Bauwelt

Aus der Not eine Tugend

Gebaute Formen von Protest und Widerstand im DAM in Frankfurt am Main

Text: Costadura, Leonardo, Frankfurt am Main

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    Republik Freies Wendland, Gorleben, 1980
    Foto: Hans-Hermann Müller, 31. Mai 1980, Wendland-Archiv

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    Republik Freies Wendland, Gorleben, 1980

    Foto: Hans-Hermann Müller, 31. Mai 1980, Wendland-Archiv

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    Resurrection City, Washington, DC, 1968
    Der Architekt John Wiebenson mit einer Gruppe Helfender beim Probeaufbau von einem der 650 A-Frame-Häuser
    Foto: Thomas O’Halloran, 1968

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    Resurrection City, Washington, DC, 1968
    Der Architekt John Wiebenson mit einer Gruppe Helfender beim Probeaufbau von einem der 650 A-Frame-Häuser

    Foto: Thomas O’Halloran, 1968

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    Die Ausstellung beginnt mit einer originalen Hängebrücke sowie Modellen der Baumhäuser aus dem Protestcamp im Hambacher Forst.
    Foto: Moritz Bernoully

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    Die Ausstellung beginnt mit einer originalen Hängebrücke sowie Modellen der Baumhäuser aus dem Protestcamp im Hambacher Forst.

    Foto: Moritz Bernoully

Aus der Not eine Tugend

Gebaute Formen von Protest und Widerstand im DAM in Frankfurt am Main

Text: Costadura, Leonardo, Frankfurt am Main

Rebellion ist ein Aufbegehren gegen die Obrigkeit, immer ein Kampf Davids gegen Goliath. Und David, erzählt die Bibel, ist ein Kind, und er gebraucht ein kindliches Mittel, um Goliath zu besiegen. Auch die Baumhäuser in Lützerath und im Hambacher Forst sind, so möchte man meinen, kindlich – die Ausstellung „Protest/Architektur“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (DAM) zeichnet von diesen Strukturen jedochein ganz anderes Bild. Denn Besetzungen und Proteste rufen die Staatsgewalt auf den Plan und sind deswegen kein Kinderspiel; es geht um geradezu militärische Strategien, juristische Kniffe und bautechnische Tüfteleien. Dass beispielsweise die Baumhäuser vom Hambacher Forst in beachtlichen fünf bis 15 Metern Höhe gebaut wurden, hat weniger mit dem kindlichen Traum eines autarken Baumwipfel-Abenteuers zu tun als mit der Tatsache, dass eine Räumung dort oben höheren Sicherheitsvorschriften unterliegt und praktisch schwieriger durchzuführen ist, also länger dauert.
Die Schau, zu der ein handliches wie informatives Protestlexikon erschienen ist, ist eine Kooperation vom DAM und dem Museum für Angewandte Kunst Wien (MAK). Ihr Gegenstand sind die Interventionen von Protestierenden im Raum, sei es in Form von Barrikaden in Straßenschlachten, sei es in Form von Protestcamps oder anderen, noch ephemereren Mitteln. Die Frage, ob es sich bei den untersuchten Gegenständen überhaupt um Architektur handelt, beantwortet das kuratorische Team emphatisch mit „Ja!“, und eingedenk des vielfältigen Ge- und Missbrauchs des Wortes Architektur muss man dieser Ausstellung keinen Strick daraus drehen.
Betritt die Besucherin den ersten Raum des provisorischen DAM im ehemaligen Telekomgebäude von 1955 am Ostbahnhof – Sekunde: Ist das DAM vielleicht selbst zu einem Hausbesetzer geworden? Haben wir es hier mit einer Ausstellung zu Protestarchitektur in Protestarchitektur zu tun? Wenn dem so ist, dann ist das DAM ein hoffnungsvolles Beispiel, denn es hat mit seiner Zwischennutzung dazu beigetragen, dass der zehngeschossige Turm des Areals sowie weitere Gebäudeteile erhalten bleiben, was vor ein paar Jahren alles andere als sicher war. Zurück zur Ausstellung: Betritt der Besucher also den ersten Raum, trifft er auf drei Exponate: ein Modell der Baumhaussiedlung „Beechtown“ im Hambacher Wald, das wie ein Mobile von der Decke hängt, eine originale Hängebrücke aus ebenjenem Protestcamp sowie die Gegenstände einer Wunschliste, die Besetzerinnen aus Lützerath zu Weihnachten 2022 zusammengestellt hatten; die Kuratoren und Kuratorinnen der Schau sehen darin so etwas wie den Grundbaukasten der Protestarchitektur: Werkzeug aller Art, Baumate-
rialien, ein Zelt, ein Fahrrad, Kabeltrommeln, Campingkocher, Kerzen, Matratzen und so weiter.
Nach diesem etwas konzeptuell-künstlerischen Einstieg schwillt gleichsam die Lautstärke der Ausstellung im großen Hauptsaal zu einem lauten Chor an: Hier entrollt sich ein Archiv der Bewegungsgeschichte seit 1830 vor allem anhand von Plakaten, die auf schrägen Gitterkonstruktionen montiert sind. So sieht die Ausstellung selbst wie ein Protestcamp aus, und tatsächlich war es auch der Anspruch der Kuratoren, eine Ausstellung mit dem zu machen, was sie schon hatten: „Nichts wurde gekauft, bis auf Spanngurte, Kabelbinder, Kleber und DIN A0 Poster. Protestarchitektur arbeitet mit dem, was vorgefunden oder günstig und spontan verfügbar ist – ebenso diese Ausstellung“, ist dort zu lesen.
Um die vielen Bilder anzuschauen, die Baumhausmodelle zu untersuchen und die reichhal­tigen Hintergrundinformationen zu lesen, bedarf es mehrerer Stunden. Man begegnet Rebellinnen, Aktivisten, Revolutionären und Demonstrantinnen und ihrem Einfallsreichtum, ihrem Witz und ihrem Herzblut. Protest ist etwas kraftvolles und fragiles zugleich, punktuell und zielgerichtet, und so ist auch die Architektur, die im Rahmen einer Protestbewegung entsteht.

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