionen-Metro­pole. Das hierzulande wohl größte Wandporträt schuf ebenfalls Beikirch 2016 im Mannheimer Stadtteil Vogelstang, einer Großwohnsiedlung mit hohem Migrationsanteil. Das sich über 15 Geschosse erstreckende Gesicht der „Vera“ ist Teil der Serie „Siberia“, deren Motive sich an mehreren in ganz Europa verteilten Großfassaden wiederfinden. In Vogelstang entwickelte die dortige Bevölkerung einen gewissen Stolz über das plötzliche Interesse an ihrem Stadtteil, das auch von der aufwendigen Umsetzung des Murals mittels professioneller Industriekletterer herrührte.
Direkt vis-à-vis zum Beikirch-Portrait in Mannheim entsteht auf einem großräumigen ehema­ligen Kasernenareal der US-Streitkräfte gerade die „New Franklin City“. Zufall oder nicht: Der da­- für von MVRDV entworfene städtebauliche Masterplan sieht unter anderem vier markante Wohnhochhäuser in Form von bunten Großbuchstaben vor, die in Summe das vielsagende Wort H-O-M-E ergeben. Der Baubeginn des ersten Gebäudes in O-Form mit 15 Geschossen, 135 Wohneinheiten und einem Investitionsvolumen von 100 Millionen Euro steht unmittelbar bevor.
Das kritische Gesicht von Beikirchs „Vera“ wird also über die nächsten Jahre hinweg genau auf Augenhöhe mitverfolgen können, wie direkt gegenüber von ihr die Vision des verstorbenen DARE, irgendwann einmal die städtische Silhouette dominieren zu können, nun endlich doch noch Wirklichkeit wird – wenn auch mit vier ganz anderen Buchstaben.

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