Bauwelt

Über die Mauer kommunizieren

Die Villa-Massimo-Stipendiaten des Jahrgangs 2019/20 haben, pandemiebedingt, ein besonderes Jahr in Rom verbracht. In Neuhardenberg präsentieren sie die Ergebnisse.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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    Die Architekten vom Büro FAKT haben eine Plattform entwickelt, die auch für Veranstaltungen genutzt werden kann, ohne den Garten zu beschädigen.
    Foto: Villa Massimo/Sebastian Bolesch

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    Die Architekten vom Büro FAKT haben eine Plattform entwickelt, die auch für Veranstaltungen genutzt werden kann, ohne den Garten zu beschädigen.

    Foto: Villa Massimo/Sebastian Bolesch

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    Das Künstlerduo Famed hat für die Präsentation in Neuhardenberg ein neues Werk geschaffen: eine popkul­turell konnotierte „Fontana“.
    Foto: Patrick Pleul/Famed

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    Das Künstlerduo Famed hat für die Präsentation in Neuhardenberg ein neues Werk geschaffen: eine popkul­turell konnotierte „Fontana“.

    Foto: Patrick Pleul/Famed

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    Das „Haus für einen Boxer“ übersetzt Nervis Palazzetto dello Sport in High-Tech-Material und beschallt ihn mit einer Soundcollage in zwölf Runden.
    Foto: Villa Massimo/Sebastian Bolesch

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    Das „Haus für einen Boxer“ übersetzt Nervis Palazzetto dello Sport in High-Tech-Material und beschallt ihn mit einer Soundcollage in zwölf Runden.

    Foto: Villa Massimo/Sebastian Bolesch

Über die Mauer kommunizieren

Die Villa-Massimo-Stipendiaten des Jahrgangs 2019/20 haben, pandemiebedingt, ein besonderes Jahr in Rom verbracht. In Neuhardenberg präsentieren sie die Ergebnisse.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Ein Haupthaus, das den Park dominiert. Nebengebäude, in denen Kunst ausgestellt werden kann, aber auch Lesungen und Konzerte stattfinden. Außen wie innen Situationen, die zur künstlerischen Auseinandersetzung anregen. Eine Mauer, die das Areal abschottet. Diese Beschreibung trifft auf die Villa Massimo zu, die Deutsche Akademie Rom, sie passt aber auch auf Schloss Neuhardenberg. Das klassizistische Ensemble mit der berühmten Schinkel-Kirche liegt zwischen Berlin und Frankfurt an der Oder und ist in diesem Spätsommer der Ort, an dem die Rom-Preisträger des Jahrgangs 2019/20 ihre Arbeiten der Öffentlichkeit vorstellen – erstmals außerhalb Berlins, nachdem die Villa Massimo viele Jahre lang Anfang Februar in den Martin-Gropius-Bau eingeladen hatte und Anfang 2020, kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa, in die Berliner Kunstwerke. Und erstmals sind die Arbeiten nicht nur für einen Abend oder ein Wochenende zu entdecken, sondern einige Wochen lang, und zwar bis Ende Oktober.
Die Pandemie hat den jetzt ausstellenden Stipendiatenjahrgang in besonderer Weise getroffen, erzählt Villa-Massimo-Direktorin Julia Draganović. Der in Italien viel striktere Lockdown führte dazu, dass die Künstlerinnen und Künstler tatsächlich eingesperrt waren, das – zu ihrem Glück ziemlich weitläufige – Areal der Akademie nur für wenige Schritte, bis zu den Supermärkten am Viale XXI Aprile, verlassen konnten; einige steckten gar auf beruflichen Reisen fest. Die absurde Situation wurde den Künstlern aber noch deutlicher, als sie auf die hohen Wohnhäuser jenseits des Viale blickten, deren Bewohnerinnen und Bewohner mit weit weniger Auslauf den ersten Lockdown durchstehen mussten. Besondere Umstände, die besondere Formate und Arbeiten hervorbrachten, um über die Mauer mit der Stadt zu kommunizieren: etwa in Form einer wochenlangen Freiluftausstellung eines großformatigen Gemäldes von Tatjana Doll. Auch eine Gruppenarbeit wie das „Haus für einen Boxer“ des Architekten Sebastian Felix Ernst, der Dichterin Sabine Scho und der Komponistin Theresa Stroetges, das Nervis zur Olympiade 1960 errichteten Palazzetto dello Sport und die antike Bronzestatue eines Boxers zusammenführt, wäre unter den üblichen Bedingungen vielleicht nicht entstanden: So aber saßen die Stipendiaten zusammengesperrt in ihrem Park und hatten, da die Arbeit an geplanten Dingen ruhen musste, die Gelegenheit, etwas anderes zu entwickeln.
Auf Neuhardenberg wird all das lebendig: etwa die tatsächlich als Abgrenzung erlebte Mauer des Villa-Massimo-Parks in Sabine Schos Arbeit „alle vögel verschwinden“. An der Mauer des Schlossparks Neuhardenberg, vis-à-vis der Schinkel-Kirche, zeigt die Dichterin ein Wandbild, montiert aus Fotos von bröseligen Fresken mit Vo­gel­darstellungen, die sich im Gartensaal der Villa di Livia befinden, und Aufnahmen, die sie am Tag des Heiligen Antonius im Januar 2020 an der Piazza Vittorio Emanuele II gemacht hat, als die Römer zur Kirche Sant’Eusebio all’Esquilino strömten, um ihre Haustiere segnen zu lassen. Die für die Parkmauer in Rom entwickelte Arbeit passt perfekt nach Neuhardenberg, ziert die Kirche doch ein Sternenhimmel, wie Schinkel ihn 1815 für das Bühnenbild der Zauberflöte erdacht hat, in der wiederum der Vogelfänger Papageno eine tragende Rolle spielt.
Auch die in Berlin lebende, gebürtige Istanbuler Künstlerin Esra Ersen hat die Mauer der Villa Massimo genutzt, und zwar als Ausstellungsort von zehn Travertin-Tafeln mit literarischen Kurztexten zur türkisch-italienischen Geschichte; für den Schlosspark Neuhardenberg hat sie die Arbeit mit dem Titel „Le due Rome“ neu arrangiert. Die Arbeit, die sich auf ein Buch des byzantinischen Gelehrten Chrysoloras aus dem 14. Jahrhundert bezieht, thematisiert den gemeinsamen Kulturraum des Mittelmeers, der seit dem 19. Jahrhundert von nationalistischen Rivalitäten bedrängt worden ist – dass das Mittelmeer auch heute noch ein Weg ist, auf dem Menschen, Waren, Ideen, Talente reisen könnten, wenn man sie denn ließe, macht ihre Fotoserie „Diario“ im Ausstellungsflügel bewusst: Afrikanische Immigrantinnen und Immigranten mit mutmaßlich unsicherem Aufenthaltsstatus fegen in Roms Straßen Müll zu feinsinnig arrangierten Kunstwerken zusammen; ein Schälchen daneben macht es den Vorübergehenden möglich, diese Verschönerung des Alltags zu honorieren.
Nervis Palazzetto hingegen findet sich nicht nur als kleines Modell im Ausstellungsflügel, sondern auch noch in größerem Maßstab direkt vor Schinkels Schlossbau platziert: Die Stipendiaten haben das schlanke Tragwerk Nervis mit seinem ans Pantheon erinnernden Himmelsauge in Fiberglas mit wenigen Verbindungen aus Epo­xidharz realisiert, und so, in heutiges High-Tech-Material übersetzt, erinnert das Liniengeflecht des Stabwerks wiederum an eine Vogelvoliere.
Auch der Arbeit der Berliner Architekten Sebastian Kern, Martin Tessarz und Jonas Tratz vom Büro FAKT konnte die Übertragung von Rom nach Neuhardenberg nichts anhaben. Der von ihnen für den Garten der Villa Almone, Re­sidenz des Deutschen Botschafters in Rom, als Aufführungsort entworfene Terrassenrost soll die Versiegelung des Bodens minimieren und den Pflanzen Raum zum Wachsen lassen – hier im preußischen Arkadien hat die Flora diese Gelegenheit schon sichtbar zu nutzen gewusst.
Eigens für die neue Umgebung hingegen entstand die „Fontana“ des Künstlerduos Famed: Denn so schön der Park von Neuhardenberg auch immer sein mag, es fehlt ihm unerklärlicherweise eine Brunnenanlage. Famed verräumlichten das McDonals-Logo zur leuchtend gelb über dem Schlossteich sprudelnden Fontäne, als massen- und popkulturelles Gegenbild zur Hochkultur, für die Schloss Hardenberg in der His­torie, die Villa Massimo auch heute noch steht – Anlass für einen Ausflug ins Brandenburgische, zu den Werken eines trotz oder vielleicht gerade wegen des Corona-Lockdowns starken Stipendiatenjahrgangs 2019/20.

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