Neues Rathaus Pforzheim
1973–2023
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Neues Rathaus Pforzheim
1973–2023
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Ein Jubiläum steht an und soll mit einer Publikation gefeiert werden. Aber wie die-se füllen, wenn offenbar für ein externes Lektorat Zeit und Geld fehlen? Da empfiehlt sich zunächst eine opulente Ausstattung, die das Gewicht und die Aufmachung eines Coffee Table Book als Präsent hergeben – in der „Goldstadt“ Pforzheim natürlich mit goldfarbenen Vorsatzpapieren und Buchrücken, beidseitig stabilisiert mit Buchdeckeln aus dickem Buchbinderkarton in betongrau und mit eingeprägter „50“. Der Jubilar ist das „Neue Rathaus“ von Pforzheim, und die Pappe reflektiert die „Graupappe“, aus der Studierende der Architektur ihre Modelle zu bauen pflegen, wie auch den grauen Sichtbeton, aus dem das Neue Rathaus gebaut wurde. Um in den Betonbau Farbe zu bringen, ist das Gebäude aufwendig mit Kunst am und im Bau ausgestattet. Beiden Komponenten, dem Bauwerk und der Kunst, sind nun zwei getrennte Bände mit den Subtiteln „Architektur“ und „Kunstvoll“ gewidmet, die ein gemeinsamer, mit Fotoausschnitten bedruckter Schutzumschlag umhüllt. Das qua-dratische Architektenformat wird mit 21 x 20 cm subtil unterlaufen.
Angesichts einer solch auffälligen Gestaltung ist der erste Impuls hohe Anerkennung für die Wertschätzung, die diese Stadt ihrem Großbau der Bauzeit 1969–73 nicht erst jetzt, sondern über die Jahre mit ordentlicher Bauwerkserhaltung und Pflege der Einrichtung sowie behutsamer technischer Anpassung (2011–15) entgegen gebracht hat – ein Paradebeispiel für die erst in jüngerer Zeit aufgelebte neue Liebe für solche „Big Beautiful Buildings“. Schon seit 2005 steht das Rathaus samt Vorplatz unter Denkmalschutz, woran einer der Autoren, der Historiker Christoph Timm, als früherer Beauftragter für den Denkmalschutz in Pforzheim seinen Anteil gehabt haben dürfte. Statt den Autor aber mittels einer anschaulichen und sachgerechten Beschreibung erklären zu lassen, warum dieses Bauwerk ein Baudenkmal ist – was implizit allen Nicht-Pforzheimern die Gesamtsituation einschließlich historischer Einordnung veranschaulicht hätte –, werden Abschnitte aus Timms Buch „Sie bauten eine neue Stadt“ von 2016 in mehreren Kapiteln zweitverwertet – immerhin mit entsprechendem Hinweis im Impressum. Zum Denkmalschutz wird lediglich die Legaldefinition „aus künstle-rischen, wissenschaftlichen und heimatgeschichtlichen Gründen“ zitiert.
Ebenfalls aus anderem Zusammenhang stammt der längste Text im Architektur-Buch „Béton brut als historisierender Neubau?“. Dort wird die eigenwillige Architekturtheorie des entwerfenden Architekten Rudolf Prenzel diskutiert, ohne dass eine ortsunkundige oder sonst in Architekturtheorie nicht ganz so sattelfeste Leserschaft ganz banal Substanzielleres über das Was, Wie und Warum des Neuen Rathauses erfahren würde. Warum eigentlich das „Neue“ – weil es neu gebaut wurde, oder gibt es noch ein „altes“?
Was der zweite Band mit Einzelkapiteln zu Kunstwerken und deren Autorschaft (den Ratssaal hat HAP Grieshaber mit Wandbildern ausgestattet) an Informationen liefert in Kongruenz von Bild und Text, verweigert leider der Architektur-Band: keine Daten zum Bauwerk, kein Lageplan, keine Grundrisse oder Schnitte, keine Beschreibung, noch nicht einmal Bildunterschriften zu den Fotos: Wer soll sich da zurechtfinden? Und wer die Begeisterung verstehen, die das Beiratsmitglied Ludwig Wappner in einem „Persönlichen Eindruck“ äußert samt mahnendem Hinweis auf den Abrissbeschluss für das benachbarte „ebenso beeindruckende“ Technische Rathaus? Vielleicht hätte man die Kinder und Jugendlichen fragen sollen, die, so ist auf Seite 62 zu lesen, neuerdings im Foyer an „stadtpädagogischen Veranstaltungen“ teilnehmen, um sie für „Architektur und baukulturelles Erbe zu begeistern“.
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