Qualität kann nur im Aushandlungsprozess entstehen
Urban Tech Republic. Die Senatsbaudirektorin von Berlin analysiert die Planungsetappen der Umwandlung des ausgedienten und inzwischen „schlafenden Riesen“ Flughafen Tegel in einen Forschungs- und Industriepark mit Wohnquartier.
Text: Lüscher, Regula, Berlin
Qualität kann nur im Aushandlungsprozess entstehen
Urban Tech Republic. Die Senatsbaudirektorin von Berlin analysiert die Planungsetappen der Umwandlung des ausgedienten und inzwischen „schlafenden Riesen“ Flughafen Tegel in einen Forschungs- und Industriepark mit Wohnquartier.
Text: Lüscher, Regula, Berlin
Der Flughafen Tegel hat geschlossen und macht Platz für das wachsende Berlin. Auf dem Areal werden in den kommenden Jahren ein Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien und ein neues Wohnquartier entstehen. Hier, im bislang noch wenig urbanen Nordwesten Berlins, nutzen wir die einmalige Chance und entwickeln ein neues Quartier für Unternehmen und Studierende, die an der Zukunft der Städte forschen, Visionen produzieren und Lösungen entwickeln.
Mit dem Flughafen verbinden sich nicht nur Fernweh und Emotionen, vielmehr noch gilt Tegel, nach dem Entwurf der Architekten Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Klaus Nickels, als „Mutter“ moderner, funktionaler Flughäfen und ist eine ganz besondere Ikone der technisch-enthusiastischen und futuristischen Pop-Art Architektur der 60er und 70er Jahre. Sinnbild für die autogerechte Stadt und Symbol für den Überlebenswillen West-Berlins.
Die Beuth Hochschule für Technik, eine der wichtigsten künftigen Nutzerinnen der neuen Urban Tech Republic, verlagert ihr Kompetenz-Cluster „Urbane Technologien“ in das von vielen Berlinerinnen und Berlinern geliebte Flughafengebäude. Dieses erhält so eine neue, adäquate Nutzung und bleibt zugleich als wichtiger Baustein des „Doppelten Berlins“, respektive der ehemals geteilten Stadt, der globalen (Wissenschafts-)Welt erhalten. Die Debatte um die Art der Nachnutzung großer, zumeist historisch bedeutsamer Gebäudestrukturen ist keine unbekannte. Im Jahr 2011 diskutierte ich, im Rahmen des von mir initiierten IBA Symposiums, die Zukunft großer Bauten ohne konkrete Nutzung. Seit jeher haben diese „schlafenden Riesen“, wie wir sie nannten, eine große Wirkung für die Identität und das Image von Quartieren und der gesamten Stadt. Ihre Wiederbelebung und Neuinszenierung setzt wichtige Impulse für eine lebendige Mischung von Nutzungen und Nutzenden in den umgebenden Stadträumen. Für Berlin sind diese „XXL Gebäude“ wichtige städtebauliche und kulturelle Potenziale. Sie bedürfen einer besonderen Aufmerksamkeit aber auch eines besonderen Schutzes.
Für uns Planer und Planerinnen sind das Fluch und Segen gleichermaßen. Warum? Mit dem Flughafengebäude gewinnt die Hochschule eine unverwechselbare Architektur und vermeintlich überflüssiger Raum der Stadt wird nachhaltig wiederbelebt. Wie aber schafft man es, sich den Vorgaben und Grenzen des Bestands und gleichzeitig den funktionalen Anforderungen und den daraus folgenden Herausforderungen in der Planung zu stellen, ohne die baukulturellen Qualitäten und Potenziale des Bestands zu stark zu überformen?
Die individuellen Ansprüche der einzelnen Projektpartner sind hoch, Planungs– und Aushandlungsprozesses entsprechend kompliziert und zuweilen verfahren. Uns begleitete vor allem der Widerspruch zwischen den detaillierten Funktionalitätsansprüchen der Nutzerin Beuth Hochschule und der im Bestand zur Verfügung stehenden Flächen. Dieser setzte die Wissenschaftsverwaltung als Bedarfsträgerin und Hauptverantwortliche im Land Berlin unter einen hohen Zeit- und Kostendruck, fachlich wie politisch.
Die Denkmalpflege verteidigte ihrerseits ihre Ambitionen und forderte den weitestgehenden Erhalt und die Unterschutzstellung des Bestandsgebäudes mit der so prägenden inneren Umfahrt zur Erschließung der einzelnen Terminalbereiche. All dies ging einher mit den zusätzlichen Forderungen des Urhebers, die stilprägenden Merkmale des Gebäudeensembles zu erhalten – eine Forderung, die im Hinblick auf die maßgeblichen Gebäudestrukturen zuweilen im Widerspruch stand zu den Nutzeranforderungen der Hochschule. Die angespannte Stimmung bei den Projektpartnern, aber auch der Öffentlichkeit, prägte den bisherigen Planungsprozess.
In dieser Kulisse aus vermeintlich unauflösbaren Interessen- und Zielkonflikten war die Bauverwaltung in der Verantwortung, geeignete Planer zu finden, um Budget, Terminplanung und Qualität zu sichern. Als Senatsbaudirektorin und Staatssekretärin für Stadtentwicklung war es meine Aufgabe, den baukulturellen Anspruch in solch einem Modellprojekt zu fördern und zugleich die Potenziale der Umnutzung dieses „schlafenden Riesen“ zu nutzen.
Aus vergangenen Planungsprozessen habe ich gelernt, dass das nur im verbindlichen Dialog und mit intensiver Vermittlung zwischen den Beteiligten und den jeweiligen Interessen gelingen kann. So wurde zum Beispiel im Planungsprozess zur Sanierung der Staatsoper Unter den Linden der Konflikt zwischen dem Denkmalschutz und den Nutzungsanforderungen ins Wettbewerbsverfahren und somit an die planenden Architekten delegiert, was letztendlich dazu führte, dass der Wettbewerb aufgehoben werden musste. Dies galt es hier zu vermeiden!
Bei der Planung zur Umnutzung des Flughafens für die Beuth Hochschule entschied ich daher frühzeitig, ein VgV-Verfahren durchzuführen mit der Besonderheit, bereits in dieser frühen Phase Entwurfsvorschläge in die Verhandlungen zu integrieren. Die an der Vergabe teilnehmenden Architekten und Architektinnen hatten die Aufgabe, die Flächenaufteilung im Gebäude und die Fassade im Innenring skizzenhaft darzustellen. Im anschließenden Dialog mit den Nutzern, Bedarfsträgern und dem Denkmalschutz wurde eine Vorplanungsunterlage erarbeitetet. Diese sah als Zwischenresultat eine Planung vor, die unausgewogene Nutzungsaspekte über denkmalpflegerische so wie architektonische Qualitäten des Bestands stellte. Es musste eine Kompromisslösung her! Wir entwickelten den „Skywalk“, eine Art durchlässige Umfahrung mit Stegen in die jeweiligen Gebäudebereiche. Wir rangen weiter – und konnten trotzdem keine Einigung erzielen. Die Fronten waren verhärtet. Während der Bedarfsträger und die Bauverwaltung den Kompromiss als gangbaren Weg sahen, lehnten Nutzerin, Denkmalpfleger und Urheber diesen ab.
Eigentlich zu Recht, denn die Kompromissplanung hatte weiterhin gravierende architektonische Mängel auf Grund der widersprüchlichen Anforderungen In intensiven Gesprächen versuchte ich alle Beteiligten wieder ins Boot zu holen und auszuloten, wie hoch der Leidensdruck und die Risikobereitschaft bei den einzelnen Projektpartnern und Projektpartnerinnen war. Dabei wurde schnell klar, dass das Bedarfsprogramm Bestand haben musste. Wesentliche Aspekte für die Überarbeitung der Planung konnten dabei gewonnen werden.
Wir einigten uns auf luftigere Grundrisse, es gelang zudem, den Urheber in den Überarbeitungsprozess planerischen einzubinden, was auch der Offenheit des beauftragten Architekturbüros zu verdanken ist, und damit den Erhalt wichtiger stilprägender Elemente zu ermöglichen. Ich selbst stellte mich der politischen Verantwortung für längere Planungszeiten und Mehraufwand zu Gunsten einer langlebigen, besseren Lösung entsprechend dem Credo: Qualität ist entwerfen und verwerfen – Qualität kann nur im Aushandlungsprozess entstehen.
Ich bin froh, dass es mit dieser besonderen Form der Moderation des Prozesses gelungen ist, qualitätssichernde Anpassungen durchzusetzen. Uns liegt nun ein Entwurf vor mit funktional sinnvollen Raumzuschnitten, flexibel nutzbaren Kommunikationszonen und einladenden Freiräumen – ein Entwurf, den die fünf Schlüsselakteure und Schlüsselakeurinnen alle mittragen und der strukturell und technisch umsetzbar ist. Und ganz wichtig: Uns ist es gelungen, die urheberrechtlichen Belange zu berücksichtigen und damit juristische Auseinandersetzungen abzuwenden.
Mit diesem Umbau einer Architektur-Ikone in ein ebenso emblematisches Hochschulgebäude mit Partnern, die auf Augenhöhe und mit hohem Anspruch agieren, gehen wir nun in den konkreten Planungs- und Umsetzungsprozess. Alles in allem zeigt der Prozess einmal mehr die Bedeutung der Funktion einer Senatsbaudirektorin bzw. eines Senatsbaudirektors als Vermittlerin und Moderatorin. Eine Schlüsselfunktion, die Gespür für architektonische Qualitäten, politisches Urteilsvermögen sowie strategisches Verhandlungsgeschick voraussetzt. Dieses kleine Meisterstück ist dank allen Beteiligten gelungen. Geteilte Urheberschaft? Geteilte Autorenschaft!
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