Anspruch auf Dilemma
In München wurde ein zweiter Wettbewerb der „Kooperative Grossstadt“ entschieden. Die Genossenschaft will in Freiham zeigen, wie Qualität im Wohnungsbau gelingen kann. Bei der öffentlichen Jurysitzung prallten jedoch Ideal und Wirklichkeit aufeinander.
Text: Wolfrum, Sophie, München
Anspruch auf Dilemma
In München wurde ein zweiter Wettbewerb der „Kooperative Grossstadt“ entschieden. Die Genossenschaft will in Freiham zeigen, wie Qualität im Wohnungsbau gelingen kann. Bei der öffentlichen Jurysitzung prallten jedoch Ideal und Wirklichkeit aufeinander.
Text: Wolfrum, Sophie, München
„Die KOOPERATIVE GROSSSTADT eG baut im neuen Münchner Stadtteil Freiham ihr zweites Projekt mit 42 Wohnungen. Das Ziel ist ein Wohnungsbau, der ambitionierte Architektur mit zukunftsfähigen Konzepten des Wohnens vereint.
(...) Die KOOPERATIVE GROSSSTADT eG ist davon überzeugt, dass diese Ansprüche nicht mit den herkömmlichen Konzepten des Wohnungsbaus eingelöst werden können.“ Soweit der Pressetext mit der Einladung zum öffentlichen Preisgericht für das Projekt „Freihampton“. Die einladende Baugenossenschaft, die Architekten, darunter Almannai Fischer, Katharina Leuschner und Wolfgang Rossbauer, 2015 in München gegründet haben, zählt inzwischen über 300 Mitglieder. Die sorgfältig ausgearbeitete Auslobung unterstreicht den Anspruch auf Innovation im Wohnungsbau. Explizit angesprochen werden: das atmende Haus, Adressierung des Straßenraumes, spezifische Qualitäten des Wohnens im Erdgeschoss, Erschließungsräume als Orte der Hausgemeinschaft sowie ein „forschendes Bauprojekt (...) also eine kritische Hinterfragung des Programms selbst (...)“.
Auf Grund dieses Programms wurden 81 Entwürfe eingereicht, 14 davon kamen in die Engere Wahl und damit in die öffentliche Sitzung des Preisgerichts unter dem Vorsitz von Verena von Beckerath. Dort wurde Anfang Juli das Dilemma der Baugenossenschaft offensichtlich: auf der einen Seite der Anspruch, Wohnungsbau besser zu machen, als Bauträger es tun, auf der anderen Seite ein enger wirtschaftlicher Rahmen. Die 42 Wohnungen sind in eine unerbittliche Förderkulisse eingebunden, und das Trauma des ersten Wettbewerbsprojekts der Genossenschaft im Stadtteil Riem, dessen Sieger, ein Entwurf von Tim Schäfer, Pablo Donet Garcia und Tanja Reimer, sich als nicht finanzierbar herausstellte, wirkt nach. Dazu kommt die Skepsis, ob die Genossen vielleicht doch nicht so experimentell wohnen wollen. Das Pendel der Debatte schlug im Laufe des Tages zusehends nach der zweiten Seite aus, und so wurde mit dem Vorschlag von Nikolas Klumpe ein Entwurf zum Sieger gekürt, der derart konventionell ist, dass es eines Wettbewerbes eigentlich gar nicht bedurft hätte.
Im Zeilenbau nichts Neues
Das Grundstück in Freiham nimmt eine nach Süden und Osten orientierte Ecke im von West 8 entwickelten Bebauungsplan ein, der Vielfalt und Kleinteiligkeit fördern möchte und dazu eine stark differenzierte Höhenentwicklung vorsieht – die Blockecken werden betont. Klumpes Entwurf spart genau diese Ecke aus und besetzt sie mit einem Pavillon, in dem sich der geforderte Gemeinschaftsraum, eine Werkstatt und der Müllraum befinden.
Die negative Ecke ist ein charakteristisches Element der Zeilentypologie im Wohnungsbau, die hier städtebaulich gerade nicht gewollt war.Und auch die Wohnriegel, mit je zwei Treppenhäusern, beide als 2– bzw. 3–Spänner mit konventionellen Wohnungen bestückt, zeugen davon. Die Grundrisse unterscheiden sich vom Mittelflur–Typ nur dadurch, dass die Wand zum Wohnzimmer ausgespart wird und das gegenüberliegende Zimmer mit einer Doppeltür zugeschaltet werden kann. Die Ausrichtung der Wohnungen führt dazu, dass die Schlafzimmer des einen Riegels nach Osten auf die Straße blicken, Wohnzimmer, Küchen und Balkone nach Westen in den Hof. Dort aber begegnen sie den nach Norden orientierten Schlafräumen des zweiten Hauses. Das Leben auf dem Balkon der einen trifft auf die Rückzugsorte der anderen. Das ist Zeilenbau der Moderne, der allein aus der optimalen Orientierung der Wohnung zur Himmelsrichtung gedacht ist und das städtebauliche Gefüge ignoriert.
Die „Adressierung des Straßenraumes“ soll allein durch die Hauseingänge und den Pavillon eingelöst werden. Jedoch, die Straßenfassade könnte kaum monotoner sein. Auch die Hofseite, geprägt von einer Feuerwehrumfahrt und der Tiefgarageneinfahrt, lässt keine besondere Qualität erkennen; ebenso wenig die Freiräume.
Worin liegt nun überhaupt das Geheimnis des Entwurfs, der in der Debatte der Jury als derjenige mit „wunderbaren Grundrissen“ gehandelt wurde? Die gewünschten „Kooperationsräume“ im Ost–West–Riegel sind tatsächlich sehr geschickt balkonseitig in der Achse des Treppenhauses, zwischen je zwei Wohnungen angeordnet. So können sie entweder von den Nachbarn als Zuschaltzimmer genutzt werden oder der Hausgemeinschaft zur Verfügung stehen. In dem anderen Haus sind die entsprechenden Räume zwar in gleicher Weise grafisch hervorgehoben, entpuppen sich aber bei näherer Betrachtung als die im Raumprogramm geforderten 1–Zimmer Wohnungen. Dadurch wird das Haus zum konventionellen 3–Spänner. Vielleicht kann der Dachgarten auf dem niedrigeren Westteil die Hausgemeinschaft bereichern.
Das Schweigen des Publikums
Von den Entwürfen, die tatsächlich in dem einen oder anderen Bereich innovative oder unkonventionelle Lösungen anboten, wurden drei gleichwertig mit dem 3. Preis bedacht, sowie vier mit dem 4. Preis. Den Abstand zum 1. Preis unterstreicht die Jury. Zudem verbleiben sechs Entwürfe in der engeren Wahl, unter anderen diejenigen, die sich explizit auf die Einladung zu einem „forschenden Bauprojekt“ berufen haben.
Das Publikum der öffentlichen Jury, das sich vor Beginn schriftlich verpflichten musste, nicht zu kommentieren, sah diese Entscheidung im Laufe der Debatte kommen, denn immer wieder wurde an das Desaster des ersten Wettbewerbes „San Riemo“ erinnert. Viele Zuschauer waren sehr enttäuscht: Der mit Anspruch ausgelobte Wettbewerb kulminierte in einem herkömmlichen Konzept von Wohnungen. Eine von Architekten gegründete Baugenossenschaft, die gegen die Banalität des Münchner Wohnungsbaus angetreten ist, hat ebenso mit der Mühsal der Umstände zu kämpfen wie die verfemten Bauträger. Einer der Preisrichter wies denn auch darauf hin, dass ein Wettbewerbsentwurf kein Baugesuch sei. Bleibt also die Frage, welcher Weg zwischen Wettbewerbsergebnis und Baugesuch liegen wird, wo die Genossen scheinbar doch allzu großes Risiko scheuen.
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