Pingussons Saarbrücken
Text: Graf, Sabine, Saarbrücken
Pingussons Saarbrücken
Text: Graf, Sabine, Saarbrücken
Der Aufbauplan des französischen Architekten Georges-Henri Pingusson aus den späten vierziger Jahren war bei der Saarbrücker Bevölkerung nicht beliebt. Besonders die vorgesehenen Hochhausscheiben wurden kritisiert. Wenige Jahre später entstand eine dieser Scheiben als Französische Botschaft im damaligen Saarstaat. Droht jetzt ihr Abriss?
Die von Georges-Henri Pingusson als Französische Botschaft an der Saar errichteten Gebäude waren bei den Saarbrückern umstritten. Sie bestanden aus einer Hochhausscheibe, in der die Verwaltung untergebracht wurde und einem angeschlossenen Flachbau, der Residenz. Seit 1960 dienten sie dem saarländischen Kultusministerium als Sitz. Das Gebäudeensemble bleibt das Symbol für die Präsenz Frankreichs im Saarland nach 1945 und für dessen Wiederaufbaupläne. Sie sollten, so Gilbert Grandval, dazu beitragen, „die Spuren des preußischen Geistes zu verwischen, die auch nach den Bombardierungen weiter bestehen“. Grandval war Hoher Kommissar der französischen Militärregierung des Saarlandes. Für den Wiederaufbau holte er aus Frankreich ein Team von erfahrenen Stadtplanern. Aus heutiger Sicht ein reichlich naives Unterfangen. Als Pingusson, angesehener Architekt, Architekturprofessor in Paris und als Städtebauer Gründungsmitglied des CIAM, an die Saar kam, war er von der Vision einer modernen Metropole bestimmt: Eine Stadt, geteilt von den großen Achsen eines Verkehrswegenetzes, mit einer strikten Ordnung, was die neuen Bezirke für Wohnen, Arbeiten und Freizeit betraf.
Pingusson plante „Wohnungen, die einheitlich wirken und uns helfen, die Freundschaft für kommende Generationen zu säen“. Diesem Gedanken fühlte er sich auch noch verpflichtet, als er seinen Wiederaufbauplan für gescheitert erachtete und 1949 nach Frankreich zurückkehrte. Was ihn da- zu bewog war nicht zu- letzt die Einsicht, dass die aufgrund ihrer Tradition und Mentalität andere Wohnformen bevorzugenden Saarländer seinen Plan nicht guthießen. Er wollte die- sen aber nur im Einvernehmen mit ihnen umsetzen. Und es war kein Anfang bei Null, selbst wenn 80 Prozent der Stadt zerstört waren: „Die wirtschaftliche Notlage ... gestattet nur ein Planen auf dem Boden der Wirklichkeit“, erklärte der Saarbrücker Oberbaurat Karl Cartal, einst Emigrant in Frankreich und für die Umsetzung der Pläne Pingussons verantwortlich. Er erteilte der Vision einer Stadt von morgen eine Absage. Dennoch gingen die Planungen für Saarbrücken als Hauptstadt einer Deutschland und Frankreich verbindenden Montanunion weiter.
So holte Grandval, jetzt Botschafter Frankreichs an der Saar, Pingusson 1951 noch einmal in die Stadt und beauftragte ihn mit dem Bau seines Amtssitzes. Die Abstimmung über das Europäische Saarstatut 1955 setzte dann allen Plänen ein Ende. Die Saarländer entschieden sich für einen Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland. Doch zuvor baute Pingusson nach dem von ihm 1947/48 überarbeiteten Aufbauplan eine der vier, entlang des Saarufers vorgesehenen Hochhausscheiben – errichtet als Stahlskelettbau, verkleidet mit Muschelkalk, funktional, aber sich nicht strikt dem Verdikt der Moderne unterordnend und mit manchen, noch heute außerordentlichen baulichen Details. Das Neue sollte das Alte ersetzen: Diese Botschaft der Botschaft richtet sich heute gegen sie. Ihre Fassaden bröckeln, in Büros mussten zusätzliche Stahlstützen eingefügt werden. Eine Sanierung des Betons und eine energetische Sanierung sind notwendig. Die 180 Büros für 300 Mitarbeiter sind Arbeitsplätze aus einem anderen Jahrtausend, die heutigen Anforderungen und Bedürfnissen nicht mehr genügen. Hinzu kommt der Dauerlärm durch die später gebaute Stadtautobahn nebenan. Das Haus ist mittlerweile zum Problemfall geworden.
Behalten am Ende doch die Kritiker recht, und das Beste wäre es abzureißen? Das verhindern der Denkmalschutz und eine klare Ansage des aktuellen Nutzers. Für Bildungsminister Ulrich Commerçon, zugleich oberster Denkmalschützer des Landes, steht fest: „Es gibt zur denkmalgerechten Erhaltung keine vernünftige Alternative.“ Im September zieht das Ministerium in die ehemalige Alte Post am Hauptbahnhof. Um der „Vorverurteilung“ entgegenzuwirken, engagiert sich Commerçon sehr für den Bau und startete eine Kommunikationsoffensive. Auf Initiative des Werkbundes Saar kam im Festsaal des Ministeriums eine kleine Ausstellung über Pingusson Schaffen im Saarland und in Lothringen zustande. Sie erzählt von einer Epoche, in der das wegen Kohle und Stahl begehrte Saarland eine wichtige Rolle in Europa einnehmen sollte. Die Öffentlichkeit für das Gebäude zu gewinnen, ist ein taktisch begründeter Zug. Vom Finanzministerium, das zugleich auch für Europa zuständig ist und in dessen Obhut sich die Liegenschaft befindet, liegt noch keine Entscheidung vor, wie es weitergeht. Das Gebäude kann nicht nach Belieben umgenutzt werden. Commerçon will nun mit allen Verantwortlichen „verschiedene Nutzungsoptionen diskutieren“. Das klingt nach ei-ner beherzten Flucht nach vorn, um der schlimmstmöglichen Wendung, dem Abriss aus Finanznot, vorzubeugen. Dieser Abriss wäre angesichts der viel beschworenen deutsch-französischen Zusammenarbeit und des großen Engagements für die Region Saar-Lor-Lux peinlich. Der Pingusson-Bau ist ein Dokument der Geschichte des Saarlandes.
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