Im Jahr 1926 schrieb Victor Morre eine Postkarte an seine Familie. Der belgische Soldat bat während
seines Wehrdienstes in Brüssel: „Wenn ihr noch kein Hemd geschickt habt, dann tut das schnell!“ Das Hemd bekam er, bis er 2003 mit 97 Jahren starb, nicht. Weitere sechs Jahre später stellte die Post die Karte überraschend doch noch an seine Tochter zu – seitdem Morre sie geschrieben hatte, waren 83 Jahre vergangen. Vermutlich war sie im Postamt hinter einen Schrank gerutscht und lange nicht gefunden worden.

Eine Postkarte kann verlorengehen, vielleicht wird der Briefkasten im französischen Dorf an der Atlantikküste nicht mehr geleert (aber da stand doch: „Du Lundi au Vendredi 9:00“!), sie kann durch Regen unlesbar werden oder zerknicken. Ihre Bebilderung reicht von historisch wertvollem Zeugnis bis Kitsch-Fotografie, von Stadtansicht bis Naturaufnahme. Sie hängt an Kühlschränken oder Pinnwänden. Sie transportiert und ist dabei selbst gereist. Sie erzählt etwas, über die geschriebenen Grüße hinaus, dokumentiert Entwicklung oder Nicht-Entwicklung eines Orts.

Wir baten 22 unserer Autorinnen und Autoren um Postkartengrüße aus ihrer Heimat, um das analoge Medium gemeinsam zu feiern. Ob jede der Karten wirklich ankommen würde, war bis zum Ende ungewiss (und es gab Verluste) – manchmal kann es eben 83 Jahre dauern.

„Bitte senden Sie uns eine Postkarte aus Ihrer Heimatstadt oder Wohnstadt mit einem Gruß an die Bauwelt – ein Wunsch, eine Frage, ein brennendes Anliegen, das Sie aus dem vergangenen Jahr oder für das neue mit uns und den Lesern und Leserinnen teilen möchten. Zudem würden wir uns über einen Text von 2000–3000 Zeichen freuen, für den Sie sich für einen Tag als Reisende durch Ihre Stadt bewegen. Der Text darf gern ein bisschen poetisch sein oder sehr faktisch. Das Heft soll eine abwechslungsreiche Ansammlung von Stadtansichten bieten. Vielleicht leben Sie, bzw. kommen Sie auch aus einer ländlichen Gegend – Postkarten mit Scheunen, Wanderhütten oder Bootsanlegestellen sind uns ebenso willkommen. Allerdings sollte ein Architekturbezug bitte gegeben sein. Wir freuen uns auf Post und verbleiben mit besten Grüßen, cordiali saluti und all the best!“