Zurück in die (ungewisse) Zukunft
Als „Stadt der Zukunft“ sahen Planer vor 50 Jahren die Großsiedlung Steilshoop im Norden von Hamburg. Es kam anders. Die Siedlung wurde zum sozialen Brennpunkt und blieb abgehängt. Nun versprechen gleich zwei Projekte einen Neustart – blockieren sich aber womöglich gegenseitig.
Text: Müller, Rainer, Hamburg
Zurück in die (ungewisse) Zukunft
Als „Stadt der Zukunft“ sahen Planer vor 50 Jahren die Großsiedlung Steilshoop im Norden von Hamburg. Es kam anders. Die Siedlung wurde zum sozialen Brennpunkt und blieb abgehängt. Nun versprechen gleich zwei Projekte einen Neustart – blockieren sich aber womöglich gegenseitig.
Text: Müller, Rainer, Hamburg
Steilshoop ist ein Kind seiner Zeit, eine jener typischen Großwohnsiedlungen wie sie in den 1960er bis 70er-Jahre überall am Rand deutscher Metropolen hochgezogen wurden. Rund 20.000 Menschen wohnen hier in bis zu zwölfgeschossigen Mehrfamilienhäusern, die in Plattenbauweise errichtet und zu ringförmigen Blöcken mit grünen Innenhöfen angeordnet wurden. Den Mittelpunkt der Siedlung bildet ein Nahversorgungszentrum, das sich vom Siedlungskonzept der „Wohnringe“ deutlich unterscheidet und neben einem Einkaufszentrum auch aus zwei Zeilenbauten mit Wohnungen besteht. Das Zentrum hat in all den Jahren mehrfach seinen Besitzer gewechselt und wies zuletzt einen hohen Leerstand und Grad der Verwahrlosung auf. In der Lokalpresse war vom „Ekel-EKZ“ die Rede. 2022 kaufte die WHM Central Park am Bramfelder See GmbH das Zentrum inklusive der beiden Wohnzeilen und kündigte an, 160 Millionen Euro in die Sanierung zu investieren. In Abstimmung mit dem Bezirk Wandsbek und der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen lobte der neue Eigentümer im Oktober 2023 einen hochbaulich-freiraumplanerischen Realisierungswettbewerb aus, der zum Ziel hatte, „überzeugende Planungskonzepte für die Revitalisierung und Entwicklung des Nahversorgungszentrums Steilshoop“ zu finden. Ausdrücklich möglich sein sollte sowohl teilweiser Erhalt als auch kompletter Abriss und Neubau. Zu überplanen war neben Baufeld 1 mit dem EKZ und den beiden Wohnzeilen nördlich der Haupterschließungsstraße auch das südlich gelegene kleinere Baufeld 2 mit einem freistehenden Zwölfgeschosser und zwei kleineren Gewerbebauten.
Das Ergebnis des Wettbewerbs wurde im Juni verkündet. Aus städtebaulicher Sicht verwenden der 2. und der 3. Preisträger die Zeilenbebauung als prägende Typologie, während der 1. Preisträger eine Blockstruktur mit begrünten Innenhöfen ausbildet. Alle Wettbewerbsbeiträge sehen öffentliche Stadträume vor. EMI entschied sich in seinem siegreichen Vorschlag gegen das bestehende Konzept eines nach innen orientierten Einkaufszentrums. Stattdessen ist ein blockartiges Stadthaus vorgesehen, das Einzelhandel, Gastronomie, Gesundheits- und Sportangebote, eine Kita, einen Veranstaltungssaal und gut 350 Wohnungen beherbergt. Das Erdgeschoss wird durch einen Arkadengang umlaufen und öffnet sich mit Einzelhandel und Gastronomie nach außen. Dabei soll ein Teil des alten Sockelbereichs gemeinsam mit den zwei Wohnzeilen erhalten, umgebaut und in das neu entstehende Ensemble integriert werden. Durch die Kombination der zwei Bestandsbauten mit den L-förmigen Neubauten entstehen auf der Sockelzone zwei grüne Innenhöfe, die als Rückzugsraum für die Bewohner gedacht sind. Mit der Schaffung zweier neuer Plätze erfolgt außerdem eine großzügige Gestaltung der öffentlichen Räume. Der Siegerentwurf verspricht daher einen positiven Impuls für das Zentrum und den gesamten Stadtteil.
Für das Baufeld 2 hingegen empfiehlt das Preisgericht, einige Ideen aus dem Entwurf des zweitplatzierten Büros Urban Agency aus Dänemark umzusetzen. Dieser Vorschlag sieht für Baufeld 1 nicht nur vor, die beiden Wohnzeilen zu erhalten, sondern auch einen Teil der Mall und das Baufeld mit vier kleinteiligeren Neubauten zu ergänzen. Auffallend sind die dazwischenliegende Gasse in Nord-Süd-Richtung und eine Fülle an öffentlichen Räumen. Die Jury zweifelte allerdings wohl zu Recht daran, dass die vielen Flächen belebt werden könnten.
Gut gelöst hingegen erscheint das Baufeld 2 – sowohl funktional als auch in Bezug auf die vorgeschlagene Nutzung. Urban Agency schlägt hier vor, die beiden zweigeschossigen Anbauten des Zwölfgeschossers abzureißen und durch zwei Punkthochhäuser zu ersetzen. In dem Komplex sind Seniorenwohnungen und Pflegeeinrichtungen vorgesehen.
Nicht weiter berücksichtigt wird der 3. Preisträger des Wettbewerbs, das Hamburger Büro APB Architekten. Auch dieser Entwurf sieht vor, die beiden Wohnzeilen im Norden und den Zwölfgeschosser im Süden zu erhalten und um Neubauten zu ergänzen. Charakteristisch für den Entwurf sind die Rundbögen der hölzernen Dachaufbauten für die Bestandsgebäude und die teilweise vorspringenden Geschosse einiger Neubauten. Das Preisgericht lobte und kritisierte gleichzeitig diese Abwechslung: „Der bunte Mix verschiedener Architekturen vermeidet Monotonie, lässt aber eine entschiedene Haltung vermissen.“
Im Oktober will der Bezirk Wandsbek beginnen, einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan aufzustellen, der die Umsetzung beider Entwürfe ermöglicht. Eine Herausforderung wird es sein, mit dem Teilabriss und Neubau zu beginnen, während ab nächstem Jahr direkt vor dem EKZ eine 200 Meter große offene Baugrube für den Neubau einer U-Bahn klafft. Mit 50 Jahren Verspätung soll nun der schon für 1980 angekündigte U-Bahn-Anschluss Realität werden. Erste bauvorbereitende Maßnahmen direkt vor dem Einkaufszentrum haben gerade begonnen; bis 2033 soll die U5 auf einem ersten Teilabschnitt fahren.
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Eingeladener kooperativer hochbaulich-freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb
1. Preis (60.000 Euro) EMI Architekt*innen Edelaar Mosayebi Inderbitzin und Habitat Landschaftsarchitektur, beide Zürich; Brandschutz: Gruner Deutschland, Berlin
2. Preis (38.000 Euro) Urban Agency, Kopenhagen; Statik: WP Ingenieure, Hamburg; Brandschutz: Görtzen Stolbrink & Partner, Berlin
3. Preis (30.000 Euro) APB. Architekten und Stadtplaner, Hamburg, und Rehwaldt Landschaftsarchitekten, Dresden
Anerkennung (23.000 Euro) ROBERTNEUN Architekten; Statik: Schöne neue Welt Ingenieure; Zirkuläres Bauen: Concular; Brandschutz: Gruner Deutschland, alle Berlin
Ausloberin
WHM Central Park am Bramfelder See in Abstimmung mit Bezirksamt Wandsbek, Fachamt Stadt- und Landschaftsplanung und Freie Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen
Fachpreisgericht
Henrik Becker, Julian Hillenkamp, Franz-Josef Höing, Felix Holzapfel-Herziger, Michael Kaschke, Katharina Löser (Vorsitz), Sven Menke, Max Nalleweg Koordination büro luchterhandt & partner – Luchterhand Senger Stadtplaner, Hamburg
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