Hannsgeorg Beckert. Das Verhältnis des Architekten zu Kunst und Künstlern
Beobachtungen einer ehemaligen ABB-Mitarbeiterin zur Zeit des Theaterbaus in Frankfurt am Main
Text: King, Luise, Berlin
Hannsgeorg Beckert. Das Verhältnis des Architekten zu Kunst und Künstlern
Beobachtungen einer ehemaligen ABB-Mitarbeiterin zur Zeit des Theaterbaus in Frankfurt am Main
Text: King, Luise, Berlin
1963 war das Theater fertig, eine komplexe Doppelanlage für Schauspiel, Kammerspiel und Oper, der verantwortliche Entwurfsarchitekt war Hannsgeorg Beckert. Dieser war noch Student, als Otto Apel ihn, den Eiermann-Schüler und freien Mitarbeiter, nicht nur mit dem Entwurf des Theaters betraute, 1961, zwei Jahre zuvor, hatte er ihn auch bereits als Partner an sein Büro ABB gebunden. Apel, Jahrgang 1906, hatte die Begabung seines studentischen Mitarbeiters erkannt.
Seit 1953 führte Apel ein eigenes Büro in Frankfurt am Main und realisierte dort verschiedene Projekte zusammen mit Skidmore, Owings und Merrill, unter anderem 1958 das Amerika-Haus. Otto Apel hatte Anschluss an die internationale Moderne und Le Corbusier gefunden: 1956 beispielsweise entstand das schöne Büro- und Wohnhaus Berliner Straße 27, das den Schweizer Pavillon, das Studentenwohnheim Le Corbusiers in der Pariser Cité Universitaire, ganz offensichtlich zum Vorbild hat.
Als ich 1968, nach vier Jahren in Paris, einigen davon im Büro Candilis, Josic, Woods, nach Frankfurt und zum Büro ABB kam, machte ich recht bald Bekanntschaft mit Beckerts besonderem Verhältnis zu Kunst und Künstlern. Er bat mich beispielsweise, ihn zur Zentrale der Deutschen Bundesbank zu begleiten, um das Gespräch zwischen ihm, der nicht Französisch sprach, und dem Künstler Jesus Raphael Soto zu übersetzen. Das Gebäude der Bundesbank, zwischen 1967 und 1972 erbaut, wurde mit zahlreichen hochrangigen Kunstwerken ausgestattet, und hier sollte auch Soto, einer der bedeutendsten Vertreter der kinetischen Kunst und Optical Art einen Platz erhalten. Mir waren die Arbeiten Sotos, der aus Venezuela stammte und in Paris wie Südamerika arbeitete, aus Ausstellungen und Veranstaltungen in Paris bekannt, seine Vibrationsbilder, Objekte aus Eisendrähten, optischen Täuschungen und ähnlichem, vertraut. Bereits in diesem Gespräch bei der Bundesbank zeigte sich mir etwas vom Verhältnis, ja von der Liebe Beckerts für Kunst und Künstler.
Ein Besuch des Wohnhauses Beckert in der Myliusstraße 29 sollte mir dann dieses Verhältnis auf besonders eindrucksvolle Weise beleuchten, in der engen Freundschaft zwischen dem Architekten Beckert und dem Maler und Bühnenbildner Hein Heckroth. Als Beckert das Haus 1964 baute, hatte er dort nicht nur die Wohnung für Heckroth, sondern im Erdgeschoss auch ein eigenes Atelier für ihn eingeplant
1970 konnte ich die Wohnung Beckerts im Obergeschoss des Hauses besuchen. Auch hier war es ein Leichtes, den Kunstliebhaber zu erkennen – an der Ausstattung der Wohnung, den Skulpturen wie den Bildern an den Wänden –, nicht zuletzt auch die Vorliebe für Werke Heckroths. Die Freundschaft zu dieser Künstlerpersönlichkeit war offensichtlich eine ganz besonders prägende.
Der renommierte Maler und Bühnenbildner Hein Heckroth war mit dem ebenfalls international bekannten Choreografen Kurt Joos, dessen „Grünen Tisch“ er ausgestattet hatte, nicht nur befreundet, beide waren auch Begründer der Folkwang-Schule; Kurt Joos revolutionierte das Tanztheater, Hein Heckroth leitete die Fachklasse Bühnengestaltung. Wie Kurt Joos war auch Heckroth Emigrant, lebte mit seiner jüdischen Frau zunächst in Paris, dann in England, später in den USA, wo er als Produktionsdesigner auch Filme drehte (u.a. „Die roten Schuhe“). 1956 wurde er schließlich als Ausstatter an die Städtischen Bühnen in Frankfurt berufen.
Damit folgten fünfzehn Jahre intensive Theaterarbeit mit dem Intendanten Harry Buckwitz. Unter Buckwitz, der 1951 Generalintendant der Städtischen Bühnen geworden war, erlebte das Frankfurter Theater einen aufregenden neuen Aufschwung. Legendär sind seine Brecht-Inszenierungen, „Mutter Courage“ oder „Der kaukasische Kreidekreis“, Inszenierungen zeitgenössischer Autoren wie Dürrenmatt, Frisch, Ionesco oder Hochhuth. 1952 holte Buckwitz Georg Solti als Generalmusikdirektor nach Frankfurt. Alles zusammen eine hochinteressante Zeit – natürlich auch für den Ausstatter Heckroth – und seinen Freund Hannsgeorg Beckert. Zu dessen Künstlerfreunden gehörten inzwischen auch der Frankfurter Bildhauer Hans Steinbrenner und Bernhard Schultze, der mit Karl-Otto Götz, Otto Kreis und Heinz Kreuz die Quadriga gegründet hatte, die Kerngruppe der deutschen informellen Malerei. Dies geschah 1952 in der „Zimmergalerie“ Franck, die Klaus Franck 1949 in seiner Wohnung gegründet hatte. Die Galerie entwickelte sich schnell zum Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde, hatte Bedeutung über Frankfurt und Deutschland hinaus; hier traf sich das an Kunst interessierte Publikum, nicht nur das Frankfurter.
Schließlich das Wolkenfoyer, die Zusammenarbeit und relativ kurze, aber enge und nachhaltige Freundschaft mit Zoltan Kemeny. Das langgestreckte, die drei Theaterräume verklammernde und sich zur Stadt hin öffnende Foyer war bereits fester Bestandteil des Raumkonzepts. Große, verglaste Fronten zeigten inzwischen bereits einige weitere Theaterbauten, Münster und Gelsenkirchen beispielsweise 1956, bei beiden war Werner Ruhnau der maßgebende Architekt. Vorbild für alle war jedoch der Wettbewerbsentwurf für den Neubau des Mannheimer Theaters von Mies van der Rohe, 1953, dessen verglaster Kubus über dem zurückgesetzten Erdgeschoss zu schweben scheint.
Als der damalige Leiter des Frankfurter Kunstvereins Ewald Rathke, der den Kulturdezernenten Karl vom Rath in Sachen „Kunst am Bau“ beriet, den Bildhauer und Metallkünstler Zoltan Kemeny für die künstlerische Ausgestaltung des Foyers vorschlug, war Beckert sofort begeistert. Ihn überzeugte, „dass (hier) Künstler und Architekten zum Gleichklang ihrer künstlerischen Ausdrucksweise strebten“. „Die Deckenskulptur wollte ebensowenig nachträgliche dekorative Erhöhung der Architektur sein, wie sie Anspruch auf Geltung als selbständiges Kunstwerk erhebt.“ Im Auf und Ab der 5500 Messingelemente der Deckenplastik lag das Besondere der Raumskulptur, die den Raum selbst in Bewegung bringt, „und damit für den Theaterbesucher dynamisch erlebbar“ werden lässt.
Kemeny erhielt den Auftrag im August 1963, eröffnet wurde das Theater im Dezember desselben Jahres, es blieben also nur vier Monate zur Realisierung der Raumskulptur. Für die Zeit der Ausführung mietete sich Kemeny in Frankfurt ein, in einer der Künstlerwohnungen direkt vor Ort in den Städtischen Bühnen oder im nahe gelegenen Hotel Frankfurter Hof. In dieser Zeit der gemeinsamen Arbeit, während derer Architekt und Bildhauer ihre identischen Auffassungen über das Verhältnis von Architektur und Kunst kennenlernten, entwickelte sich die enge Freundschaft zwischen den Ehepaaren Kemeny und Beckert. Leider war ihr keine lange Dauer beschieden, denn Kemeny starb bereits im Juni 1965.
Als im Oktober 1966 ein freudestrahlender Chef uns ABB-Mitarbeitern die glückliche Geburt seines Sohnes verkündete und zugleich berichtete, er werde ihn Zoltan nennen, gehörte das Wolkenfoyer längst zum Alltag der Frankfurter Theaterbesucher – die tiefere Bedeutung dieser Namensgebung, die im Gedenken an den nur vier Monate zuvor verstorbenen Freund geschah, war sicher den wenigsten bekannt.
Heute ist es in Frankfurt beschlossene Sache, den Theaterbau so nicht zu erhalten, sondern Oper und Schauspiel an getrennten Standorten zu planen. Zoltan Kemenys Wolkenfoyer steht inzwischen unter Denkmalschutz, eine Initiative „Zukunft Bühnen Frankfurt“ begleitet den Planungs- und Entscheidungsprozess der Stadt Frankfurt kritisch und bemüht sich um eine transparente Informationspolitik. Verdienste hat sich in diesem Zusammenhang Philipp Oswalt erworben, als kritischer Begleiter des gesamten Prozesses und Herausgeber des informativen und schön gestalteten Buches „Zoltan Kemenys Frankfurter Wolkenfoyer – Entstehung und Zukunft einer gefährdeten Raumkunst“. Besonders interessant sind die hierin enthaltenen Skizzen Kemenys, die den Entwurfsprozess des Bildhauers verdeutlichen. Die andere aufschlussreiche Quelle stellen die zeitgenössischen Fotos dar, die die Interaktion zwischen Theaterbesuchern und Raumkonzept sehr schön zeigen. Diese beiden Aspekte veranschaulichen die besonderen Stärken des Buches. Weniger aufregend sind in diesem Zusammenhang die Vorschläge für unterschiedliche Nutzungsvarianten einer zukünftigen Theaterplanung unterschiedlicher Autoren; für die wesentliche Aussage des Buches sind sie überflüssig, schwächen sie eher. Dennoch ist das Buch – dank der genannten Stärken sowie der historischen und politischen Dimension des Themas sehr empfehlenswert.
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