Bauwelt

Die sieben letzten Tage der Moderne

Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, verabschiedet sich Ende des Jahres mit einer großen Ausstellung über die zurückliegenden fünfzig Jahre Architektur. Wir haben ihn schon heute um eine Bilanz gebeten, die er hier mit gewohnt straffer Hand vorlegt.

Text: Steiner, Dietmar, Wien

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    Auch ein kippeliges Rednerpodest kann Dietmar Steiner nicht schrecken, hier bei der Eröffnung von „Young Blood. I’m a Young ‚Austrian‘ Architect!“ am Az W
    Foto: Pez Hejduk

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    Auch ein kippeliges Rednerpodest kann Dietmar Steiner nicht schrecken, hier bei der Eröffnung von „Young Blood. I’m a Young ‚Austrian‘ Architect!“ am Az W

    Foto: Pez Hejduk

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    Barbican-Komplex von Chamberlin, Powell, Bon, London 1953–83
    Foto: Dietmar Steiner

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    Barbican-Komplex von Chamberlin, Powell, Bon, London 1953–83

    Foto: Dietmar Steiner

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    Aktion „Ballon für Zwei“, 1967, Haus-Rucker-Co
    Abb.: Archiv Az W, Foto: Gert Winkler

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    Aktion „Ballon für Zwei“, 1967, Haus-Rucker-Co

    Abb.: Archiv Az W, Foto: Gert Winkler

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    „La presenza del passato“ - 1. Architekturbiennale von Paolo Portoghesi 1980
    Foto: Dietmar Steiner

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    „La presenza del passato“ - 1. Architekturbiennale von Paolo Portoghesi 1980

    Foto: Dietmar Steiner

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    Fotostudio Frei von Herzog und de Meuron, 1982
    Foto: Dietmar Steiner

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    Fotostudio Frei von Herzog und de Meuron, 1982

    Foto: Dietmar Steiner

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    Vitrine als „antike Säulenhalle“, mit statisch unmöglichen Tragweiten, im Antiquaritat Löcker, Wien 1970
    Foto: Dietmar Steiner

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    Vitrine als „antike Säulenhalle“, mit statisch unmöglichen Tragweiten, im Antiquaritat Löcker, Wien 1970

    Foto: Dietmar Steiner

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    Mahnmal von Nicola Basic für 12 verunglückte Feuerwehrmänner auf der kroatischen Insel Kornat. Es besteht aus zwölf Kreuzen, die als traditionelle Trockenmauern von 3000 Freiwilligen errichtet wurden.
    Foto: Dietmar Steiner

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    Mahnmal von Nicola Basic für 12 verunglückte Feuerwehrmänner auf der kroatischen Insel Kornat. Es besteht aus zwölf Kreuzen, die als traditionelle Trockenmauern von 3000 Freiwilligen errichtet wurden.

    Foto: Dietmar Steiner

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    New Academy of Art in Hangzhou von WangShu Amateur Architecture Studio
    Foto: Dietmar Steiner

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    New Academy of Art in Hangzhou von WangShu Amateur Architecture Studio

    Foto: Dietmar Steiner

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    Versprechung und Realität des öffentlichen Raums: Erdgeschoss im Wissenschaftsmuseum Phaeno von Zaha Hadid, 2005
    Foto: Dietmar Steiner

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    Versprechung und Realität des öffentlichen Raums: Erdgeschoss im Wissenschaftsmuseum Phaeno von Zaha Hadid, 2005

    Foto: Dietmar Steiner

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    New Urbanism oder einfach nur traditionelle Architektur: Modellstadt Pound-bury, nach den Gestaltungs-
    ideen von Prinz Charles von Leon Krier entworfen.
    Foto: Dietmar Steiner

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    New Urbanism oder einfach nur traditionelle Architektur: Modellstadt Pound-bury, nach den Gestaltungs-
    ideen von Prinz Charles von Leon Krier entworfen.

    Foto: Dietmar Steiner

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    Auf Besichtigung im Herzogtum Cornwall: Dietmar Steiner, Leon Krier und Prinz Charles Ende November 2015
    Foto: Office of HRH

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    Auf Besichtigung im Herzogtum Cornwall: Dietmar Steiner, Leon Krier und Prinz Charles Ende November 2015

    Foto: Office of HRH

Die sieben letzten Tage der Moderne

Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, verabschiedet sich Ende des Jahres mit einer großen Ausstellung über die zurückliegenden fünfzig Jahre Architektur. Wir haben ihn schon heute um eine Bilanz gebeten, die er hier mit gewohnt straffer Hand vorlegt.

Text: Steiner, Dietmar, Wien

„Am Ende: Architektur“ lautet der Titel der letzten Ausstellung unter meiner Leitung im Architekturzentrum Wien. Nach 25 Jahren Az W verabschiede ich mich in die Pension, bevor die Stimmen lauter werden, die fragen, wie lange noch der Steiner die Nachfolge blockiert. Und ja, auf die hämische journalistische Reaktion freue ich mich: Steiner geht, und die „Architektur ist am Ende ...“
Doch die Geschichte ist komplexer. Sie beginnt 2013 mit einer Einladung zu Vorlesungen über die internationale Architektur der letzten Jahrzehnte an Roland Gnaigers Architekturfakultät der Kunstuniversität Linz. Mit dem Focus auf meiner Wahrnehmung dieser Entwicklung. Mit diesen Vorlesungen als Grundlage soll nun ein Buch entstehen. Ich bin ziemlich nervös, es ist mein erstes seit 1982, der Titel lautet „Steiners Diaryʼs – Über Architektur der letzten 50 Jahre“. Es ist in sechs Tage gegliedert und versammelt ausgewählte Geschichten, Reiseberichte, Notizen, Faksimiles von Artikeln, keinen Anspruch auf eine umfassende Geschichte oder Theorie. Nur eine – hoffentlich – vergnügliche Reise mit den Mitteln der „bricolage“ – meiner vorherrschenden Disposition der Beobachtung folgend. Die Linzer Vorlesungen werden im Buch dokumentiert. „Vorlesungen“ meint eher eine Metapher für meine Vorgehensweise, denn als Vorlesungsskripte sind sie nicht geschrieben. Ich hab an sechs Tagen geredet, Bilder gezeigt, Texte gelesen, Anekdoten erzählt: über die fünfziger und sechziger Jahre, erster Tag, über die Siebziger, zweiter Tag, die achtziger Jahre, dritter Tag, die Neunziger, vierter Tag, die 2000er, der fünfte Tag, die heutige Situation, der sechste Tag. Die Unterteilungen sind nicht so scharf gesetzt, es gibt Vor- und Rücksprünge. Die sechs Tage ergeben ein schönes Bild. Und am siebten wird geruht.
Blick zurück in die Werkstatt
Was hat dieses Buch mit der letzten Ausstellung oder gar der Geschichte des Az W zu tun? Von diesen meinen fünfzig Jahren waren rund die Hälfte dem Az W gewidmet. Aber auch während dieser Zeit schrieb ich Artikel für verschiedene Medien zu verschiedenen Themen, absolvierte Reisen, traf für mich wichtige Architekten und machte Interviews, die alle nichts direkt mit dem Az W zu tun hatten. Aber natürlich gab es Interferenzen. Deshalb sei ein kurzer Rückblick in die Werkstatt gewagt. Das Programm des Az W hatte am Beginn keine ausgearbeitete Philosophie. Wir waren eine provisorische, eine prekäre Einrichtung, begannen auf einer Baustelle, ohne Heizung. So ein Gründungsmythos prägt ein Haus. Wir arbeiteten entlang der für uns erkennbaren Entwicklung der Architektur. Auch Zufälle spielten am Beginn eine Rolle. Aber es gab bald auch den Blick nach außen, schon 1995 zeigten wir mit Jean Nouvel und Lina Bo Bardi internationale Entwicklung auf. Kein Zweifel: Meine fünf Jahre für „domus“ in den neunziger Jahren boten mir einen exklusiven Einblick in die internationale Entwicklung der Architektur der Zeit. Es war der letzte Höhepunkt der Architekturmagazine. Jeder Architekt auf der Welt liebte mich, weil er in „domus“ publiziert werden wollte. „You are the new air-controller of world architecture“, sagte Peter Eisenman zu mir. Und natürlich wurde er publiziert. Weitere Stationen: 1997 ging im Az W die österreichische Architekturdatenbank online, und wir haben bald angefangen, das Programm zu differenzieren; Exkursionen, Workshops, Kongresse, Lectures waren damals nicht selbstverständlich.
Schnittstelle zu Osteuropa
Mit dem Aufbau von Archiv und Sammlung rückte auch die Aufarbeitung wichtiger österreichischer Architekten ins Zentrum. Ganz abgesehen von der gigantischen Materialsammlung zum „Austrian Phenomenon“, den Utopisten der sechziger Jahre. Eine andere gewaltige wissenschaftlichen Arbeit war die Aufarbeitung der bis dahin unterschätzen, weil unbekannten „Sowjetmoderne“. Hier wartet in Zukunft noch viel Arbeit. Dass wir uns in Wien auch als Schnittstelle zu Südost-Europa verstehen, hat eine geopolitische Voraussetzung. Ausstellungen über Bogdan Bogdanović und Balkanology stehen für eine Vielzahl von Aktivitäten in dieser Richtung. Ausstellungen von Stararchitekten haben wir nur dann gemacht, wenn sie durch einen Auftrag in Wien der lokalen Öffentlichkeit vorgestellt werden sollten. Demgegenüber haben wir mit der von Otto Kapfinger kuratierten Reihe „emerging architecture“ die junge österreichische Architektur zur Jahrtausendwende ins Ausland gebracht. Die großen Star-Architekten-Shows hatten ihren berechtigten Platz im von Peter Noever geführten MAK. Als ich es einmal wagte zu kritisieren, dass die große Zaha-Hadid-Ausstellung des MAK im führenden österreichischen Magazin ignoriert wurde, trug mir das dort die redaktionelle Verbannung ein. Wir waren mehr interessiert an den kommenden inhaltlichen Bewegungen und Veränderungen der Architektur und erkannten bald, dass mit der bereits ab den 2000er Jahren beginnenden Bottom-up-Bewegung ein Paradigmenwechsel bevorstand. Als erste präsentierten wir das Rural-Studio aus Alabama, das damals auch in den USA nur am Rande beachtet wurde, nach einer abenteuerlicher Recherche vor Ort. Obwohl uns bis heute Glamour und Spektakel von Icons in die Städte gedrückt werden, die Marketing- und sonstigen Imageverwerter weltweit befütterten, sind vor allem junge Architekten an ökologischen, low-tech, sozialen und gesellschaftspolitischen Aufgaben der Architektur interessiert. Das zeigten wir mit den Südafrika-Projekten der Wiener „SARCH“-Initiative, mit der sozialen Neudefinition des Public Space und mit der historischen Aufarbeitung von Hands-on-Urbanism.
Ganz besondere Ereignisse im Az W waren die 1:1-Rauminstallationen der Künstler Heinz Frank, Walter Pichler, Alexander Brodsky. Zu diesen gehört auch das wunderbare Restaurant-Interieur von Lacaton+Vassal direkt neben dem Eingang des Az W. Ach ja, und auch vor populären Themen fürchteten wir uns nicht. Die überraschende neue „Weinarchitektur“ im Osten und Süden Österreichs kündigte von den neuen Qualitäten von Architektur und Wein. Vom Az W-Team abgelehnt – ich kann mich nicht erinnern, jemals eine wichtige Programmidee gegen den Willen des Teams autokratisch verordnet zu haben – wurde mir hingegen eine Ausstellung über die bundesdeutschen Kathedralen der Auto-Mobilität wie in Wolfsburg, München und Stuttgart. Zu Recht. Die Konzerne, sorgsam bedacht auf ihr Image und die Kontrolle ihrer Botschaften, hätten einer kritischen Aufarbeitung dieser besonderen, spektakulären, speziell deutschen Entwicklung niemals zugestimmt.
Akkumulieren statt sortieren
Doch auch diese Entwicklungsstränge sind nur eine von vielen Folien für die Konzeption der letzten Ausstellung. Das Kuratorinnen-Team – Karoline Mayer, Sonja Pisarik, Katharina Ritter – durchpflügt seit einem Jahr mein Archiv. Kennen sie sich noch aus? Eine Aufarbeitung kann es nicht sein, denn dazu ist das Archiv zu groß und zu chaotisch. Es ist voll von Artikeln, Fotos, Konferenzprogrammen, herausgerissenen Zeitungsartikel, Prospekten, Broschüren, Stadtplänen, Eintrittskarten, Badges, und vielem anderen Kram, in Hängeregistraturen, Schachteln und Ordnern deponiert. Ich habe 50 Jahre nur akkumuliert und nie sortiert. Selbst ein Werksverzeichnis, die Referenz der schreibenden Zunft, gibt es nur bis 1992. Es wurde beendet als meine damalige Assistentin Evelyn Spindler in Karenz ging. Als Evelyn, dann schon im Az W, wieder zurückkehrte, hatten wir schlicht vergessen, das weiterzuführen, bzw. viel mehr mit der Organisation des Az W zu tun, als mit meinen privaten Produktionen, die ja nur Nebentätigkeiten waren. Aus diesen, darf ich sagen, typisch österreichischen „Zufälligkeiten“ entwickelten die Kuratorinnen die sogenannten Referenzen.
Es beginnt mit der Funktionalismuskritik. Brutalismus, Strukturalismus, Metabolismus und den Utopien der sechziger Jahre. Vielleicht im Labor der EXPO Montreal 1967 am stärksten fokussiert. Interessant ist, wie der in der Postmoderne völlig ignorierte und abgelehnte Brutalismus heute wieder auf weltweites Forschungsinteresse stößt.
Dem folgt eine dramatische Neuorientierung in den siebziger Jahren. Aldo Rossi und seine Wiederentdeckung der Permanenz der Stadt wird die Debatte bestimmen, Venturi und Denise Scott Brown öffnen die Augen für die konsumistische Bildwirksamkeit des Alltags. Die Relevanz der angeblich so bedeutsamen ästhetischen Maneuvers der New York Five hingegen habe ich nie verstanden, sie hatten auch keine Auswirkungen auf Europa. Sie waren eine „Kunstfigur“ von Philip Johnson – wie auch die Dekonstruktivisten - und ihre extrem unterschiedliche weitere Entwicklung ist evident. Mitte der siebziger Jahr schlägt der blaue Katalog der Tessiner „Tendenza“ wie eine Bombe ein. Ein autochtone architektonische Kultur in der kleinen Schweizer Provinz. Die „Grenzen des Wachstums“ beförderten eine breite Partizipationsbewegung mit unterschiedlichen architektonischen Ergebnissen. Und die IBA Berlin beginnt.
Erosion der Öffentlichkeit
Dann, ich gestehe, wir haben es in der architekturimmanenten Theorieeuphorie der Siebziger nicht bemerkt, beginnt mit 1979/1980 der Neoliberalismus. Reagan und Thatcher kommen an die Macht und der kommunale und staatliche Einfluss auf Architektur und Stadtplanung erodiert bis heute. Auch der private Pritzker-Preis ist ein Kind dieser Zeit. Weitgehend verdrängt bis heute ist auch, dass nach dem Ende des Schah-Regimes im Iran, mit der von den ahnungslosen Westmächten veranlassten Einsetzung von Ayatollah Khomeini jene islamische Revolution beginnt, die bis heute ein zentrales weltpolitisches Problem geworden ist. Aber noch inthronisieren wir 1980 mit der ebenso spektakulären wie nekrophilen Strada Novissima bei der Architekturbiennale von Venedig die Star-Architekten von morgen. „Blade Runner“ zeigt uns bald darauf als erster „realistischer“ Science-Fiction Film, dass wir auch in Zukunft in unseren heute bestehenden Bauten leben und agieren werden und sich die neuen Technologien einfach einnisten und den Bestand überformen werden. Also schaun wir mal, was sich bis 2019 noch entwickeln wird ... Die IBA-Berlin wird damals die größte Weltausstellung der Architektur. Typisch deutsch, getrennt in Altbau und Neubau, nur um einerseits die sozialen Bewegungen zu befrieden und andererseits die Weltstars zur Produktion von Landmarks zu bewegen. Aber natürlich geht es in Wahrheit auch um ein neues Bekenntnis zur Schönheit der Stadt.
In den neunziger Jahren setzt sich dann die Signature-Architecture durch. Auch befreit durch die extrem gegensätzliche „Dekonstruktivist-Architecture“-Ausstellung. Die letzte große Schandtat von Philip Johnson, dem größten Zyniker und wahren Mephisto der Architektur des 20. Jahrhunderts. Dann die Grand Travaux, Superdutch, und natürlich der bis heute anhaltende Mythos vom Bilbao-Effekt. Die Schweizer erproben den Minimalimus und die Analoge Architektur. Und die ersten New-Urbanism-Projekte erwecken Aufmerksamkeit. Seaside (ab 1979), Celebration (1996) und Poundbury (ab 1993) werden gebaut.
Verhängnisvolle Nachhaltigkeit
Ein verhängnisvoller Begriff taucht erstmals in der Debatte auf: Nachhaltigkeit. Ernst genommen würde er bedeuten, dass wir so bauen müssten wie in den Jahrhunderten vor der Moderne. Denn diese Häuser stehen alle noch. Okkupiert wurde er aber von der Haustechnik, die damit ihren Höhenflug startete, und endlich die Architektur dominieren durfte.
Das ist die große Lüge unserer Zeit, die behauptet, dass technische Geräte nachhaltiger sind als die gebaute Substanz. Aber alle glauben daran. Ab den 2000er Jahren schließt sich der Kreis zu Nachkriegsarchitektur. Wir haben wieder eine sich weltweit gleichende Businessarchitektur. Na ja, heute sinds keine Kisten oder brutalistische, ehrliche Skulpturen mehr, sondern ein kitschiges Glas-Stahl-Gewürm, dessen Autoren irrelevant sind, weil sie von jedem entworfen sein könnten. Daneben aber, im Schatten dieses globalen Leerstandskapitals, gibt es wieder die intensive kleine Lösung, mit viel architektonischer Intelligenz aus den Bedingungen der Ortes entwickelt. Das Unbehagen an der Gobalisierung der Architektur-Produktion dürfte um sich greifen. Immer mehr Magazine publizieren heute immer mehr diese kleinen aber intelligenten Architekturen. Sie ist somit wieder ein verstecktes Minderheiten Programm. Denn mehrheits- und businessfähig war die inhaltlich relevante Architektur, zumindest die letzten fünfzig Jahre, ohnehin nie. Wir hatten nur im globalen Medienhype die Kriterien der tatsächlichen Relevanz verloren.
Das sind im wesentlichen die „historischen Referenzen“, die das Kuratorinnen-Team meinen Beobachtungen und Ablagerungen entnehmen will. Sie wollen sich aber, zurecht, damit nicht zufrieden geben und setzen ins Zentrum der Ausstellung nach inhaltlichen Kriterien gegliederte Tendenzen und Projekte einer heutigen Architektur, deren produktive Vielgestalt sie in ihrer Zukunftsfähigkeit verankert. Sie berücksichtigen dabei ökologische, soziale Aspekte, thematisieren die Geschichte und den Kontext, die Theorie und die Konstruktion und, was wirklich eine neue Entwicklung ist, die Einbindung in legislative Rahmenbedingen und die Zukunft der digitalen technologischen Entwicklung. BIM und 3-D-Printing können eine völlig neue Bauproduktion ermöglichen. Ist das dann noch Architektur? Welche Fertigkeiten, welche Techniken kann oder muss der Architekt der Zukunft dazu ausbilden? – Auf diese sich noch zu entwickelnden Positionen bin ich erwartungsvoll neugierig. Doch das ist nicht mehr meine Welt. Aber es gibt mir ein gutes Gefühl, mit welchem Engagement das Team des Az W eine Architektur jenseits meiner Referenzen und meiner Zeit zu finden gewillt ist.
Offenbarung Poundbury
Nach allen Auseinandersetzungen, Positionskämpfen, widerstreitenden Ideologien der Architektur der letzten fünfzig Jahre, habe ich vor einem halben Jahr den Besuch von Leon Kriers Poundbury wie eine Offenbarung empfunden. Dazu muss man wissen, dass es im gesamten Herzogtum Cornwall keine moderne Architektur gibt. Alte Dörfer, kleine Städte, man hat so wies war immer weitergebaut, angebaut. Poundbury ist einfach nur traditionelle Architektur, mit abwechslungsreicher Typologie, sorgfältig gewählten Materialien, schönen Details, einem klugen Verkehrskonzept, das so wie in alten Dörfern fast nur Shared-Spaces kennt und kaum Verkehrszeichen. Parken tut man an der Straße oder im Hinterhof, wo früher die Kutschen versorgt wurden. Es gibt Restaurants und Geschäfte in den Erdgeschossen, viel öffentlichen Freiraum. Es ist schön, es funktioniert und man fühlt sich wohl. Bei all diesen sachlich positiven Argumenten darf man schon fragen, warum die heutige architektonische Fachdiskussion dieses Beispiel derart ignoriert? Ist unsere heutige sprachlose „historistische Moderne“ (ein Begriff von Werner Oechslin) ein ästhetisches Dogma wie die Moderne der zwanziger Jahre? Oder ist es ganz einfach so, dass heute die Bauindustrie die totale Macht über die Architektur übernommen hat?
Es geht mir jetzt am Ende nicht um die Behauptung, dass Leon Kriers Architektur die Lösung der aktuellen Krise des Urbanen ist. Ziemlich sicher ist sie außerhalb des Herzogtums Cornwalls völlig unpassend. Aber zumindest die Prinzipien müssen diskutiert werden. Denn nein, es sind nicht immer nur die bösen Investoren, die Architektur verunmöglichen. Die letzten fünfzig Jahre lehrten zumindest mich, dass es immer auch die Leitbilder der Architekten sind, die verantwortlich sind für die Gestalt der Stadt.
Die Ausstellung anlässlich des Abschieds von Gründungsdirektor Dietmar Steiner wird vom 6. Oktober 2016 bis 20. März 2017 in der Alten Halle des As W im Wiener Museumsquartier gezeigt.

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