Abgefahren
Für die Flinders Street Station in Melbourne gibt es große Pläne
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Abgefahren
Für die Flinders Street Station in Melbourne gibt es große Pläne
Text: Crone, Benedikt, Berlin
In der City von Melbourne blüht das Geschäft, doch mittendrin verkümmert der verkehrsstärkste Bahnhof der Stadt. Für neuen Glanz, Gloria und vor allem Geld soll nun ein internationaler Wettbewerb sorgen.
Die Welt steht Kopf – am anderen Ende der Welt. Aus Melbourne, der mit 4 Millionen Einwohnern zweitgrößten Stadt Australiens, erreichen skurrile Bilder die Öffentlichkeit. Mitten in der City legt sich mal eine durchlöcherte Riesenserviette, mal ein gezwirbelter Weißwal und mal eine hügelige Märchenlandschaft auf die unter den knochigen Dachkonstruktionen schutzlos ausgelieferten Gleise der Flinders Street Station, des verkehrsstärksten Bahnhofs der Stadt. Was ist geschehen?
Die Regierung des Bundesstaates Victoria beschloss 2011, an dem großen Durchlaufbahnhof ihrer Hauptstadt müsse dringend Hand angelegt werden. Über 100.000 Menschen hasten hier täglich von der Straße zum Zug oder von der Bahn zum Bus. In der Rush Hour drängen sich Pendler, Touristen und Angestellte der umliegenden Bürotürme auf die bis zu 700 Meter langen, aber nur im Ostteil überdachten Bahnsteige. Zwar konnte sich das 1910 errichtete Empfangsgebäude mit Kuppel und Verwaltungsflügel das Ansehen einer lokalen Bauikone sichern. Doch viele Räume in den oberen Geschossen, die ursprünglich als Büros, Bücherei und Gymnastikraum für das Institut der örtlichen Bahngesellschaft gedacht und mit Leben gefüllt waren, stehen heute leer. „Zurück zur einstigen Pracht“, lautete daher die Aufgabe für einen im Herbst 2011 ausgelobten offenen Wettbewerb. Weltweit wurden Ideen gesammelt, wie nicht nur der Bestand vor dem Verfall gerettet, sondern vor allem ein neues architektonisches Highlight ins Geschäftszentrum der Stadt gezaubert werden kann. Die deutlichste Nachricht des nach Aufmerksamkeit schreienden Projekts aber ist: Melbourne will mitspielen in der Weltliga der Großstädte – und mit einem medial inszenierten Wettbewerb zahlungsfreudige Investoren ins Land locken. Verdaut ist die Finanzkrise der Stadt in den frühen 1990ern samt der darauf folgenden Rezession. Vergessen ist die deprimierende Rolle des nach Sydney ewigen Zweiten. Stattdessen greifen in der City neue Türme nach den Sternen, wie der Eureka Tower (Fender Katsalidis Architects), passend benannt nach einem Aufstand von Goldsuchern gegen die Staatsmacht 1854. Langsam wandelt sich die Innenstadt, auch dank der Eingriffe des dänischen Stadtplaners Jan Gehl, von der auto- zur fußgängerfreundlichen Zone. Zuletzt wählte die Zeitschrift „The Economist“ Melbourne zur lebenswertesten Stadt der Welt.
In dem pulsierenden Geschäfts- und Einkaufszentrum soll nun die neue Flinders Street Station sicherstellen, dass Verkehrs- und Geldströme hier reibungsloser fließen als jemals zuvor. Eine Jury unter Vorsitz von Lokalarchitekt Geoffrey London pickte im Oktober 2012 aus insgesamt 118 eingereichten Entwürfen sechs Favoriten heraus und präsentierte ihre Wahl mit Nennung der Büros im Internet. Die Vorauswahl, die dazu dienen sollte, dass die sechs Teams ihre Pläne in Absprache mit der Politik überarbeiten konnten, geriet rasch in Kritik: Ein Juryprotokoll,
das die Entscheidung der Preisrichter hätte nach-vollziehbar machen können, wurde nie veröffentlicht.
In den Reihen der übrigen 112 Teilnehmer machte sich Frust breit, Gerüchte wurden lauter. Der Melbourner Architekt Warwick Mihaly beklagte auf seinem Blog, laut einem ihm bekannten Preisrichter hätte die Jury 80 Prozent der Entwürfe trotz ihrer Anonymität Büros zuordnen können. Er glaubt: „Die Jury wird, wenn sie einen Entwurf von Zaha Hadid auf dem Silbertablett serviert bekommt, keine andere Wahl gehabt haben, als ihn in die engere Auswahl zu nehmen.“
das die Entscheidung der Preisrichter hätte nach-vollziehbar machen können, wurde nie veröffentlicht.
In den Reihen der übrigen 112 Teilnehmer machte sich Frust breit, Gerüchte wurden lauter. Der Melbourner Architekt Warwick Mihaly beklagte auf seinem Blog, laut einem ihm bekannten Preisrichter hätte die Jury 80 Prozent der Entwürfe trotz ihrer Anonymität Büros zuordnen können. Er glaubt: „Die Jury wird, wenn sie einen Entwurf von Zaha Hadid auf dem Silbertablett serviert bekommt, keine andere Wahl gehabt haben, als ihn in die engere Auswahl zu nehmen.“
Die zweite Kritik galt dem Publikumspreis. Online konnten Nutzer aus aller Welt von Juli bis August dieses Jahres Punkte auf die sechs Favoriten verteilen. Da die insgesamt 19.000 Stimmen, die zu 72 Prozent von unter 40-Jährigen stammten, bis zum 5. August abgegeben wurden, die finale Jurysitzung allerdings bereits im July stattfand, wurde das Verfahren zur Pseudopartizipation – und es kam, wie es kommen musste: Der Publikumssieger stimmte nicht mit der Empfehlung der Juroren überein. Der 1. Preis der Jury ging an den Entwurf von HASSEL + Herzog & de Meuron; die Online-Welt klickte dagegen den Vorschlag von drei Melbourner Studenten zum Liebling der Herzen. Das Ergebnis überrascht kaum. Schließlich konnten die Studenten nicht nur mit viel Grün, sondern sicherlich auch mit einem David-gegen-Goliath-Bonus punkten. Wenig Lob gab es im Netz dagegen für den Achterbahn-Bau von Zaha Hadid und BVN Architecture, der die Gleisstruktur im Osten aufnimmt und sich im Westen in die Senkrechte dreht. Auch die Architekten von Grimshaw, die 2007 bereits die Southern Cross Station für Melbourne entworfen hatten, schafften es zusammen mit den australischen John Wardle Architects unter die Favoriten. Ihr Vorschlag: eine zerstückelte Bebauung des Gleisareals, um das Gelände in alle Richtungen mit seinem Umfeld zu verbinden.
Im Vergleich zu den Vorschlägen der anderen Teilnehmer wirkt der Entwurf von HASSEL + Herzog & de Meuron geradezu angenehm bescheiden. Die Architekten wollen das gesamte Schienengelände mit mehreren Tonnengewölben überdachen, die sich wiederum aus miteinander verwobene Bögen zusammensetzen. In der Mitte der Bahnhofshalle klafft eine kreisrunde Öffnung. Hier führt ein Amphitheater hinab zu einer schwimmenden Bühne auf dem Yarra River. Das Bahnsteigsgelände würde von allen Seiten zugänglich sein, mit dem Haupteingang an der geöffneten Ostseite, gegenüber des 2002 errichteten Kulturzentrums Federation Square.
Wie verhindert werden kann, dass solche Pläne nun nicht wie so oft in Schubladen verstauben oder auf Festplatten versauern, bleibt die größte Frage. Eine Million australische Dollar (circa 680.000 Euro) ließ sich der Bundesstaat das Verfahren kosten. Für die Umsetzung fehlt in den öffentlichen Kassen jedoch das Geld. Alle Versuche im letzten Jahrhundert, die Flinders Street Station großflächig zu überplanen, sind gescheitert. Diesmal war der Wettbewerb von einem lauten Trommelwirbel begleitet. Gespannt warten die Auslober auf das Echo.
vollständiges Ergebnis:
Offener, zweistufiger Wettbewerb
1. Preis HASSEL + Herzog & de Meuron, Melbourne und Basel | Engere Wahl/Publikumspreis Eduardo Velasquez + Manuel Pineda + Santiago Medina, Melbourne | Engere Wahl Zaha Hadid Architects + BVN Architecture, London und Melbourne | ARM – Ashton Raggatt McDougall, Melbourne | NH Architecture, Melbourne | John Wardle Architects + Grimshaw, Melbourne
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