Bauwelt

Neues Europäisches Bauhaus: Kann eine EU-Initiative die Welt verändern?

Das New European Bauhaus soll europaweit Begeisterung für ein schönes, soziales und nachhaltiges Bauen entfachen. Hoffnungsvoll setzt es auf die Entstehung einer Graswurzelbewegung.

Text: Crone, Benedikt, Berlin

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    U.v.d. Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission
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    NEB-Preis-Kandidat: Wohnprojekt mit Pflege­betreuung, bestehend aus Alt- und Neubau, ...
    Foto: Stijn Bollaert

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    NEB-Preis-Kandidat: Wohnprojekt mit Pflege­betreuung, bestehend aus Alt- und Neubau, ...

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    ... im flämischen Kortrijk. Architekten: Studio Jan Vermeulen mit Tom Thys architecten
    Foto: Stijn Bollaert

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    ... im flämischen Kortrijk. Architekten: Studio Jan Vermeulen mit Tom Thys architecten

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    Ebenfalls nominiert: ein Holzschulbau in Arvika, Schweden, geplant auf Grundlage neuester pädagogischer Konzepte vom Stockholmer Büro Brunnberg & Forshed.
    Foto: Robin Hayes/Euro­päische Union

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    Ebenfalls nominiert: ein Holzschulbau in Arvika, Schweden, geplant auf Grundlage neuester pädagogischer Konzepte vom Stockholmer Büro Brunnberg & Forshed.

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    Auf der Shortlist für den Preis „Rising Stars“ ist das Hildesheimer Projekt Symbiotic Spaces Collec­tive, ...
    Foto: SSC/Europ. Union

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    Auf der Shortlist für den Preis „Rising Stars“ ist das Hildesheimer Projekt Symbiotic Spaces Collec­tive, ...

    Foto: SSC/Europ. Union

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    ... das u.a. durch den 3-D-Druck mit lokalem Ton Insektenhotels erstellt.
    Foto: SSC/Europ. Union

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    ... das u.a. durch den 3-D-Druck mit lokalem Ton Insektenhotels erstellt.

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    Nominiert für den NEB-Preis und den Mies-Award 2022: das gemeinschaftliche Baugruppenprojekt Gleis 21 ...
    Foto: Hertha Hurnaus

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    Nominiert für den NEB-Preis und den Mies-Award 2022: das gemeinschaftliche Baugruppenprojekt Gleis 21 ...

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    ... im Wiener Sonnenwendviertel von einszueins Architektur
    Foto: Hertha Hurnaus

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    ... im Wiener Sonnenwendviertel von einszueins Architektur

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    Auch nominiert: Bulgariens Hauptstadt Sofia ist reich an Flüssen.
    Foto: KAB/Europ. Union

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    Auch nominiert: Bulgariens Hauptstadt Sofia ist reich an Flüssen.

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    Um ihre Präsenz zu stärken und die Ufer zu beleben, wurde 2020 und 2021 ein Licht- und Architekturfestival veranstaltet.
    Foto: KAB/Europ. Union

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    Um ihre Präsenz zu stärken und die Ufer zu beleben, wurde 2020 und 2021 ein Licht- und Architekturfestival veranstaltet.

    Foto: KAB/Europ. Union

Neues Europäisches Bauhaus: Kann eine EU-Initiative die Welt verändern?

Das New European Bauhaus soll europaweit Begeisterung für ein schönes, soziales und nachhaltiges Bauen entfachen. Hoffnungsvoll setzt es auf die Entstehung einer Graswurzelbewegung.

Text: Crone, Benedikt, Berlin

Sie klangen wie die Worte einer Revolutionsführerin, die nebenbei in einer Werbeagentur arbeitet: „Jede Bewegung hat ihr eigenes Look and Feel“, verkündete Ursula von der Leyen 2020 während ihrer Rede zur Lage der Union (im Bild oben), „und auch wir müssen unserem systemischen Wandel eine eigene, unverwechselbare Ästhetik verleihen – Stil mit Nachhaltigkeit verbinden!“ Aus diesem Grund werde die EU das „New European Bauhaus“ errichten – „einen Co-Creation Space, in dem Architekten, Künstler, Studenten, Ingenieure und Designer zusammenarbeiten.“
Nun kann eine Bewegung, die durch die Präsidentin der Europäischen Kommission ausgerufen wird, kaum eine Bewegung sein. Bei einer Bewegung stellen in der Regel die Ohnmächtigen konkrete Forderungen an die Mächtigen – wie beim Frauenwahlrecht, beim Ende der DDR oder den Fridays-for-Future-Protesten. Die Ziele des New European Bauhaus (NEB) dagegen kommen von oben und sind schwammig formuliert. Es sollen „Brücken zwischen der Welt der Wissenschaft und Technologie, der Kunstund Kultur“ geschlagen werden, „die Herausforderungen des digitalen und ökologischen Wandels zur Verbesserung unserer aller Leben gemeistert“ und für „komplexe soziale Probleme“ in gemeinsamer Arbeit eine Lösung gefunden werden. Darüber schwebt eine Werte-Dreifaltigkeit aus den Attributen: nachhaltig, gemeinsam und attraktiv. In der offiziellen Mitteilung der EU-Kommission vom September 2021 heißt es etwas konkreter zu den Zielen des NEB: „Alle Bürgerinnen und Bürger sollen Zugang zu kreislauffähigen Waren mit geringerer CO2-Intensität haben, die die Regeneration der Natur und den Schutz der biologischen Vielfalt unterstützen.“ Projekte des sozialen Wohnungsbaus, die im Einklang mit den genannten drei Werten stehen, würden gefördert. Es soll zudem ein „NEB-Labor“ aufgebaut, jährlich ein Festival durchgeführt und Preise vergeben werden.
Dass es bei den Maßnahmen darum geht, die Umsetzung des European Green Deals im Bausektor zu beschleunigen (nachdem bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen auf null reduziert werden soll), lässt die Initiative als ein Regierungsprogramm erscheinen, das – mangels operativer Möglichkeiten – durch Preise, Förderungen und Kontaktvermittlungen auf die Gefolgschaft der Zivilgesellschaft, Designwelt und Baubranche hofft. Die Menschen sollen also zum Bewegen bewegt werden; eine Revolution folgt dann von allein. „Es handelt sich nicht um ein traditionelles EU-Programm“, betont auch Xavier Troussard, Leiter der NEB-Einheit bei der Europäischen Kommission, „sondern um eine Bewegung, die von der Europäischen Union unterstützt wird“. Die EU sei bisher nicht gut aufgestellt, um kleinere Projekte zu fördern. Für die gewünschte Graswurzelbewegung sei aber eben dies notwendig. Wie nur kann der Stein dafür von höchster politischer Stelle ins Rollen gebracht werden?
Bewegung aus allen Richtungen
Stellt man sich die Welt des New European Bauhaus als eine Landkarte vor, ist diese von einer auffälligen Bergkette gezeichnet, aber auch von dichten Wäldern und tiefen Tälern, die noch auf ihre Entdeckung warten. Die höchsten Berge, an denen kein Blick vorbeiführt, sind die Preise des NEB. Zwei Bergspitzen liegen nebeneinander: der „normale“ NEB-Preis undder Preis für die „NEB Rising Stars“, der sich an Bewerberinnen und Bewerber unter 30 Jahren richtet. Beide Preise werden in vier Kategorien auf Grundlage einer öffentlichen Online-Votierung vergeben. Die ausgezeichneten Projekte treffen wohl am ehesten das Graswurzelprinzip, da sie mehrheitlich von Bürgerinitiativen, Privatpersonen und -unternehmen eingereicht wurden und auch kleine Maßnahmen umfassen: neuartige Stoffe, die aus Gartenabfällen gewonnen werden, ein vorbildlich integrativer Schulbau in Schweden, eine Tauschplattform für gebrauchtes Plastikspielzeug aus Lissabon, ein E-Fahrrad, das mit einem Backofen für Sauerteigbrot durch das italienische Vallagarina-Tal fährt, um Menschen für die Lebensmittelherstellung zu sensibilisieren. Die Gewinnerprojekte erhalten 10.000 bis 30.000 Euro von der EU und eine professionelle Unterstützung für ihre Kommunikationsarbeit.
Auf der Landkarte des New European Bauhaus fallen neben den Bergen aber auch die fünf Leuchttürme ins Auge, größere, oft länderübergreifende Planungen, die exemplarische Lösungen für die europäische Stadt- und Landentwicklung aufzeigen sollen. Die Leuchtturm-Projekte sind überwiegend noch nicht realisiert. Sie erhalten daher mit je fünf Millionen Euro eine saftige Anschubfinanzierung. Alle Preise wurden soeben im Juni in Brüssel beim offiziellen NEB-Festival vergeben.
Die Experten des hohen runden Tisches
Am Fuß des Preis-Gebirges liegt das „NEB-Lab“. Ein Blick in das Labor, den selbsternannten „Think-and-Do-Tank“, ist bisher nur durch verschwommene Gläser möglich. Es wird dort kein Geld verteilt, dafür werden Kontakte, Wissen und Expertise ausgetauscht, wobei die meisten der Räume noch auf ihre Nutzer zu warten scheinen. In diesem Jahr sollen Fachleute, die auf der Webseite des NEB zur Teilnahme ins Lab geladen werden, Kri­terien aufstellen, nach denen ein Projekt des NEB-Labels würdig ist. In anderen Räumen des Labors – also auf Unterseiten der Webseite – sollen sich Interessenten über Finanzierungswege für ihr Vorhaben austauschen, von Crowdfunding über Fördermittel bis Philanthropie. Wiederum an anderer Stelle preisen Ministerien der skandinavischen Länder und die finnische Aalto Universität ihre Planungen zum „Nordic Bauhaus“, um Wege für ein kohlenstoffarmes Bauen und Wohnen und das Prinzip der Keislaufwirtschaft aufzuzeigen. Spätestens hier kratzt sich der von außen ins Labor spähende Besucher am Kopf: Ist die CO2-Neutralität nicht ohnehin der Grundgedanke für alle Initiativen des New European Bauhaus?
Wendet man sich vom Labor ab, entdeckt man ein weiteres mysteriöses Gebilde: ein Haus, in dem sich dem Klingelschild nach der „High-level roundtable“ befindet. Am runden Tisch tagt sozusagen der klerikale Rat des NEB, bekannte Gesichter huschen durch den Saal: Bjarke Ingels, stets jugendlich und agil, Shigeru Ban, mit seinem weisen Lächeln, aber auch Gina Gylve, eine 19-Jahre junge, norwegische Klimaaktivistin. Die 18 Expertinnen und Experten erklärten bereits ihre Erwartungen ans NEB, nicht nur auf einer New European Bauhaus Conference, sondern auch in persönlichen Aufsätzen. Diese sind ebenfalls auf der Webseite des NEB zu finden. An wen sich ihre Schreiben richten, ist allerdings nicht klar: an die 15 Leute, die bei der EU-Kommission die NEB-Initiative am Laufen halten? Oder an alle anderen Menschen, von denen viele vermutlich keine Muße haben, zumeist autobiografische Werdegänge zu studieren, um dazwischen Perlen der Erkenntnis zu entdecken (die Vertreter der Planungszunft üben sich vor allem in Erläuterungen eigener Projekte)?
Nicht zu verwechseln ist der „High-level roundtable“ mit den „Friends“ und „Partnern“. Auch diese sind Teil der NEB-Landkarte – aber eigentlich nur zwei Listen aus Architekturbüros, Fakultäten, Privatunternehmen und Non-Profit-Organisationen, die offen die Idee des NEB unterstützen. Daneben werden auf der Webseite über „nationale Kontaktstellen“ die Mail-Adressen von Menschen preisgegeben, die in den EU-Mitgliedsländern
in den Ministerien die Ansprechpartner für das NEB sind. Wem jetzt noch nicht der Kopf schwirrt, der kann sich durch 2000 Beiträge arbeiten, die aus der Entstehungszeit 2021, der öffentlichen „Co-Design-Phase“, stammen und eine Sammlung aus Architekturessays und Klimarettungsideen darstellen.
Für das New European Bauhaus hat die EU 85 Millionen Euro in den Jahren 2021 und 2022 bereitgestellt, finanziert unter anderem aus dem Ho­-rizon Europe Programm for Research and Innovation und dem European Regional Development Fund. Das ist nicht viel Geld. Die große Hoffnung ist das Zusammenbringen von Ideengebern und Finanzierungsträgern. Dafür wird versucht, Einladungen in viele Richtungen zu verschicken, durch ausgelobte Preise, Festivals und Kommunikationsarbeit, Angebote zum Austausch. Es ist zu früh zu urteilen, ob die Rechnung aufgeht, welche Netze sich hierdurch spannen. Ebenso, ob der bedeutungsschwere Titel „Bauhaus“, die Ergebnisse rechtfertigt. Ein unabhängiges Monitoring wäre nötig.

Wie viele Leuchttürme braucht Europa?
Die bisherigen Auszeichnungen offenbaren allerdings ein bekanntes Phänomen. Progressive Ideen und ökologische Initiativen sind reichlich vorhanden; die Frage ist vielmehr, wie viele Leuchttürme Europa braucht, um den behäbigen Bausektor in eine andere Richtung zu lenken. Zur Realität: 2020 wurde in Deutschland weit über die Hälfte der Genehmigungen im Wohnungsneubau für Häuser erteilt, die auf Ziegel, Beton oder Stahlbeton basierten. Rund drei Viertel der Wohnungsneubauten waren Einfamilienhäuser. Angesichts der geringen Zeit, die der Welt zur Klimarettung bleibt, leidet auch dieser Kontinent nicht unter einem Ideendefizit, sondern einem Umsetzungsproblem. Für einige Vorhaben könnte sich das New European Bauhaus da tatsächlich als Booster erweisen, dank einer Würdigung durch einen Preis, eines offiziellen Labels der EU oder dem einen entscheidenden Kontakt in Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft. Es wäre ein Sinnbild der Europäischen Union, wo viele Versuche, die durch viele Schultern getragen werden, zwar an vielen Orten ins Leere laufen können – aber das eine oder andere Korn dann eben doch zu Keimen beginnt.
Ein Ertrag der Initiative ist bereits sicher: Die Bedeutung des Bauens ist nun offiziell auch von der EU-Politik entdeckt und anerkennt worden. Die Heiligen der Architekturgeschichte müssen dafür im Gegenzug mit ihrem Namen herhalten. Auch wenn der historische Vergleich zum echten Bauhaus deutlich hinkt (andere Zeit, andere Probleme, andere Lösungen), ist Klimaforscher und NEB-Mentor Hans Joachim Schellnhuber überzeugt: „Walter Gropius wäre heute ein Ökologe, der sich der Lösung der Klimakrise widmen würde.“

Mehr dazu auf europa.eu/new-european-bauhaus

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