Zwischen Zeitgeist und Notwendigkeit
Auf den ersten Blick mag der Wettbewerb „Gestaltung Ortsmitte und Neubau Stadtladen mit Parkscheune“ wenig progressiv klingen. Bei näherer Betrachtung, insbesondere im ländlichen Kontext der Stadt Rieneck, entfaltet er jedoch gewisse Qualitäten.
Text: Schäfer, Theresa, Frankfurt am Main
Zwischen Zeitgeist und Notwendigkeit
Auf den ersten Blick mag der Wettbewerb „Gestaltung Ortsmitte und Neubau Stadtladen mit Parkscheune“ wenig progressiv klingen. Bei näherer Betrachtung, insbesondere im ländlichen Kontext der Stadt Rieneck, entfaltet er jedoch gewisse Qualitäten.
Text: Schäfer, Theresa, Frankfurt am Main
Ist der Einzelhandel noch eine wichtige kommunale Bauaufgabe? Ist ein reiner Neubauwettbewerb in einer Innenstadt noch zeitgemäß? Braucht es neu gebauten Raum für Parkplätze? Die Antworten hängen nicht nur davon ab, wem man diese Fragen stellt, sondern auch, in welchem Kontext, insbesondere an welchem Ort.
Die Stadt Rieneck liegt im Main-Spessart-Kreis und ist Heimat von knapp 2000 Menschen. Die nächsten Oberzentren Würzburg und Bad Kissingen sind 50 Kilometer entfernt. Mit Halt in Rieneck verkehren im Stundentakt ein Bus zwischen Obersinn und Gemünden und eine Regionalbahn zwischen Schlüchtern und Gemünden, manchmal sogar bis nach Würzburg und Bamberg; der Verkehr kann schnell zum Reizthema der Kommune werden. Zu den prägenden Gebäuden der Stadt zählen die Burg Rieneck, das historische Rathaus, die St. Johannes Kirche so-wie diverse Fachwerkhäuser. Neuere Planungen haben sich durch den Abriss von Gebäuden für eine autogerechte Stadt in den 1960er Jahren in das Stadtbild eingeschrieben, so zum Beispiel eine große Parkfläche am Fliesenbach an der südöstlichen Ecke der Altstadt.
Der Wettbewerb „Gestaltung Ortsmitte und Neubau Stadtladen mit Parkscheune“ sieht die Umgestaltung dieser Parkfläche zu einem öffentlichen, multicodierten Platz mit einer Fläche von 500 bis 600 Quadratmeter vor. Es soll einen Zugang zum Wasser geben. Das zu entwickelnde Konzept für den Oberflächenbelag wird Vorlage für die übrige Altstadt sein. Die Planung von Fahrradstellplätzen sowie einer Bushaltestelle beabsichtigt, neben dem Auto andere Verkehrsmittel zu stärken. Der Ladenneubau für den Mieter „RienEck. Unser Laden“, ein Bürgerprojekt, soll den Platz fassen. Es stellt seit einigen Jahren die Nahversorgung Rienecks sicher und hat am bisherigen Standort, dem ehemaligen Kaufhaus Welzenbach, logistische Probleme. Als Ergänzung soll ein Café mit Außengastronomie einen lebendigen Treffpunkt schaffen. Auf einem weiteren Grundstück auf der anderen Seite von Bach und Straße, in der Vorstadt, ist der Bau eines Parkhauses vorgesehen, das den ruhenden Verkehr bündelt und unauffällig in das Umfeld integriert. Unter dem Namen „Parkscheune“ sind 28 Stellplätze, darunter acht für E-Autos sowie Fahrradabstellplätze zu planen. Gleichzeitig sollen temporäre Nutzungen für Veranstaltungen respektive Nachnutzungen mitgedacht werden. Die drei Maßnahmen sind an die Gestaltungssatzung der Stadt gebunden. Ins-gesamt zielt der Wettbewerb darauf ab, die Attraktivität des öffentlichen Raums zu steigern und damit private Investitionen in leerstehende und sanierungsbedürftige Gebäude anzustoßen.
Die Grundlage für die Auslobung bildete das „Integrierte Nachhaltige Städtebauliche Entwicklungskonzept“ der Stadt Rieneck. Die Fertigstellung der Ortsumgehung im Herbst 2019 entlastete die denkmalgeschützte Altstadt und machte den Raum frei für neue Planungen. Nach seiner Wahl zum neuen Ersten Bürgermeister im Jahr 2020 machte Sven Nickel, der neben dem ehrenamtlichen Bürgermeisteramt auch noch das Amt des ehrenamtlichen Geschäftsführers des Bürgerprojekts inne hat, den Ladenneubau verbunden mit einem neuen Stadtzentrum zur „Chefsache“. Es folgten Stadtrundgänge, Schülerführungen und ePartizipation, moderiert von Haines-Leger Architekten + Stadtplaner, die auch das Wettbewerbsverfahren koordinierten. Finanziert werden sollen die Baumaßnahmen zu 80 Prozent vom bayrischen Städtebauförderprogramm, verwaltet durch den Regierungsbezirk Unterfranken. Der nicht-offene Wettbewerb war ausgeschrieben für eine Arbeitsgemeinschaft aus Architektinnen und Landschafts- architekten mit einem vorgeschalteten, offe-nen Bewerbungsverfahren. So finden sich neben regional ansässigen und überregionalen auch jüngere Büros unter den Teilnehmenden.
Trotz der strikten Auslobungsvorgaben, von Beschreibung der einzelnen Räumen bis zu detaillierten Auflistungen zu Plangrafikinhalten, oder vielleicht gerade ihretwegen, wirkt die Jury von den Ergebnissen allerdings nicht durchgehend überzeugt. Beim Entwurf von Plantrafik zusammen mit Sophia Hartwig Landschaftsarchitektur, beide aus Stuttgart, lobt sie sowohl die Setzung der Baukörper und die daraus resultierenden definierten Stadträume, den wohlproportionierten, nutzungsoffenen Marktplatz, als auch die robuste, flexible Grundstruktur des Ladenneubaus und die Nutzungsszenarien der Parkscheune. Die gestalterischen Qualitäten fallen dagegen laut Jury zurück, seien aber zu retten. Gemeint sind, die gefaltete Dachlandschaft und die durchgängige Schieferfassade des Ladenneubaus sowie der rosarot gefärbte Beton im Sockelbereich der Parkscheune. Für die großen, versiegelten Freiflächen rät das Preisgericht zur Anwendung der Schwammstadtprinzipien. Der Entwurf gewinnt den ersten Preis. Den zweiten Preis erlangen Schlicht Lamprecht Kern Architekten, aus Schweinfurt, und Studio Rauch, zusammen mit NNM Landschaftsarchitektur, beide aus München. Ihr Entwurf überzeugt mit einer gelungenen städtebaulichen Eingliederung des Ladengebäudes in den Ort. Kritisch sieht die Jury die beliebige Fassadengestaltung, die Stützen im Ladeninneren, das Pflaster für den Stadtplatz und den Entwurf der Parkscheune, insbesondere ihren tiefen Eingriff in das Gelände sowie ihre geringe Nutzungsflexibilität. Den dritten Platz belegten Holl Wieden Partnerschaft und Claus Arnold, beide aus Würzburg, zusammen mit Joma Landschaftsarchitektur, aus Bamberg, deren Neuinterpretation des Fachwerkbaus keinen großen Anklang bei der Jury findet.
Mit Blick auf den örtlichen Kontext stellt sich die Frage, welche Alternativen Kommunen haben, wenn sie auf die großen infrastrukturellen Fragen wenig Einfluss haben, aber dennoch ihren Bedarf an urbanen Strukturen und ihr Bedürfnis nach einer lebenswerten Umwelt orga-nisieren und realisieren möchten.
Nicht-offener Realisierungswettbewerb mit anschließendem Vergabeverfahren nach VgV
1. Preis (11.500 Euro) PLANTRAFIK Magnago & Vüllers Architekten mit Sophia Hartwig Landschaftsarchitektur, beide Stuttgart
2. Preis (9250 Euro) Schlicht Lamprecht Kern Architekten BDA, Schweinfurt und studioRAUCH mit NMM (Nicole M. Meier) LandschaftsArchitektur, beide München
3. Preis (6250 Euro) Holl Wieden Partnerschaft Stadtplaner und Architekten und Claus Arnold, beide Würzburg mit JOMA Landschaftsarchitektur, Bamberg
2. Preis (9250 Euro) Schlicht Lamprecht Kern Architekten BDA, Schweinfurt und studioRAUCH mit NMM (Nicole M. Meier) LandschaftsArchitektur, beide München
3. Preis (6250 Euro) Holl Wieden Partnerschaft Stadtplaner und Architekten und Claus Arnold, beide Würzburg mit JOMA Landschaftsarchitektur, Bamberg
Ausloberin
Stadt Rieneck
Stadt Rieneck
Jury
Christian Baumgart (Vorsitz), Christiam de Buhr, Johannes Hemmelmann, Nicole Hörnis, Silvester Krutsch, Harald Neu, Christina Neuf, Hubert Nickel, Sven Nickel, Bü Prechter, Stephanie Sauer
Christian Baumgart (Vorsitz), Christiam de Buhr, Johannes Hemmelmann, Nicole Hörnis, Silvester Krutsch, Harald Neu, Christina Neuf, Hubert Nickel, Sven Nickel, Bü Prechter, Stephanie Sauer
Verfahrensbetreuung
HAINES-LEGER Architekten + Stadtplaner BDA, Würzburg
HAINES-LEGER Architekten + Stadtplaner BDA, Würzburg
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