Bauwelt

Le Corbusier, Curutchet und die Freimaurer

In der argentinischen Stadt La Plata lässt sich untersuchen, welchen Einfluss die freimaurerische Symbolik und Bedeutung auf Le Corbusiers Werk hatte.

Text: Dradi, Serena, Palermo

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    Während Le Corbusier bereits an protobrutalistischen Projekten wie der Unité in Marseille oder der Kirche in Ronchamp arbeitete, kam er mit der Casa Curutchet in La Plata 1949 noch einmal zu seinen Gestaltungsprinzipien der frühen 20er Jahre zurück – vielleicht auch, weil er zwanzig Jahre zuvor die Stadt besucht hatte und danach nie wieder.
    Foto: ub

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    Während Le Corbusier bereits an protobrutalistischen Projekten wie der Unité in Marseille oder der Kirche in Ronchamp arbeitete, kam er mit der Casa Curutchet in La Plata 1949 noch einmal zu seinen Gestaltungsprinzipien der frühen 20er Jahre zurück – vielleicht auch, weil er zwanzig Jahre zuvor die Stadt besucht hatte und danach nie wieder.

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    Die Freimaurersymbole im Zentrum von La Plata werden durch die Alleen identifiziert: Das Quadrat liegt auf den Diagonalen 73–79, Diagonalen 74 und 80 (gelb), der Zirkel auf den Diago­nalen 77 und 78 (blau) und
    das Lot liegt auf den vertikalen Alleen 51 und 53 (orange). Der rote Kreis stellt den Standort des Hauses von Dr. Curutchet dar.
    Abbildung: Google Maps/Serena Dradi

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    Die Freimaurersymbole im Zentrum von La Plata werden durch die Alleen identifiziert: Das Quadrat liegt auf den Diagonalen 73–79, Diagonalen 74 und 80 (gelb), der Zirkel auf den Diago­nalen 77 und 78 (blau) und
    das Lot liegt auf den vertikalen Alleen 51 und 53 (orange). Der rote Kreis stellt den Standort des Hauses von Dr. Curutchet dar.

    Abbildung: Google Maps/Serena Dradi

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    Foto: Diario Clarín, 2021

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    Foto: Diario Clarín, 2021

Le Corbusier, Curutchet und die Freimaurer

In der argentinischen Stadt La Plata lässt sich untersuchen, welchen Einfluss die freimaurerische Symbolik und Bedeutung auf Le Corbusiers Werk hatte.

Text: Dradi, Serena, Palermo

Verbinden sich in der Casa Curutchet, dem einzigen Wohnhaus des Architekten in Südame­rika, Standort und Gestaltung unmittelbar mit den schon in der Anlage der Stadt sichtbaren Theorien der Logen?
Die Hypothese, auf der dieser Beitrag beruht, liegt in einem Werk von Le Corbusier: In seiner Casa Curutchet lassen sich Symbole identifizieren, die mit dem Diskurs und den Theorien der Freimaurer verbunden sind, von der Stadtplanung über den Standort des Hauses bis hin zu den Symbolen und Bedeutungen der Freimaurerei in der Innen- und Außenarchitektur. Ziel ist es, die Bedeutung der Geometrie in der architektonischen Gestaltung und die poetische und erlebnisorientierte Resonanz, die dadurch hervorgerufen wird, aufzuzeigen. Die Untersuchung beruft sich also auf ein Wissen, das mit einer Tradition verbunden ist, die bis heute von der Freimaurerei bewahrt wird: Symbolik, Philosophie, Kenntnis der universellen Gesetze und der Natur in Bezug auf den Menschen und seinen Geist, ausgedrückt in Symbolen, Bedeutungen und heiliger Geometrie, um Schönheit und Wohlbefinden zu erzeugen. Das 1949–53 für einen Arzt und seine Familie errichtete Haus ist nicht nur ein emblematisches Gebäude im Gesamtwerk von Le Corbusier, es ist auch sein einziges Wohnhaus in Südamerika und eines seiner 17 Gebäude, die in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurden. Ein Haus, das mehr zu erzählen hat.

Der symbolische Stadtplan

Im Juni 2023 wurde die argentinische Stadt La Plata zur Freimaurerstadt erklärt; dies geschah in Anerkennung ihrer Wurzeln und der Absichten der Freimaurer, die diese Stadt gegründet haben, was sich schon in ihrer Anlage deutlich abzeichnet. Architekt Pedro Benoit (1836–1897), der 1880 den streng geometrischen Stadtplan für die neu gegründete Provinzhauptstadt sechzig Kilometer südlich der frisch zur Bundeshauptstadt erhobenen Metropole Buenos Aires entwickelte, war seit 1858 Mitglied der Loge „Consuelo del infortunio No 3“. Die Säulen der Freimaurer sind an verschiedenen Stellen im Grundriss von La Plata erkennbar. So sieht man zum Beispiel einen Winkel, der von einem Zirkel gekreuzt wird. Dieses Symbol besteht aus den Diagonalen 73, 79, 74 und 80; der Zirkel wird von den Diagonalen 77 und 78 gebildet. Ein weiteres sichtbares Symbol ist das Lot, dargestellt durch die Avenidas Nr. 51 und 53, die diesen Zirkel mit dem Senklot verbinden, das durch die Plaza Moreno dargestellt wird, den wichtigsten Platz der Stadt, an dem sowohl das Rathaus als auch die neugo­tische Kathedrale liegen. Das Lot ist eines der Werkzeuge, die den „Eingeweihten des ersten Grades“ vorgestellt werden. In diesem Fall befindet sich das Lot natürlich an derselben Stelle wie der Grundstein der Stadt.

An der Spitze des Zirkels

Das Curutchet-Haus befindet sich an einem ganz besonderen Punkt der Stadt, an dem die monumentale Hauptachse der Stadt, gebildet aus den Avenidas 51 und 53, auf die quer verlaufende Avenida 1 trifft und dann in das große Areal für die Universität ausläuft. Indem es die von Le Corbusier in den 1920er Jahren formulierten „Fünf Punkte einer neuen Architektur“ – Pilotis, freier Grundriss, nicht tragende Fassade, Bandfenster, Dachgarten – noch einmal zusammenfasst, könnte das Wohnhaus durchaus als Manifestation einer Synthese seines frühen Beitrags zur Architektur gelten. Der Standort aber kann ohne Weiteres mit der Freimaurer-Symbolik im Stadtplan von La Plata verknüpft werden.
Der Architekt und Publizist Daniel Osvaldo Casoy wies 2018 in einem mit mir geführten Interview darauf hin, dass Bauherr Curutchet eine Besonderheit seines Grundstücks entdeckt hatte und dass daraufhin mehrere Personen Interesse am Kauf bekundeten. „Das Grundstück, das niemand kaufen wollte, niemand dachte daran. Als sie entdeckten, was ich beschrieben hatte, wollten sie es alle kaufen“, soll der Arzt erzählt haben. Was mag diese Entdeckung gewesen sein? Wenn man sich den Stadtplan von La Plata ansieht und seine Symbole identifiziert, stellt man fest, dass das Haus genau auf der Spitze des Zirkels und am Anfang des Lots liegt, besser gesagt auf der Oberseite, die symbolisch das Ideal anzeigt, das erreicht werden soll. Diese beiden Symbole spielen eine wichtige Rolle in der Philosophie der Freimaurer und liegen im Osten, in Richtung des platonischen Waldes des Wissens und der Weisheit, dem Symbol der Freimaurerei, das durch den Großmeister der Loge repräsentiert wird.
Robert Lomas hat 2011 in seinem Buch „Símbolos de la Masonería“, zu deutsch Symbole des Freimaurertums, herausgearbeitet, dass der Zirkel das Symbol für die funktionale Energie des Geistes, das Hauptwerkzeug für die Erstellung von architektonischen Plänen und Entwürfen sowie ein Emblem der Würde ist. Er ist also mit dem Meister verbunden, der die Loge leitet, und dieser Geist steht für den Freimaurer für die Entwicklung „eines vitaleren Wesens mit einem stärkeren spirituellen Bewusstsein. Die Tatsache, dass das Curutchet-Haus an der Spitze eines symbolischen Zirkels auf einem freimaurerischen Grundriss steht, macht stutzig: ein Architekt, der nach den fünf Punkten seiner Architekturtheorie das Curutchet-Haus baut, das an der Spitze des symbolischen Zirkels steht, der in den Stadtplan von La Plata eingeschrieben ist – ein heimlicher Freimaurer, der seinen architektonischen Geist im Ursprung dieser Stadt und ihrer Symbole findet und ausdrückt?

Familiäre Bande

Le Corbusiers Verbindung zur Freimaurerei erscheint nicht abwegig, wenn man auf sein Leben blickt. In seiner Geburtsstadt La Chaux-de-Fonds in der Schweiz findet sich die Loge „L’Amitié“; sein Vater, Georges Édouard Jeanneret war ihr Präsident und Großmeister. Zudem pflegte der Architekt Freundschaften mit kubistischen Meistern, die in der Freimaurerei aktiv waren, unter ihnen Amédée Ozenfant, Mitglied der Loge „Art et Science“ in Paris, Juan Gris, der 1923 in der Loge Voltaire in die Freimaurerei eingeweiht wurde, und René Allendy (1889–1942), ein französischer Psychoanalytiker, der ebenfalls Mitglied dieser Loge war. Diese Verbindung wird auch in „L’Esprit Nouveau en Architecture“, veröffentlicht 1925 im Almanach d’Architecture Moderne, hergestellt, ebenso in „Défense de l’Architecture“, veröffentlicht 1929 in Stavba, in demselben Jahr, in dem Le Corbusier nach Südamerika reiste. Darin wird ein Vortrag wiedergegeben, den der Architekt am 12. Juni 1924 an der Sorbonne vor der „Groupe d’études philosophiques et scientifiques“ gehalten hatte und der am 10. November des selben Jahres im Ordre de l’Etoile d’Orient wiederholt wurde.
Doch zurück zur Casa Curutchet: Ein weiteres Symbol, das im Grundriss von La Plata zu finden ist und an dessen symbolischer Oberseite sich das Haus befindet, ist „die silberne Kordelschnur, die sich vom mystischen Zentrum bis zur Seele eines jeden Freimaurers erstreckt“ (Lomas, 2011). Das Lot bildet immer einen rechten Winkel zur Schnur auf der Höhe des Kreisumfangs. Gleichzeitig lehrt es Gleichmut und Aufrichtigkeit im Leben und Handeln. Aufgrund seiner Geradlinigkeit könnte es auch als Symbol für den Winkel identifiziert werden. Die Lage des Hauses auf der Oberseite des Lots, das die Vernunft eines rationalen und spirituellen Architekten im Gleichgewicht, die Reinheit, symbolisiert, ist ein weiterer Punkt, der auf die Verbindung zur Freimaurerei hinweist: Le Corbusier huldigt der Freimaurerei nicht nur mit den Proportionen der Architektur, sondern bereits mit seinem Standort. Vielleicht war es das, was Dr. Curutchet in seinem Interview mit Casoy meinte, als er etwas über das Grundstück sagen wollte: sein Wohnhaus als die große Brücke zwischen einer Freimaurerstadt und einem heimlichen Freimaurer.
Das Curutchet-Haus kann als ein Monument des Lichts betrachtet werden, dank seiner Ausrichtung zur Sonne und seiner Lage gegenüber der großen Grünanlage, dem Wald von La Plata, der die Manifestation des Lichts als grundlegende Ressource darstellt. Das Haus existiert durch das Licht, so wie das Licht durch die Reinheit und die Komposition des Hauses wirkt. In der freimaurerischen Symbolik ist der Osten der Ort, an dem sich die höchste Autorität der Loge befindet, der Ehrwürdige Großmeister oder die Ehrwürdige Großmeisterin, Symbol des Lichts und der Weisheit. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass das Haus nicht nur in dieser Ecke steht, sondern in der Verlängerung auch die gleiche Ausrichtung wie die Universidad Nacional de La Plata hat. Dies wird deshalb erwähnt, weil die Freimaurer, die La Plata erbaut haben, nicht zufällig dort den Sitz und den Campus der Universität eingerichtet haben, um die Bildung, das Wissen und die Weisheit zu verteidigen. Der Meister einer Loge symbolisiert den ewigen Geist der Weisheit, deshalb befindet er sich im Osten und symbolisiert den Aufgang der Sonne, um seinen Brüdern Licht und Weisheit
zu bringen, und genau dort befindet sich das Curutchet-Haus. Ausgehend von der Symbolik, wird erkennbar, wie die heilige Geometrie, die symbo­lische und emotionale Architektur zu Grundpfeilern der Möglichkeit einer Beeinflussung des Seins aus dem Unbewussten heraus geworden sind.

Aus dem Spanischen von Beate Staib

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